Alexander Ruhe:  1840 - der Bauerkeller-Plan - erster und einziger Reliefstadtplan Frankfurts. März 2024

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

Im 19.Jahrhundert war das Leben schneller geworden und Frankfurt, das über mehrere Jahrhunderte hinweg eine konstante Einwohnerzahl hatte, begann zu wachsen. Hatte es zuvor noch gereicht, alle paar Jahrzehnte einen Stadtplan Frankfurts herauszubringen, wurden diese Intervalle kürzer und die Zahl der Stadtpläne und Karten herausgebenden Verlage nahm zu. Ganz besonders als 1836 die Geographische Gesellschaft Frankfurts gegründet wurde - als vierte weltweit! - wuchs die Zahl der Stadtpläne sprunghaft an und in jedem Jahr wurde mindestens ein neuer Plan der Stadt herausgegeben. Eigentlich hatte ich gedacht, ein ganz guter Kenner dieser Pläne zu sein; um so überraschter war ich, als im Frühjahr und im Sommer des letzten Jahres gleich zweimal ein mir bis dahin noch unbekannter Stadtplan Frankfurts und dazu auch noch ein Reliefplan im Internet-Auktionshaus Ebay angeboten wurde und anscheinend auch gleich einen Käufer gefunden hatte und dass für jeweils einen sehr ordentlichen Preis.

Ich forschte diesem Plan jetzt nach und hatte das Glück, ein guterhaltenes Exemplar im Frankfurter Stadtarchiv zu finden, wo ich es tatsächlich auch anfassen durfte, was bei einem Reliefplan natürlich nicht unwichtig ist. Dieser Plan ist für seine Zeit tatsächlich ein Meisterwerk, ist es dem Drucker doch gelungen, nicht nur einen präzisen Stadtplan Frankfurts in sieben verschiedenen Farben zu drucken, sondern auch noch die Erhebungen des Reliefs genau entlang der Farbverläufe auszurichten.

Detail der Rückseite

Anders, als bei allen anderen Stadtplänen, die ich kenne, sind die Straßen nicht an einer schwarzen Kontur zu erkennen, sondern bunt, durch das Relief aber eindeutig erkennbar. Außerhalb des Anlagenrings gibt es, mit Ausnahme des Zuges, keine Reliefs mehr und die Straßen haben eine weiße Kontur.

Ich forschte den Kartografen nun nach und war überrascht, trotz des Pariser Verlages, einen Frankfurter Ursprung feststellen zu können. Die beiden Halb-Brüder Georg Michael Bauerkeller (1805-1886) und Georg Leonhard B. (1809-1848), geboren in Wertheim am Main, waren 1831 nach Frankfurt gekommen, wo sie im Verlag von Johann Phillipp Streng als Drucker arbeiteten, aber auch geografische Vermessungen der Stadt, für einen Stadtplan vornahmen. Sie waren hier auch mit dem Pionier der Reliefkartografie, mit August Ravenstein bekannt, für dessen Rheinrelief sie ihm auch zuarbeiteten. 1832 veröffentlichte Georg Michael eine Post(kutschen)karte Europas, die als erste Karte überhaupt angesehen wird, die die Druckverfahren des Buch- und des Steindruckes zusammenführte, leider lag diese Karte dem Routenbuch, das mir vorlag, nicht mehr bei. 1833 verließen die Beiden Frankfurt aber dann wieder, um 1837, bzw. 39 nach Paris auszuwandern.

1833? Nach dem Frankfurter Wachensturm? Und dann auch noch nach Paris, wo alle Deutschen im Exil, auch Ludwig Börne saßen? Das weckte mein Interesse dann vollends, klang das doch sehr nach zwei Demokraten, die in der Zeit der Repression, das Land verlassen mussten. Da ich, außer der Tatsache, dass sie viele Karten veröffentlicht hatten, nichts über die Brüder Bauerkeller hatte herausfinden können, wandt ich mich an den französischen Bauerkeller-Sammler und -Kenner Richard Olivier.  Monsieur Olivier hatte tatsächlich Einblick genommen in die Pariser Polizeiakten der Zeit - als ausländische Drucker waren sie mit Argusaugen überwacht worden - aber die politische Polizei konnte an den Beiden nichts verdächtiges finden, sie seien "empfehlenswert, in jedem Aspekt ihres Charakters" wurde ihnen bescheinigt, also wohl doch keine Demokraten und Unterstützer Börnes.

