Alexander Ruhe: 1833 – der Frankfurter Wachensturm. Oktober 2014

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

 

„Jeder Bürger will  jetzt recht schnell alles wissen, und er will es recht wissen, er will jetzt so klug seyn, als ehedem der Herr Schullehrer, ja kaum der Herr Pfarrer gewesen ist. Und er thut wohl. Er will nicht bloß Steuern zahlen, sondern auch wissen, wozu er sie zahle und was man ihm dagegen schuldig sey."

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1832 hatten sich die deutschen Demokraten, nicht zuletzt die Demokraten aus der Frankfurter und der Mannheimer Gegend, in Neustadt a.d.Weinstaße zum Hambacher Fest getroffen. Hier in der Pfalz, einer bayerischen Exklave, konnte man sich lange genug beraten, bis die strafende bayerische Armee auftauchen konnte.

Die Euphorie der Demokraten war groß – jetzt wollte man Revolution machen. Aber diese Euphorie verflog auch schnell wieder und die meisten wollten dann doch erst mal abwarten. Wer sich die Revolution aber nicht nehmen lassen wollte, das waren die Studenten, denen verlief der "Freiheitsmai" zu sachte. Einige Studenten ("eine kleine Anzahl von tiefer Aufgeregten") sagten sich: Wie haben die Franzosen das gemacht? Die haben die Bastille gestürmt, danach war Revolution in ganz Frankreich. Unsere Bastille ist der deutsche Bundestag in Frankfurt, dort sitzen im Thurn- und Taxis-Palais (die gelbe 7 auf dem Plan oben) die deutschen Polizisten und Diplomaten und beschließen Unterdrückungs- und Zensurmaßnahmen gegen das Volk, wir besetzten also einfach den Bundestag, dann ist Revolution in ganz Deutschland.

Gesagt getan. Allerdings nicht gleich, man wollte erst noch die Osterferien der Universitäten abwarten, dann hätten die Studenten Zeit zur Revolution und außerdem – auch nicht unwichtig -  wäre dann zur Ostermesse, die am 09.April 1833 anfangen sollte, Frankfurt voller Menschen, auch voll mit Bauern und Landarbeitern aus dem Umland. Schon im Februar waren Sturmfluten und ein Jahrhundertsturm über Europa gefegt, jetzt sollte ein Wachensturm Deutschland aufrütteln.

Wortführer und Entwickler dieses Plans war der Frankfurter Chirurg und Freiheitskämpfer Dr. Gustav Bunsen (1804-36, in Deutschland aber erst 1870 für tot erklärt). Bunsen hatte schon am polnischen Freiheitskampf von 1831 als Arzt teilgenommen, war militärisch also schon erfahren und er fiel 1836 im texanischen Freiheitskampf. Jetzt sollte es an den deutschen Freiheitskampf gehen.

Am 02.April trafen sich Bunsen und die etwa 100 Studenten, die die mit 41 Mann besetzte Hauptwache stürmen sollten in Bockenheim zur Vorbesprechung. Die Hauptwache (die gelbe 2 ) war die zentrale Schlüsselposition zum Schutz des Bundestages, wenn die fiele, fiele auch der. Die schwächer besetzte Konstablerwache (gelbe 3) sollte von Frankfurter Handwerkern und polnischen Exiloffizieren erstürmt werden.

Um alle Wachenstürmer rechtzeitig zu informieren, wurde Tags zuvor noch eine Zeitungsanzeige geschaltet.

   

Haupt- und Konstablerwache

 Am Tag drauf, am 03.April 1833, traf man sich in Bunsens Wohnung im Münzhof (gelbe 1). Gewehre und schwarz-rot-goldene Schärpen wurden ausgegeben, außerdem auch selbst verfertigte Kartätschen-Patronen, denn man gedachte, die beiden Kanonen der Hauptwache zu erbeuten und gegen 21.30h zogen Bunsen und 33 (nicht mehr ganz hundert, aber immerhin) schwerbewaffnete Studenten über den großen und den kleinen Hirschgraben und die Katharinenpforte zur Hauptwache,  Bunsen war dabei in  seine polnische Uniform gekleidet. Die Frankfurter trafen sich in einem Gasthof hinter der Rose (heute  Brönnerstraße, gelbe 4) und zogen unter dem Kommando eines polnischen Offizieres zur Konstablerwache.

Jetzt könnte man natürlich sagen: Wie ? Am 03.April ? Eine ganze Woche vor der Ostermesse ? Am Gründonnerstag, wo die meisten Diplomaten wahrscheinlich schon über die Feiertage nach Hause gefahren sind ? Ja, die Studenten waren noch jung und der erfahrene Freiheitskämpfer Bunsen vielleicht doch nicht so erfahren und außerdem war man verraten worden und wusste dies auch, das konnte bei so vielen Mitwissern gar nicht ausbleiben. Man hatte sogar erfahren, dass für den Abend des 03.April die Verhaftung der Rädelsführer geplant sei „hier musste also ein kühner Schritt rasch gewagt werden“ (wie man 1836 in der deutschsprachigen  New Yorker Staatszeitung lesen konnte) und der Termin war kurzentschlossen vom 05. auf den 03.April vorverlegt worden.

