Alexander Ruhe: 1857 - Der Staatsanwalt, der Mörder und der Falschmünzer in Pey Mokum. Oktober 2014

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

Pey Mokum heißt auf Jenisch, der alten Gaunersprache, Frankfurt. Aus dem Jenischen, auch Rotwelsch genannt, haben wir viel in unsere Umgangsprache übernommen, „Pech haben“, „sich etwas pumpen“, “beschickert sein“, all das sind Begriffe aus dem Jenischen, die der ordentliche Frankfurter Bürger früher nicht verstand, weshalb man vielleicht im Jenischen mit „Frankfurter“ einen unbescholtenen Bürger meinte. Da aber alle Gauner - auch ein jenisches Wort - Jenisch sprachen, mussten auch die Polizisten diese Sprache lernen, weshalb vielleicht gerade Frankfurt sich auch besonders in der Erforschung dieser Sprache hervortat, schon in den 1820ern wurde in Frankfurts Gefängnissen ein Wörterbuch des Rotwelschen erarbeitet.  Genau diese Gefängnisse und auch die Justiz sollten jetzt modernisiert werden.  1848, in der Paulskirche tagte die Nationalversammlung, wollte man sich auch in der Frankfurter Stadt- und Staatsverwaltung demokratisieren - Gewaltenteilung musste her ! Zuerst sollte einmal die Justiz von der Verwaltung getrennt werden, die frühneuzeitlichen Institutionen, wie das Peinliche Verhöramt und die Polizeigerichtsbarkeit sollten abgeschafft, ein modernes Geschworenengericht eingeführt werden.

Da mit der Einführung des Organischen Gesetzes die Rechtsanwälte an Einfluss auf die Prozesse gewannen, brauchte Frankfurt jetzt auch einen Oberstaatsanwalt.  Diesen fand man in dem Elberfelder Juristen Julius Hecker (1806-1882). Hecker, der 1848 den Kölner Demokraten das Leben schwer gemacht hatte und der bei Karl Marx gar nicht gut weg kommt, trat sein Frankfurter Amt im September 1849 an - zumindest in der Theorie, in der Praxis aber zog es sich bis zum 01.Januar 1857 hin, bis in Frankfurt das hessische Strafrecht übernommen wurde, erst mal und da bestand die Opposition im Römer darauf, brauche man eine Verfassung und so blieb Hecker mehr als sieben Jahre lang einer der höchstbesoldeten Beamten des Staates ohne auch nur einen Fall zu bearbeiten. Mit der Einführung des neuen Rechts 1857 legte sich Frankfurt auch gleich ein Motto zu: Stark im Recht, da machte man keine halben Sachen.

Schon 1848 kam der damals 21 Jährige Hanauer Philipp Völker nach Frankfurt. Er war zuvor in Kassel aus dem Gefängnis ausgebrochen, nahm hier an den Straßenkämpfen des 18. Septembers teil und  kämpfte 1849 als Freiheitskämpfer in Baden. Nach dem Ende der Kämpfe ging er in seine Vaterstadt Hanau zurück, wo er, als gelernter Graveur ein Fachmann, anfing, Falschgeld herzustellen. Ende Mai 1850 verlegte die Falschmünzerbande ihre Werkstatt in den vierten Stock des Donnersberg, des Gasthauses, in dem 1848/49 die republikanische Linke der Nationalversammlung sich getroffen hatte. (der Donnersberg lag am Holzpförtchen, heute 50 m westlich des Rententurms, da wo rechts des Durchganges das Büro der Primuslinie ist)

Schon einen Monat später flog die Bande (wieder ein jenisches Wort) auf. Völker und seine Komplizen kamen ins Arbeitshaus auf dem Klapperfeld, wo er, nach eigener Aussage jetzt Jenisch lernte. Diese Sprache wurde ihm aber auch nützlich, denn er fing jetzt an, seine Mitgefangenen auszuhorchen und diese Informationen der Polizei weiter zu melden. Ein solches Gespräch, von Zellenfenster zu Zellenfenster, sorgte aber im September 1853 dafür, dass er in die wesentlich unangenehmere Konstablerwache strafverlegt wurde. Hier schaffte er es, mit einem Mordverdächtigen, dem 29 Jahre alten Michael Keller, in eine Zelle gesperrt zu werden. Völker hörte Keller aus und meldete alles brühwarm an die Polizei weiter (Polizei und Justiz waren damals ja noch nicht getrennt). Als Belohnung kam er zurück ins Arbeitshaus, wo er auch blieb, als im Mai 1854 seine Falschmünzer-Komplizen in das hessische Zuchthaus Marienschloss (noch unangenehmer als die Konstablerwache), in Rockenberg, 50 Kilometer nördlich Frankfurts, überführt wurden,  man brauchte ihn ja noch ! (Dafür ist er 1855 aber auch nicht in den Genuss der Amnestie gekommen, die seine Komplizen in die USA auswandern ließ, denn man brauchte ihn ja noch hier).