Die Beiden knieten sich in die Arbeit und 1839 brachten sie einen meisterhaften Reliefplan von Paris heraus, dann gleich noch einen von Versailles und im Frühjahr 1840 den von Frankfurt und es folgten Schlag auf Schlag weitere Stadtpläne, von London, New York und Rom und dann noch weitere mehr (1843 auch einer von Darmstadt, wohin der jüngere Bruder zurückgegangen war). Bei diesem Tempo konnten natürlich nicht alle Pläne tagesaktuell sein und ich schaute mir den Frankfurter Plan nun genauer an. Auf der Rückseite des Planes steht handschriftlich, dies sei die erste Auflage von 1841, es gäbe aber auch noch eine zweite. 1841 stimmte schon einmal nicht, denn die Bibliographie des France vom Juli 1840 führt den Frankfurter Reliefplan Bauerkellers schon auf und eine abweichende Ausgabe hatte ich bei den im Internet veröffentlichten Plänen der Nationalbibliotheken von Paris und Warschau (bisher) auch nicht erkennen können und so schaute ich mir das hier in Frankfurt vorliegende Exemplar genauer an. Auf diesem ist die erste, mir bekannte, Darstellung der Taunusbahn zu sehen,

allerdings ohne, dass ein konkreter Ort des Bahnhofs eingezeichnet wäre. Die Taunusbahn ist im Sommer 1839 eingeweiht worden und dass der Bahnhof am Gallustor liege, hatten auch die Zeitungen geschrieben, aber wo genau hatte offensichtlich keiner der Brüder hier in Frankfurt ausgemessen. Auch andere Details sind relativ veraltet, so war 1839 das Gymnasium, das auf dem Bauerkeller-Plan noch unterhalb der Paulskirche liegt schon abgerissen um Platz zu schaffen für ein neues Börsengebäude und einen Paulsplatz und auch das Heiliggeisthospital  war schon geschlossen und ist 1840 ebenfalls abgerissen worden - die beiden gelben Pfeile.

die einzelnen Stadtquartiere in unterschiedlichen Farben

Das erst 1837 zur Post umgebaute Rote Haus auf der Zeil ist aber schon als "Post-Expedition" vermerkt. Ein Gebäude allerdings, das Leonhard Bauerkeller sicherlich von innen gesehen hat, als er 1839 nach Paris fuhr.

Sicherlich stammten also die Vorarbeiten zu diesem Stadtplan noch aus ihrer Frankfurter Zeit und ich hätte wohl diesen Artikel nicht verfasst, wenn ich bei meinen weiteren Recherchen zur Frankfurter Zeitungsarchäologie nicht noch einmal über den Kartografen Bauerkeller gestolpert wäre und diesmal hatte der mit seinen Plänen gleich in die Weltgeschichte eingegriffen. Zehn Jahre lang hatte Michael Bauerkeller an seinem Meisterwerk gearbeitet - ein monumentales Kork-Reliefmodell von Paris im Maßstab 1:5000, zu dessen Betrachtung man idealer Weise einen Operngucker benutzte. Auf diesem Riesenplan konnte man nicht nur die von Hausmann durch die Hauptstadt gebrochenen Boulevards sehen, sondern auch jedes einzelne Haus und die Befestigungen. Ich habe keine Größenangaben dieses Stadtmodells gefunden, außer "die Bodenfläche eines mittleren Zimmers", habe aber ausgerechnet, dass er wohl eine Fläche von 5x4 Metern gehabt haben muss, wobei selbst ein 25 Meter hohes Haus auf diesem Modell gerade einmal fünf Millimeter maß.