Bunsens Truppe stürmte jetzt - in strömendem Regen - die Hauptwache. Obwohl deren Besatzung gewarnt war und extra um 10 Mann verstärkt worden war, hielt man den anonymen Hinweis für nicht real und alle 50 Soldaten, bis auf einen, befanden sich in, nicht vor der Hauptwache. In den Arkaden vor der Wache hingegen befanden sich, ordentlich zu Pyramiden zusammengestellt, die Gewehre der Soldaten. Der Wächter bekam nun den Arm zerschossen (was damals für ihn Amputation bedeutete), die Revoluzzer nahmen sich die Gewehre, die Soldaten wurden – mehr oder weniger – kampflos gefangen (was für den kommandierenden Leutnant, 18 Jahre alt, später das Kriegsgericht bedeutete) und die politischen Gefangenen dafür aus ihren Zellen herausgeholt. Auch die Konstablerwache war besetzt worden, allerdings wesentlich blutiger, aber es gelang nicht das Zeughaus zu öffnen und an die Kanonen zu kommen, beziehungsweise war es nach vielen Mühen schon gelungen das Schloss der Rüstkammer zu sprengen, dummerweise hatte man aber nicht die Kammer geöffnet, in der sich die Kanonen befanden, sondern die mit den Feuerwehrspritzen.

Mittlerweile hatte der verwundete Bunsen mit einem Trupp Männern die Hauptwache wieder verlassen und war zum Domturm geeilt (gelbe 6). Dieser war vorsichtshalber von zwei Polizeidienern bewacht worden, die aber problemlos überrumpelt und entwaffnet wurden. Der Polizeidiener Johann Conrad Bayer (1798-1843) wurde von Bunsen gezwungen, gemeinsam mit der Frau des Türmers nun Sturm zu läuten, wenn er aufhöre, würde er erschossen, drohte man ihm. In panischer Angst läutete er nun was das Zeug hielt. Er läutete, bis das Frankfurter Militär den Turm gestürmt hatte und ihm ein Gewehr vor den Bauch hielt. Bayer war aber trotzdem so geistesgegenwärtig gewesen, nicht die große Sturmglocke zu läuten, sondern nur eine wesentlich kleinere, die man außerhalb der Stadt gar nicht hören konnte und das deshalb - so mutmaßte man - sich nur so wenige Bauern beteiligt hatten, die anderen hatten die Glocke einfach nicht gehört - Bayer war also ein Held ! Trotzdem war er von da an in Frankfurt unter dem Spitznamen „der Glöckner“ bekannt, zehn Jahre später erschoss er sich auf der Maininsel. Auch nicht besser ergangen war es dem erfahrenen Studenten- und Revolutionsführer Armin von Rauschenpat, dieser hatte nämlich im Eifer des Gefechts vergessen, die vereinbarten Feuerwerksraketen zur Alarmierung der Bauern abzufeuern.

In Bockenheim hatte zwei Studenten aus Gießen den Auftrag übernommen, Oberst v.Schiller (1773-1837, 1819 geadelt) den Kommandanten des Frankfurter Linienmilitärs, bei Ausbruch der Kämpfe in seiner Wohnung zu töten. Das Linienmilitär war die der beiden militärischen Formationen in Frankfurt, mit der die Revolutionäre rechnen mussten, das Linienmilitär bestand aus angeworbenen Berufssoldaten, das waren die, die man im Kriegsfall zum Bundesheer aussandt. Das Bürgermilitär hingegen bestand aus dickbäuchigen Gärtnern und Kaufleuten, die waren gut dazu, Paraden abzuhalten und notfalls auch mal Polizeidienst zu versehen, zu mehr aber auch nicht. Außerdem zeigten sich beim Bürgermilitär starke demokratische Tendenzen, es verbat sich adelige Offiziere und zog auch schon mal, demokratische Freiheitslieder singend, in die Stadt. Als nach der Juli-Revolution 1830 in Frankreich auch Unruhe unter den Handwerksgesellen in Deutschland entstanden war hatte der Rat der Stadt Frankfurt zur Herbstmesse 1830 Nachtwachen der Bürgerwehr angeordnet. Diese kam auch, stellte aber im Gegenzug gleich selbst demokratische Forderungen auf, wie zum Beispiel die Einführung der Gewaltenteilung und mehr Freiheit für die Presse.

Dummerweise war aber auch das Linienmilitär vorab gewarnt worden und Schiller befand sich gar nicht in seiner Wohnung, sondern bei seinen unter Waffen stehenden Soldaten, dabei hatten die Wachenstürmer noch vorsorglich das Schlüsselloch der Kaserne verstopft - anscheinend umsonst.  Diese stürmten nun, kaum eine halbe Stunde nach dem ersten Wachensturm, diese zum zweiten Mal. Bei der Hauptwache war das nicht weiter schwer, die Studenten waren vorsorglich weggelaufen, ja sie hatten noch nicht einmal die gefangenen Soldaten eingesperrt. Die Konstablerwache aber wurde verteidigt, von Phillipp Zwick, einem Angestellten von Bunsen und ein ehemaliger Soldat des Linienmilitärs. Zwick wurde niedergeschossen und gefangen. Man folterte den Schwerverwundeten (was seit 1694 in Frankfurt verboten war) und versuchte die Namen der beteiligten Studenten aus ihm heraus zu pressen, aber umsonst. Zwick starb nach zwei Tagen, in denen man ihm das Wasser verweigert hatte und erhielt noch nicht einmal ein Grab. Zwicks Leichnam wurde der Senkenbergischen Anatomie zu Verfügung gestellt, wo sein beschrifteter Schädel lange unter Glas ruhte - seit 2017 tut er das jetzt im Historischen Museum. So geht es Freiheitskämpfern in Frankfurt.

