Ein Artikel aus der Reihe:
Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Am Vormittag des 09.November 1798 wurde der
Frankfurter Metzgermeister Koch in das Bürgerkustodie auf der
Mehlwaage (heute Fahrgasse / Ecke Weckmarkt) eingeliefert, wegen einer
„Unbotmäßigkeit“ sollte er acht Tage Arrest absitzen. Die Mehlwaage war
kein Kerker, in dem man mit Bettlern und Verbrechern hätte sitzen müssen,
sondern hier waren die Frankfurter Bürgersleut’ unter sich, hier saß man
kürzere Haftstrafen ab und gleichzeitig war die Mehlwaage auch, was anderenorts
der Schuldturm darstellte, ein Zwangsmittel der Gläubiger gegen ihre
Schuldner.
Trotzdem war die Mehlwaage kein angenehmer Ort. Im
Erdgeschoss (einen Keller gab es nicht) war, wie der Name ja schon sagt, die
Frankfurter Mehlwaage untergebracht, an der die Bäcker von den Müllern das Mehl
kauften. Hier ging es hoch her und oft mussten die Häftlinge den Mehlstaub,
der von unten hochzog, einatmen. Das Haftlokal mit den Zellen lag in ersten
Stock und in den Mansarden. Im zweiten Dachgeschoss war ein Lager für feuchte
und gesalzene Tierhäute untergebracht und außerdem wimmelte es im ganzern Haus
vor Ungeziefer. Man sah also auch schon damals die Mehlwaage als einen nicht
wirklich angenehmen Ort an, wenn man sie auch nicht mit dem Schanzerkeller
unter der Hauptwache oder mit den Turmgefängnissen in der Stadtmauer
vergleichen konnte.
Koch wurde vom Gefangenenwärter Benjamin Ehlers in
die Zelle Nummer 3 gesperrt, in der schon der Wirt Johann Georg Reifenstein
saß. Koch zog hier zwar seinen Hut vom Kopf, die Jacke ließ er aber an – heute
würde man vielleicht sagen: „das war im November, dem war einfach kalt“, aber
so großzügig war man damals nicht und es war klar: wer sich noch nicht mal die
Jacke auszieht vor einem anderen Bürger, von dem ist alles zu erwarten ! und so
kam es dann ja auch.
Nachdem man sich bekannt gemacht hatte, ging Koch ans
Fenster und schaute heraus. Unten ging gerade ein Metzgergeselle vorbei, den
Koch anrief und ihm auftrug, seiner Kusine auszurichten, ihm das Mittagessen
vorbei zu bringen. Der Geselle brachte dann allerdings nicht das Essen, sondern
ein dutzend weiterer Gesellen mit, mit denen sich Koch beratschlagte. Diese
liefen darauf zu den Metzgerschirnen (heute Kunsthalle Schirn) und bald
darauf stürmten mehr als 100 Metzger, mit ihren Beilen bewaffnet, die
Mehlwaage. Gefangenenwärter Ehlers zog es vor, den Metzgersturm nicht in der
Mehlwaage abzuwarten, er eilte los, um vom Brückenturm zwei Mann zur
Unterstützung zu holen. Er trug seiner Frau noch auf, auf die Gefangenen
aufzupassen, und weg war er. Da er auch den Schlüssel mitgenommen hatte, konnte
seine Frau den wütenden Metzgern die Tür nicht öffnen und sie schlugen diese
dann mit ihren Beilen kurz und klein und, wo sie gerade schon dabei waren, auch
die Fensterläden links und rechts. Die Metzger holten jetzt Koch aus seiner
Zelle und trugen ihn im Triumph in ihr Viertel. Der Wirt Reifenstein
blieb lieber da wo er war und informierte später die Obrigkeit darüber, was
denn eigentlich vorgefallen sei, eine „Amtsperson“ war ja nicht dabei gewesen.
Jetzt aber macht der Rat ernst und er verurteilte die Metzgerzunft sie einer Geldstrafe von 600 Talern (900 Tagelöhnen eines Metzgergesellen), wenn sie Koch nicht auslieferten. Soweit, dass sie Geld dafür bezahlen würden, ging die Solidarität in der Metzgerzunft allerdings dann doch nicht, Koch wurde ausgeliefert und die Mehlwaage blieb die Mehlwaage und wurde nicht zur Frankfurter Bastille. Der Rat Frankfurts war allerdings auch schon sensibilisiert, was Gesellenunruhen anging. Erst im Juni 1798 hatte es einen Streik der Schneider-, der Schlosser-, der Schreiner- und der Zimmermannsgesellen gegeben. Unter Führung des Schreiners "Bonaparte" waren diese durch die Stadt gezogen, wo man ihrer nur mit Hilfe des Bürgermilitärs und der Metzgergesellen (!) Herr werden konnte. Auch bei der Niederschlagung des Bierkrawalles von 1795 waren die Metzgergesellen tatkräftig gegen die Gesellen der anderen Gewerke vorgegangen.
Keine
gute Figur hatte bei dieser Geschichte der Aufseher Ehlers gemacht, ein
paar Jahre darauf brachte es Ehlers sogar vom Aufseher, zum Häftling in der
Mehlwaage. Schon seit einem halben Jahr war im März 1802 Anton Klein wegen
betrügerischen Bankrottes in Haft. Eines Abends wurde er von seinen drei Neffen
besucht, als dann noch ein Dienstbote Kleins Abendessen brachte, waren sie zu
fünft in der Zelle. Als eine Stunde darauf vier Männer die Zelle auch wieder
verließen, war Ehlers damit zufrieden. Als er später nach Klein schaute,
musste er feststellen, dass nicht dieser, sondern einer der Neffen in der Zelle
saß. Dieser Neffe sagte ihm, Klein sei in der Nachbarzelle, wo gerade ein
anderer Häftling im Sterben lag. Ehlers setzte sich jetzt, bevor er nachschauen
ging, erstmal zu Kleins Neffen aufs Bett und rauchte sein "Stümpchen"
(eine Zigarre könnte man denken, diese waren 1802 aber noch gar nicht in Mode,
deshalb wohl eher eine kurze Pfeife). Das war Frankfurts Obrigkeit aber zu viel,
das sah noch Bestechung aus und Ehlers wanderte in eine seiner eigenen Zellen
und wurde unehrenhaft entlassen. Allerdings appellierte Ehlers Frau nun an den
Hohen Rat der Stadt Frankfurt und bat um Gnade, die ihm auch gewährt wurde.
Nach einem Jahr Suspendierung, wurde er wieder angestellt.
Spätere Jahrzehnte prangten die menschenunwürdigen
Bedingungen, die auf der Mehlwaage herrschten, an, ja bezeichneten diese als „die
Bleikammern Frankfurts“. Man forderte den Abriss dieses unwürdigen Ortes,
der ja sowieso nur den freien Blick auf den Dom verbauen (auch heute
hängen rings um den Dom Plakate, die genau die Erhaltung dieses Blickes
fordern, also ein elementares Bedürfnis der Frankfurter), hat aber alles nichts
genutzt, erst in den Bombennächten des zweiten Weltkrieges ging die Mehlwaage
unter, da allerdings nicht mehr als Gefängnis, sondern als Museum (also genau
umgekehrt, wie die Nazis das sonst gehandhabt haben).
Sandsteinrelief am Haus gegenüber des alten Standortes