Im Dezember 1854 brach er aus dem Arbeitshaus aus, wurde aber vier Wochen später in Bornheim gefasst und nach Frankfurt zurückgebracht - ins Arbeitshaus - und das obwohl er auf dem Transport ein Messer gezogen hatte und einen erneuten Fluchtversuch unternahm, man brauchte ihn halt noch. So war er im Frühjahr 1857 immer noch da und konnte jetzt als Kronzeuge gegen Keller auftreten.

Der Franke Michael Keller, ein "hübscher Mann", dessen Eltern nach Amerika ausgewandert waren, war mit den bayerischen Besatzungstruppen nach Frankfurt gekommen und hatte seine Dienstzeit über im Militär-Hospital an der Pfingsweide als "Krankenwärter" gearbeitet (.dort befindet sich heute das Heinrich von Gagern Gymnasium - gegenüber des Zoos). Nach seiner Dienstzeit blieb er hier und arbeitet als Barbier-Gehilfe, der die Kunden seines Chefs in deren Wohnungen rasierte. Das Ziel Kellers war es, gemeinsam mit seiner Freundin, in die USA auszuwandern - da kam ihm allerdings etwas dazwischen.

Am Nachmittag des 10.Juli 1853 fand man nämlich den Leichnam des 72 jährigen Schlossermeisters Johannes Weigand mit zweifach durchschnittener Kehle auf dem Boden seines Wohnzimmers im Siebmachergässchen (heute Große Eschersheimer, gegenüber der Galeria Kaufhof). Weigand war frisch rasiert und es fehlten 50 Gulden in, großteils belgischen, 1 und 2 Guldenstücken.

   

Anfangs stuften die den Tatort untersuchenden Ärzte die Sache als Selbstmord ein, aber ein Selbstmord mit doppelt durchschnittener Kehle ? Man revidierte das Urteil und kam zum Schluss: Es war Mord !

Man hatte gesehen, dass jemand eiligen Schrittes vom Siebmachergässchen zur Zeil lief und außerdem wusste man, dass sich Weigand für gewöhnlich von Keller rasieren ließ. Dieser wiederum hatte sich an diesem Tag für 2 Gulden ein neues Hemd gekauft, er hatte Schulden beglichen und er hatte einen Blutfleck am Hals. Dummerweise aber hatte Keller für die Tatzeit ein Alibi aber jetzt machte man ernst, Keller sollte gestehen !

Man schüchterte den Entlastungszeugen ein, verhaftete ihn sogar und dieser widerrief seine Aussage. Man sperrte Keller für 10 Monate in die schlimmste Zelle des Arbeitshauses. Diese war kurz zuvor frei geworden, weil sein Vorgänger, der Offenbacher Einbrecher David Hirsch in ihr wahnsinnig geworden war und auch in der Konstablerwache war er "in einem finsteren Kerker" untergebracht, wie man in der Zeitung, und keinesfalls in einer wohlwollenden,  lesen konnte.

Während der Verhöre war Keller des öfteren mit Körperstrafen gedroht worden, ja einmal wurden ihm sogar 15 Stockhiebe erteilt, aber Keller gestand nicht.

In dieser Situation setzte die Polizei einen Spitzel zu Keller, dem man 4 Gulden versprochen hatte, aber der stellte sich dumm an und brachte nichts heraus und hier kam jetzt Völker ins Spiel. Der ausgesprochen intelligente Völker - seine Intelligenz wurde ihm vor Gericht vom Oberstaatsanwalt Hecker attestiert - schlich sich in Kellers Vertrauen, plante sogar eine gemeinsame Flucht mit ihm und bei der Fluchtplanung plauderte Keller alles aus.

Laut der alten Frankfurter Gerichtsordnung waren Aussagen von Häftlingen gegen andere Häftlinge nichts rechtsgültig, kein Frankfurter Richter hätte Keller also aufgrund dieser dürftigen Beweislage verurteilt. Ein Richter nicht, Geschworene aber schon ! So hielt man Keller für vier Jahre in Untersuchungshaft, bis man ihn vor Gericht brachte - vor ein Geschworenengericht, das jetzt erstmals möglich war. Beide Spitzel durften  in Heckers erstem Prozess aussagen, und Keller wurde 1857 zum Tode verurteilt .

Michael Keller, vom Frankfurter Senat zu lebenslanger Haft begnadigt,  wurde in das hessische Zuchthaus Dietz gebracht. 1877 wurde er endgültig begnadigt, blieb aber trotzdem, als Barbier, im Gefängnis. Dort starb er 1906 hochbetagt, und als hochbetagt hatten 1853 Frankfurts Zeitungen  schon das 72 Jahre alte Mordopfer Weigand bezeichnet.

Vorher hatte Keller aber noch in Frankfurt mit dem Journalisten Jean Baptist Müller-Herfurth gesprochen, dieser drohte die Sache wieder aufzurollen, er sprach von "Justizmord" . Aufgerollt hat er den Fall aber dann doch nicht . Schon 1903 hatte die in den USA erscheinende Indiana Tribüne mehrfach über den – scheinbar – unschuldig im Zuchthaus sitzenden Keller berichtet.

Ab 1878 durften Geschworene nur noch zu Fällen, bei denen nicht mehr als 5 Jahre Gefängnis zu erwarten waren, herangezogen werden, 1924 wurden Geschworenen-Gerichte in Deutschland ganz abgeschafft.

 

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