Die Idee war gewesen, dass auf das Alarmläuten Bauernhaufen aus dem Umland in die Stadt strömen würden, um die Revolution zu unterstützen. Um die Bauern zusätzlich zu motivieren, war ihnen ein Handgeld von 1,5 Gulden (Fl.) versprochen worden (immerhin galt es den Bundestags-Staats-Schatz von 400.000 Fl. Zu erbeuten, man konnte sich das also leisten). Trotz dieses Anreizes aber, kamen nicht die erhofften 2000 Landarbeiter, sondern bloß 100 aus Bonames. Diese hundert Mann standen unter Führung von Dr. Peter Friedrich Neuhoff (1806-1833) Sohn des Bonameser Schultheißen. Neuhoff war zuvor der Emissär der Revolutionäre gewesen. Er war durch halb Deutschland gereist, um die Erhebungen, die überall gleichzeitig stattfinden sollten, zu koordinieren – das hatte aber anscheinend nicht so gut geklappt, außer in Frankfurt und in Bonames erhob sich niemand. Mit diesen hundert Mann kam er bis zum Friedberger Tor (etwa da, wo der Chinesische Garten sich befindet, die gelbe 9 auf dem Plan), wo man sie aber nicht hinein ließ. Wütend zogen die Bonameser jetzt zur Friedberger Warte, demolierten sie und gingen heim. Der verwundete Dr. Neuhoff floh mit vier der Studenten zu Fuß nach Langen und von da mit der Postkutsche nach Darmstadt, wo alle verhaftet wurde. Neuhoff wurde zurück nach Frankfurt gebracht. Hier bat er den ihn begleitenden Polizisten, ob er nicht zuerst noch in seine Wohnung gehen dürfe, um sich saubere Kleidung anziehen zu können (man war durch den Frankfurt umgebenden Graben geflüchtet und total verdreckt). Hier angekommen, schloss Neuhoff den Polizisten aus und floh. Der in seiner Ehre verletzte Polizist fuhr zurück nach Darmstadt, wo er sich in den Woog, einen kleinen See, stürzte, um sich das Leben zu nehmen, aber auch dies nicht erfolgreich. Dr. Neuhoff flüchtete sich jetzt nach Kronberg, wo er auf dem, einem Verwandten, dem nassauischen Landtagsabgeordneten Gerhard Schott gehörenden Schafhof Zuflucht suchte, hier wurde er aber sofort der Polizei übergeben (ein paar Nächte darauf wurde der Schafhof dafür niedergebrannt). Dr. Neuhoff starb ein paar Monate später in Wiesbadener Untersuchungshaft. Insgesamt hatten die Kämpfe 9 Tote und 20-30 Verletzte, davon zwei Amputierte, gekostet.

150-170 Gefangene bevölkerten jetzt wieder die gerade befreiten Gefängnisse. Das waren soviele politische Gefangene, dass man die „normalen“ Häftlinge an hessische Gefängnisse auslagern musste, ja, es waren soviele, dass man auch den gerade erst zu Gefängniszwecken umgebauten Rententurm (gelbe 12) und sogar die Mehlwaage (gelbe 11), das Schuldgefängnis, für die Politischen nutzen musste. Ins Zeughaus, die Konstablerwache, baute man jetzt  für 15.000 Fl. Gefängniszellen ein. Ihre kompletten Semesterferien mussten auch etliche Studenten, die eigentlich nur des Theaters wegen nach Frankfurt gekommen waren, hier verbringen. Während die anderen die Hauptwache gestürmt hatten, saßen sie im Schauspiel (heute der Prachtbau an der schmalen Nord-Ostseite des Goetheplatzes, gelbe 8) und wohnten einer Aufführung der Oper „Robert der Teufel“ von Meyerbeer bei, ohne von Revolution und Schießerei überhaupt etwas zu bemerken. Die Aufführung wurde nicht abgebrochen. Als die Studenten aber das Theater verlassen wollten, rückten sie für die nächsten drei Wochen in eines der Frankfurter Gefängnisse ein, bevor man sie wieder frei ließ. 

„Noch am nächsten Morgen war große Studentenjagd in allen Straßen. Wer eine Mütze trug, wer einen Schnurbart hatte oder eine lange Pfeife, der wurde als verdächtig ergriffen.“ Konnte man 1833 in einem Flugblatt lesen.

Ebenfalls in die Mehlwaage rückten für 17 Tage zwei Heidelberger Studenten ein, die im Juni 1833 in der Wirtschaft auf dem Sandhof (heute im Areal der Uniklinik) das Lied "Die Fürsten zum Land hinaus" angestimmt hatten. Dieses Lied, gedichtet vom Frankfurter Demokraten Wilhelm Sauerwein, war, könnte man sagen, der politische Sommerhit 1832 gewesen, bekannt geworden durch das Hambacher Fest und es war auch von den Wachenstürmern in Frankfurt gesungen worden. Mit 17 Tagen waren die beiden ganz gut weggekommen, anderenorts verbrachten Studenten für das Absingen dieses Liedes Jahre in Festungshaft.

Im Juli 1833 unternahmen,  britische Schüler eines Sprachinstituts in Offenbach einen Wochenendausflug auf die Burg Falkenstein im Taunus. Aus ihren Halstücher verfertigten sie dort eine schwarz-rot-goldene Fahne, die sie, gegen Bezahlung, von Bauern am Turm der Burg anbringen ließen. Dafür rückten sie ins Königsteiner Gefängnis ein. Hieraus kamen sie aber schon am Tag darauf wieder frei, nachdem man von Frankfurt aus gute Worte für sie eingelegt hatte.

Tatsächlich wurde im Anschluss an den Wachensturm nur ein einziger Student verhaftet, der sich auch wirklich beteiligt hatte. Alle anderen konnten fliehen oder sie wurden von den Frankfurtern versteckt. Nicht zuletzt von Frankfurterinnen! Im Herbst 1834 waren gegen mehr als 30 Frankfurterinnen Untersuchungen wegen Beihilfe zur Gefangenenbefreiung im Gange. Dem mutigen Einsatz dreier Frankfurter Schwestern im Teenageralter, die einen der „Schwarz-Rot-Goldenen Männer“ als Mädchen verkleideten und fünf Wochen in der Fahrgasse versteckten, verdanken wir eine – in die Literaturgeschichte eingegangene – Frankfurter Love-Story, denn der Student („der schöne Apotheker“) heiratete eines der Mädchen später. Einer der Hauptaktivisten, Gustav Bunsen, war von seiner Schwägerin in deren Bett versteckt worden, wo er die Hausdurchsuchung durch die Polizei unbeschadet überstand.

Nicht so lax war man in Preußen vorgegangen. In der Folge des Wachensturms wurden mehr als 200 Burschenschaftler, von denen kein einziger am Wachensturm teilgenommen hatte, zu drakonischen Strafen verurteilt, vier Teilnehmer am Hambacher Fest sogar zum Tode durch das Rad (nicht vollstreckt).

Die Nachbarstaaten verstärkten jetzt ihre Militärpräsenz an Frankfurts Grenzen. Hessen legte Truppen nach Offenbach, Nassau nach Höchst und Kurhessen nach Bergen. Aber auch die Großmächte Österreich und Preußen legten 2500 Mann Besatzungstruppen in und um die Stadt. 750 (später noch mehr) Österreicher wurden südlich des Mains,  im Deutschen Haus in Sachsenhausen kaserniert, der österreichische General von Pinet richtete seine Kommandantur im direkt daneben liegenden Frankensteiner Hof ein (die heute roten Häuser gegenüber des Kuhhirtenturms), außerdem wurden die Ortschaften um Frankfurt herum mit Truppen belegt. Die Preußen, die, die in Bockenheim und in Bornheim lagen (nördlich des Mains, Frankfurt selbst war nicht besetzt), waren dort nicht beliebt und am 02.Februar 1835 eskalierte die Situation. Nach vorangegangenen Reibereien, stürmten 20-30, mit Säbeln bewaffnete Preußen den Kurhessischen Hof, ein Wirtshaus in Bockenheim (gegenüber dem jetzigen Café Exzess in der Leipziger Straße ). Immer mehr Preußen strömten dazu und am Schluss waren Billardtisch und Ölgemälde von Säbel zerhackt, lagen 17 Bockenheimer verwundet und z.T. auch verstümmelt am Boden. Ein Bockenheimer starb später an seinen Verletzungen. Über 50 der Soldaten, darunter auch ein Offizier, wurden im Anschluss zu Haftstrafen verurteilt (Haft zwischen 8 Tagen und 2,5 Jahren), außerdem musste die Kompagnie, der die Übeltäter angehörten bei ihrer Ablösung zwei Monate darauf zu Fuß nach Mainz marschieren, ihre Vorgänger waren mit dem Schiff gefahren worden. Auch zwischen österreichischen und Frankfurter Soldaten gab es von Anfang der Besatzung an blutige Händel in Frankfurts Wirtschaften.

Das Frankfurter Linienmilitär erhielt jetzt neue Gewehre ausgehändigt. Diese hatte man schon 1831 angeschafft, aber als „erste Garnitur“ im Depot behalten, da sich aber aus den alten Musketen, die noch aus den napoleonischen Kriegen stammten, mehrfach auf Wache ungewollt Schüsse gelöst hatten und das immer Aufregung zur Folge gehabt hatte, musste die erste Garnitur jetzt ran. Außerdem wurden die Schlupflöcher, durch die die Studenten aus Frankfurt entkommen waren verbarrikadiert und auch das Zeughaus der Konstablerwache extra befestigt. Auch die Zellenfenster der Konstablerwache, die zur Zeil hingingen, wurden mit hölzernen Sichtblenden versehen, um die Kommunikation der Studenten nach außen einzuschränken.

Die starke Beteiligung von Studenten beunruhigte die Obrigkeit, man überlegte die Universitäten von den kleinen Provinzstädten in Großstädte mit militärischer Garnison zu verlegen. Auch die Väter reagierten und schickten ihre Söhne nicht mehr an die Revoluzzer-Unis, alleine Heidelberg büßte von 1833 auf 1834 25 Prozent seiner Studentenzahl ein.

Auch Frankfurt war jetzt voll im Griff der Obrigkeit, aber jetzt regten sich die Frankfurter. Die Frankfurter hatten sich die Revolution doch mehr oder weniger passiv angeschaut, dass jetzt aber preußische und österreichische Soldaten in Frankfurts Wirtschaften saßen und sich gegenseitig verhauten und sich gegenüber den Frankfurtern doch mehr als anmaßend verhielten, dass die Frankfurter Zeitungen sich der Obrigkeit gegenüber als äußerst unterwürfig erwiesen (wirkliche Neuigkeiten aus Frankfurt konnte man nur über Korrespondentenberichte weit entfernt sitzender Zeitungen erfahren), das gefiel vielen Frankfurtern nun nicht mehr und die demokratische Bewegung erlebte einen Massenzulauf."Für die Verhafteten erwachte in Frankfurt unter einem großen Teil des Volkes, wie dies bei heimlicher Justiz immer der Fall ist, ein lebhaftes Interesse." wie man damals lesen konnte.

Fritz Funck zum Beispiel. 

Fritz Funck, einer der Vordenker der Revolution von 1848, hatte wegen eines „Pressevergehens“ in der Hauptwache gesessen, als diese von den Wachenstürmern befreit worden war.

 Zwei Stunden nach seiner Befreiung meldete er sich freiwillig zurück und saß seine Reststrafe ab (wofür er auch schon mal als ein „nicht gefährlicher Held“, der lieber singt als kämpft, beschimpft wurde). Funck hatte erkannt, dass das Scheitern der Studenten auch an ihrer mangelnden militärischen Ausbildung gelegen hatte und als er ein paar Monate später wieder in Freiheit kam, begründete er eine Frankfurter Arbeiterwehr, die Funck'sche Exerziergesellschaft, mit der er im Frankfurter Umfeld das militärische Exerzieren einübte. Beim Wiedereinziehen nach getanem Exerzieren, sang man, wie ein Spitzel sogleich an Metternich in Wien gemeldet hatte, Spottlieder auf die Frankfurter Polizei (" Wie gut ist uns're Polizei, wir danken ihr so mancherlei. Wenn einer nur die Ohren regt, ist der Senat sogleich bewegt.") Das machte er aber nicht lange und schon bald rückte er wieder in die Hauptwache ein und wurde 1837 mit anderen politischen Gefangenen auf die Festung Mainz gebracht. - Im Frühjahr 1832 waren Gerüchte aufgekommen, der Bundestag werde Frankfurt verlassen und nach Mainz gehen, Frankfurt sei einfach "zu unruhig und aufgeregt"; statt des Bundestages gingen jetzt also die Unruhigen und Aufgeregten nach Mainz.

 

Aber selbst die Obrigkeit - in Form des Pfarrers der Katharinenkirche "Doppeldoktor" Friedrich - zeigte Sympathien für die demokratische Sache. In einer Predigt, die er am 27.Juli 1833 hielt, sagte er, wer für Wahrheit, Recht und Freiheit streitet, dürfe auf Gottes Beistand hoffen. Wenn der Sieg des Guten sich aber verzögere, liege das nicht an Gott, sondern an den Streitern für Wahrheit, Recht und Freiheit, die die falschen Mittel wählten. Danach sang man Lied 268 aus dem Frankfurter Gesangbuch, " das Lieblingslied der Liberalen", so bezeichnete es zumindest der Liedermacher Sauerwein .

Effektiver als Funck und Friedrich gingen da andere vor. Durch den enormen Zuwachs der Gefangenenzahlen, brauchte man auch neues Justizpersonal und so fand sich der eine oder andere Demokrat plötzlich als Gefängniswächter oder auch aus Gefängnisfriseur wieder. Ein solcher Friseur verhalf schon im Oktober 1833 dem Aschaffenburger Studenten Bernhard Lizius zur Flucht. Lizius seilte sich von der Konstablerwache auf die Zeil ab und entkam in die Schweiz und nach Frankreich, wo er dann ab 1836 für Metternichs Polizei die linken Exilanten ausspitzelte. Das Volk in Frankfurt war über dieses Husarenstück aber begeistert und der im Steinernen Haus wohnende Revoluzzer Sauerwein dichtete auch hier gleich (wenige Stunden nach der Flucht) ein Volkslied dazu, in dem der damals auf der Konstablerwache Dienst tuende Polizeidiener Jakob Ph. Schnitzspahn (1796-1865) nicht gut weg kam ("Jetzt Schnitzspahn streck die Beine aus, die Fall' ist offen, fort ist die Maus ..."). 

In dem in Frankfurter Mundart geschriebenen Schwank: Sturm auf die Konstablerwache, läßt der Autor Ernst Nebhut 1965 Lizius gleich zum Revolutionsführer aufsteigen, legt aber gleichzeitig einem der Protagonisten des Stückes die folgenden Worte in den Mund: "Macht keine Revolution, wenn ihr nichts davon versteht." Die Frankfurter Mundart hatte auch einen eigenen Begriff, für jemanden, der demokratische Reden führte geprägt; in Anlehnung an die "Klubisten" im Mainzer Jakobinerclub von 1793, hat man "geklubbert". (1793 hatten preußische Soldaten die Mainzer Demokraten einmal quer durch Frankfurt getrieben, bevor man sie auf der Burg Königstein einkerkerte).

Am 02.Mai 1834 wurde die Konstablerwache gleich nochmal gestürmt, diesmal gab es 6 Tote (die die Obrigkeit im Morgengrauen auf einer Mistkarre zum Friedhof hat bringen lassen) und auch einige Verletzte - ein inhaftierter Student entkam, etliche 'Befreier' wanderten ins Gefängnis und zwei starben dort, noch vor ihrer Verurteilung. Dieser Ganze Vorfall, bei dem sich die fliehenden Studenten – wie Lizius – an Betttüchern an der Wand der Konstablerwache abgeseilt hatten, dauerte gerade einmal 15 Minuten.

der Student Rubner seilt sich an der Konstablerwache ab

Rubner stürzte dabei ab, erhielt einen Bajonettstich in den Hals und erlag kurz darauf seinen Verletzungen

 

Am 02.Mai hatten die Soldaten des Frankfurter Linienmilitär wahllos auf alle umliegenden Häuser geschossen, auch auf das Bankhaus der Rothschilds (gelbe 5). Die Frankfurter waren nun sehr erbost, man munkelte, die Soldaten seien betrunken gewesen und es sei mit vergifteten Kugeln geschossen worden. In den folgenden Tagen kam es sogar zu Kämpfen zwischen Soldaten des Linienmilitärs und welchen der Frankfurter Bürgerwehr, die einen, durch eine verirrte Kugel getöteten Kameraden rächen wollten. Tagelang mussten österreichische und preußische Soldaten in der Stadt für Ruhe sorgen und ein österreichischer General übernahm das Kommando über die Frankfurter Truppen – „Der Schatten der Unabhängigkeit ist von der Freien Stadt Frankfurt gefallen“, wie eine britische Zeitung schrieb. Als dann im September 1834 im nahen Aschaffenburg ein Anschlag auf den bayerischen König verübt wurde, machten die Besatzungstruppen auch in Frankfurt keine halben Sachen, am 14.September wurden alle Straßen besetzt und an den Toren und auf der Brücke mit Schrot geladene Kanonen aufgestellt. Als aber nach zwei Stunden Wartens immer noch keine Revolution ausgebrochen war, zogen sich die Soldaten wieder in ihre Kasernen zurück.

Zwei Kämpfer des Bonameser Haufens, die nach dem 03.April 1833 fast alle unerkannt geblieben waren, die Orber (heute Bad Orb) Weimers und Geiger, ließen sich als Gefängnisaufseher rekrutieren. Weimers half im Oktober 1836 dem Studenten Rochau, aus dem Rententurm zu fliehen, Geiger spazierte im Januar 1837 gleich mit Sechsen aus dem Tor der Konstablerwache - und wieder wurde ein Lied gedichtet (eine Umdichtung des damals äußerst populären Liedes der Verfolgten, von Sauerwein und dem Hauptwachenstürmer Julius Standau (1810-69)). Aus dem Torschlüssel der Konstablerwache ließen die sechs Studenten sich später Ringe schmieden. Rochau entkam als Frau verkleidet nach Frankreich, von wo er nach langem Exil 1848 nach Frankfurt zurückkehrte, um - kurz - Redakteur des „konservativ-doktrinären“ Frankfurter Volksboten zu werden.

Damit waren jetzt überhaupt noch drei Wachenstürmer in Frankfurter Haft. Wer lieber freiwillig im Gefängnis geblieben war, das war der Pfälzer Student Hermann Moré (1812-80). Moré, 1832 selbst Gefangenenbefreier in Bruchsal, hatte der Polizei gegenüber umfassende Geständnisse abgelegt und diese mit Informationen versorgt, den wollten die anderen wohl nicht mitnehmen.

Organisiert worden waren diese Ausbrüche und Ausbruchsversuche, insgesamt mehr als ein Dutzend, vom Männerbund, einer Gruppe von etwa 60 Frankfurtern, zu denen aber nicht nur Männer, sondern auch äußerst streitbare Frauen gehörten. Köpfe dieses Bundes waren Carl Bunsen und Carl Körner, beide Brüder der oben genannten Hauptwachenstürmer. Nach dem Desaster vom 02.Mai rückte auch Carl Bunsen, für die nächsten Jahre ins Gefängnis ein, das er erst 1839 als totkranker Mann von 34 Jahren wieder verließ und bald darauf auch starb. Ebenfalls jung gestorben ist Annett Stoltze, die ältere Schwester des späteren Mundartdichters und Demokraten Friedrich Stoltze. Ebenfalls an allen Befreiungsversuchen beteiligt, musste sie dafür 1835 für vier Wochen in den Rententurm einrücken, wo sie sich die Tuberkulose, die Schwindsucht zuzog, damals ein Todesurteil. Ihr hat man aber 2019  in Frankfurt wenigstens eine Parkbank gewidmet.

 

War Sauerwein der Liedermacher der Frankfurter Demokraten, so war August Friedrich Ramadier (1790 – 1834) deren Maler. Alle wichtigen Ereignisse, u.a. der Hauptwachensturm, Funck im Gefängnis und auch die Flucht Lizius´ waren von ihm in Gemälden festgehalten worden, hier aber waren die Demagogenverfolger erfolgreicher, kein einziges dieser Frankfurter Demokraten-Bilder Ramadiers hat die Zeiten überdauert (eventuell stammt eine im Oktober 1831 erschienene Karikatur des Frankfurter Zensors von Ramadier).

Die Frankfurter Gefängnisse schienen wahrlich keine Hochsicherheits-Einrichtungen zu sein, schon im Juni 1832 hatte sich ein Massenausbruch aus dem Arbeitshaus auf dem Klapperfeld ereignet und nach den Fluchten von 1833 und 34 mehrte sich der Ruf nach einem Gefängnisneubau. Ganz besonders der Frankfurter Arzt und Hygieniker Varentrapp tat sich damit hervor. Der Arzt forderte jahrelang die Errichtung eines Sicherheitsgefängnisses nach pennsylvanischem System, in dem die Gefangenen in strikter Isolation gehalten wurden. Zum Glück aber - in diesen Einrichtungen waren die Häftlinge reihenweise wahnsinnig geworden - war Frankfurts Stadtvätern ein solcher Neubau zu teuer.

Den Großmächten reichte es jetzt in mehreren Hochsicherheitstransporten, zu denen jedes Mal die ganze Stadt unter Ausgangsperre gesetzt wurde, wurden die verbliebenen 20 politischen Gefangenen auf das Mainzer Fort Hardenberg gebracht und blieben dort auch. Sieben von ihnen wurde 1838 die Auswanderung ohne Wiederkehr in die USA finanziert,  „eine Maßregel sowohl der Klugheit als der gerechten Milde“, die anderen verbrachten die nächsten Jahre in Mainz, unter wesentlich besseren Haftbedingungen als in Frankfurt.

 

Aber wenigstens ein Frankfurter Polizist tat sich bei der auf den Wachensturm folgenden Welle von Demagogen Verfolgungen hervor, der Frankfurter Polizei-Gerichts-Assessor und Mundart-Dichter Georg Wilhelm Pfeiffer (1795-1871), das allerdings - wie man später lesen konnte, "versöhnlich und vermittelnd". Bei den von ihm verhörten Studenten liest sich das weit weniger freundlich, unter anderem in dem den Wachensturm beschreibenden Theaterstück „Julius Rubner“, 1844 verfasst vom Hauptwachenstürmer und Konstablerwachenflüchtling Julius Alban . Alban war mit Hilfe des Passes des Sohnes des Bleichgärtners Jonas Dörr, genannt, „der Frankfurter Lavayette“, entkommen, als Dörr 1851 mit 70 Jahren starb, wurde er „einer der ältesten Führer der (Frankfurter) Demokratie“ genannt. Auch die anderen Demokraten trugen konspirative Spitznamen, so war Carl Bunsen "das Gutchen", Funck "der Capitain", Freyeisen "Wolf" und Sauerwein "Essig". 

Ebenfalls 1844 erschienen war der vom Frankfurter Journalisten und Zeitungsherausgeber Sigmund Zirndorfer (1816-76) herausgegebene, den Wachensturm behandelnde Briefroman "Hermine oder der Aprilabend zu Frankfurt", in dem ebenfalls gewalttätige Verhörtechniken der Polizei beschrieben werden. Zirndorfer sah sich wohl selbst in einer Liga mit Heinrich Heine und Karl Gutzkow, konnte an diese künstlerisch aber nicht heranreichen und verdingte sich spätestens ab den 1850ern als Lohnspitzel des preußischen Konsulats in Frankfurt, was ihn unter Frankfurts Demokraten ganz besonders verhasst machte.

 

 Eine Charakteristik von Funck, Sauerwein und Freyeisen lieferte 1835 der Journalist Eduard Beurmann, der ging allerdings im Jahr darauf auch als Agent des Mainzer Informationsbüros nach Paris, um Heine und Börne auszuspionieren.

Assessor Pfeiffer war für sein hölzernes, gackerndes Gelächter im Frankfurter Theater bekannt und gefürchtet. Im Juni 1833 verärgerte er den russischen Gesandten von Anstett damit derart, dass er Pfeiffer im Theater, von seiner Loge aus die Zunge herausstreckte und ihn nachäffte. Zu einem Duell ist es damals nicht gekommen, wohl sehr zum Leidwesen der Demokraten.

 

Ganz besonders wurden jetzt auch die wandernden Handwerksgesellen beobachtet, diese standen unter dem Generalverdacht, alle in der Schweiz indoktriniert worden zu sein. Parallel zum studentischen Wachensturm hatten sich nämlich auch viele Gesellen des Schuster- und vor allem des Schneider Gewerbes zu gemeinsamen Aktionen gegen ihre übermächtigen Meister vereint. Im November 1833 schuf man da aber Fakten, 300 Schneidergesellen wurden auf Dauer aus Frankfurt ausgewiesen und als im April 1835 einige Gesellen alkoholselig, Freiheitslieder grölend, durch die Stadt zogen, wurden sie verhaftet und am nächsten Morgen sämtlich in ihre Heimatorte abgeschoben. Für die Frankfurter Obrigkeit reichte als Ausweisungsgrund aber auch schon das Tragen eines „Hambacher“ Backenbartes, wenn so ein Bartträger nicht sogar gleich mit 25 Stockschlägen bestraft wurde. Im Oktober 1835 traten die Bäckergesellen, denen die "Feiernächte" gestrichen wurden in den Streik (nur ein Teil der Bäcker arbeite bislang an Sonntagen, das wurde jetzt geändert), sofort ließ die Stadt Frankfurt die Rädelsführer ausweisen.

 

Seiten aus dem Wanderbuch des Frankfurter Schuhmacher-Gesellen Joh.Ph. Schwartz, der 1833 durch die Schweiz zog

 

Kurz nach dem gescheiterten Aufstand, erschienen Anzeigen im Frankfurter Journal und der deutschlandweit gelesenen Augsburger Allgemeinen Zeitung, von der Zensur ungehindert, dass man eine Auswanderungsgesellschaft formieren wolle.

Ein (heute Bad) Homburger Apotheker und ein Büdinger Pfarrer wurden vorgeschickt, um sich die USA mal anzuschauen. Als sie zurückkehrten erklärten sie, dass sie "um keinen Preis dort auch nur abgemalt sein wollten" - vielleicht hätte man zwei Bauern vorschicken sollen. Trotzdem brauchte man noch zwei komplette Schiffe, mit denen viele der Frankfurter und Wetterauer Demokraten in die USA auswanderten. Viele der akademisch gebildeten Frankfurter Wachenstürmer, die sich alle schon vom Gymnasium oder der Universität her kannten, siedelten sich gemeinsam bei Bellville /Illinois an. Georg Neuhoff, Bruder des verstorbenen Peter Friedrich, gründete dort eine Brauerei (sein Vater war nicht nur Schultheiß, sondern auch Wirt der "goldenen Gerste" gewesen), Unteroffizier Kempff, der die Konstablerwache erstürmen half, wurde Eiskeller- und Kohlebergwerksbesitzer, die Bunsen-Brüder besaßen große Farmen, ebenso deren Frankfurter Mitarbeiter Adolph Berchelmann, der eine Rotte Studenten beim Angriff auf die Hauptwache geführt hatte, die Frankfurter Dr. Homburg und Ilchner, gründeten eine Apotheke in Cincinnati und der Frankfurter Georg Engelmann betrieb mit dem Wachenstürmer Adolph Wislizenus (1810-1899), der zuvor noch in der Schweiz sein Studium beendet hatte, eine Arztpraxis in St.Louis. Wislizenus war nach dem gescheiterten Wachensturm von der Wirtin der Sonne in der Elisabethenstraße vor der Polizei versteckt worden. Einer der deutschlandweiten Organisatoren, der Frankfurter Jurist Dr. Gustav Körner wurde einflussreicher Politiker und er wird in den USA bis heute alljährlich wieder gefeiert, als der, der 1833 den geschmückten Weihnachtsbaum dort eingeführt hätte. Dem aus Dietzenbach stammenden Studenten und Wachenstürmer Fritz Hundeshagen war es mit Hilfe Frankfurter Freunde gelungen, in die Schweiz zu entkommen. Dort bereitete er sich akribisch auf sein Auswanderer-Dasein vor, er erlernte das Zimmermann-, das Schiffsbauer- und das Uhrmacherhandwerk. In den USA wurde er aber mehrfach betrogen und geprellt und 1848 fand man ihn wieder in Frankfurt, als Redakteur der ultra-konservativen und antisemitischen Kreuzzeitung.

 

Wem anscheinend das Geld und der soziale Rückhalt zum Auswandern gefehlt hatte, das war der kleinwüchsige (seine aus Nürnberg gemeldeten 4 Schuh und 4 Zoll würden ungefähr 1,32m entsprechen) Frankfurter Carl Andreas Wild. Der angebliche Doktor der Medizin Wild war um die vierzig Jahre alt, Apothekergehilfe und Autor einer ganzen Reihe von Lebensberatungshandbüchern. Wild schrieb auch Gedichte, die er 1830, von Eilenburg aus, wo er als "Privatgelehrter" bei seinem Bruder lebte, an Goethe nach Weimar geschickt hatte - erfolglos. Mehr Erfolg hatte er 1831 mit einem informativen aber auch sehr bärbeißigen Reiseführer über Frankfurt, in dem Frankfurts Obrigkeit gar nicht gut weg kam. Frankfurt, Preußen und Württemberg hatten ihn schon vor 1833  wegen "Pressevergehens" aus ihren Ländern ausgewiesen, als er zum Wachensturm in die Stadt zurückkehrte und hier drei Stiche erhielt. Mittellos reiste er durch Deutschland, arbeite hier und dort, 1843 wurde er wegen Diebstahls in Darmstadt zu einem Jahr "Korrektionshaus" verurteilt und 1848 veröffentlichte er ein Flugblatt-Gedicht zur Revolution - mehr war über ihn nicht herauszufinden.

 

Dieser akademische Aderlass Deutschlands wurde von konservativen und monarchistisch gesinnten Kreisen durchaus gerne gesehen, eine Zeitung forderte die die Obrigkeit sogar auf, die Demokraten-Auswanderung zu fördern, notfalls die „deutschen Jakobiner“ sogar zwangsweise zu deportieren.

 

Bewaffnet worden waren die Wachenstürmer vom Oberleutnant der Bürgerwehr-Artillerie, dem Waffenhändler und Schwertfeger Jakob Glauth. Glauth hatte schon 1832, ganz offiziell, die Bürgergarden von Hanau, Gelnhausen und Marburg mit alten französischen Gewehren ausgerüstet, er war Inhaber eines Messer- und Schwertergeschäfts auf der Zeil, direkt neben der Konstablerwache und so beteiligte er und seine Gesellen sich auch am Sturm eben dieser Wache. Nach einer Haft im Rententurm, wo er dem Assessor Pfeiffer während eines Verhörs an die Kehle gegangen war, rückte auch Glauth im Fort Hardenberg in der Festung Mainz ein. Aber Glauth, Vater von neun Kinder kämpfte und tatsächlich gelang es ihm 1838 zur Auswanderung nach Amerika begnadigt zu werden - allerdings ohne seine Familie, das war der Obrigkeit zu teuer, Glauth lehnte ab. Aber er resignierte - am 09.September 1840 durfte er sich in Mainz von seiner Familie verabschieden und sich gemeinsam mit seiner ältesten Tochter Bertha, die das Geld für die Reise selbst aufgebracht hatte, in die USA aufmachen. Seine Frau mit den übrigen acht Kindern blieb in Frankfurt – und das wohl auch nicht ganz unfreiwillig, den Glauth war kein armer Mann und so blieb nicht nur seine Frau, sondern auch sein Geld in Frankfurt. Um an seine Kinder und wenigstens die Hälfte seines Vermögens zu kommen kehrte er, der in New York wohl nicht so richtig Fuß gefasst hatte, 1846 – illegal – nach Deutschland zurück und versuchte, von Bockenheim aus, mit seiner Frau ins Reine zu kommen, allerdings erfolglos.

Ein Sturm der Hauptwache war übrigens keine ganz neue Idee gewesen. Schon am 25.Oktober 1832 waren mit Gewehren bewaffnete, weinselige Haufen von den Wirtschaften Bornheims aus, einmal quer durch die Stadt, über die Zeil, dabei Freiheitslieder singend, zur Hauptwache gezogen, um dort den Sachsenhäuser Literaten Christoph Freyeisen (1803-49) zu befreien. Freyeisen hatte gerade seine Kampfschrift „Republik“ veröffentlicht und war dafür am Tag zuvor in die Hauptwache eingerückt. Nachdem seine „Befreier“ einmal durch ganz Frankfurt marschiert waren, ohne von den Torwachen oder den Besatzungen von Konstabler- und Hauptwache daran gehindert zu werden, verloren sie ihren Mut, brachten dem Häftling ein Vivat und gingen nach Hause. Die Folge waren Massenverhaftungen in den folgenden Tagen, 17 Verhaftete blieben monatelang im Gefängnis.

Mehrfach habe ich die Wachenstürmer des 03.April 1833 als Freiheitskämpfer bezeichnet, so wie es  - wahrscheinlich – heute die meisten sehen, Der Frankfurter Wachensturm ist Teil der demokratischen Entwicklung des Vormärz und wird heute im allgemeinen positiv bewertet – auch wenn man damals gescheitert ist. . Im revolutionären Taumel des März 1848 wurde der Frankfurter Wachensturm positiv gesehen, es war sogar vorgeschlagen worden, den 03.April zum deutschen Nationalfeiertag zu machen, bis 1918/45 war das aber ansonsten anders; der heutige Frankfurter Wachensturm „Sturm“ gleich Dynamik gleich positiv, war direkt im Anschluss der Ereignisse das „Gründonnerstags-Komplott“, auch die "Frankfurt'sche Hambachiade" und wurde schon sehr bald zum „Frankfurter Attentat“ dass es auch jahrzehntelang blieb, „Komplott“ und „Attentat“ sind bis heute ganz und gar nicht positiv belegt.

"Das Frankfurter Attentat ... diese Erscheinung einer Periode der Aufregung, dieser letzte Kampf auf dem Rückzuge, als schon wieder die öffentlichen Interessen sich ins Enge zogen und in den herkömmlichen Geleisen des bürgerlichen und häuslichen Lebens sich  zerstreuten und verloren." aus dem Brockhaus von 1839

 

 

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