Diesen Plan sah 1869 auf einer Industrieausstellung in Baden-Baden der preußische König und spätere Kaiser Wilhelm und war begeistert, unbedingt wollte er den Plan kaufen und bot Bauerkeller 60.000 Francs  - ein Vermögen (knapp 17,5 Kg Gold). Bauerkeller lehnte bedauernd ab, denn er hatte den Plan schon dem französischen Kaiser Napoleon verkauft. Über den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870 hatte der Kaiser der Franzosen wohl vergessen, den Stadtplan abzuholen oder gar zu bezahlen und so fiel er im belagerten Paris in die Hände der Kommunarden, die ihre Stadt gegen die eigene Regierung und die deutsche Armee verteidigten und zur Koordination der Abwehr eben diesen detailreichen Reliefplan nutzen.

Wieder im Besitz Bauerkellers, präsentierte dieser den Plan 1873 auf der Weltausstellung in Wien, wo ihn wiederum die deutsche Kaiserin besah. Bauerkeller bot den Plan nun zum Kauf an, aber das deutsche Kaiserhaus war nicht mehr interessiert und eine Zeitung mutmaßte, der preußische König habe den Plan wohl für seinen Generalstab kaufen wollen, der aber Paris nun schon aus eigener Anschauung kenne.

Was dann später aus diesem Plangiganten-Korkmodell wurde habe ich - trotz eifrigster Recherche - nicht herausgefunden, ich denke aber, hinge er im Louvre oder in einem anderen französischen Museum, dann hätte ich ihn bestimmt gefunden.  Ein Bauerkeller'sches Stadtmodell aus Holz und Pappe, über das ich auch nur zufällig gestolpert bin, ist die 1871 von ihm in Wertheim angefertigte Ansicht seiner Heimatstadt. Vielleicht gibt es also eine ganze Reihe dieser Einzelstücke.

In meinem Text schwanke ich bei der Beschreibung von Bauerkellers Kork-Paris öfters zwischen "Plan" und "Modell". Tatsächlich könnte man unterscheiden in : aus Papier gleich Plan, dreidimensional aus Kork, Holz, Styropor usw. Modell. Gleichzeitig würde man aber auch einem Plan eine eher "planerische", auch militärische Funktion einräumen, ein General will einfach wissen, wie es hinter der Mauer aussieht, vor der seine Truppen liegen und ein Stadtplaner, wo er noch bauen kann und was für Hindernisse ihm dabei evtl. im Weg liegen während man ein Modell eher in den Bereich der Architektur und der Kunst einordnet. Aus dem 18.Jahrhundert gibt es in den Museen von Kassel, Aschaffenburg und Darmstadt z.B. große Korkmodell Sammlungen mit Gebäuden aus dem antiken Rom und in Frankfurt hat sich ganz aktuell auch ein Künstler wieder dem alten Rom in Kork angenommen - das sind Modelle. In Paris gibt es aber eine große Sammlung von "Plan-Reliefs", Stadtansichten aus ganz Frankreich, mit den Befestigungsanlagen Vaubans, ebenfalls aus Kork und die war ganz klar zur Schulung der Offiziere angelegt worden. Diese Kork-Pläne waren 1815, nach der Schlacht von Waterloo, von der preußischen Armee als so wichtig angesehen worden, dass sie die Ansichten von Plätzen im Norden und Osten gleich mitgenommen hat. Jetzt müsste man unterscheiden, in welcher Traditionslinie Bauerkeller sein Miniatur-Paris gesehen hat und immerhin war es schon wieder die preußische Armee, die sich dafür interessiert hat - dann bleibt es wohl bei Plan-Modell.

In meiner Überschrift schreibe ich, der Bauerkeller-Plan sei der erste und einzige Reliefplan Frankfurts. Tatsächlich gibt es schon seit einigen Jahren im Stadtgebiet Frankfurt mehrere Reliefpläne, zum Beispiel in der Touristeninformation mit einer Beschriftung in Blindenschrift. Dieser taktile Stadtplan zeigt in etwa den selben Kartenausschnitt wie der Bauerkeller-Plan, die Stadt innerhalb des Anlagenrings. Aber dieser Plan ist nicht auf Papier gedruckt, sondern aus Metall und Kunststoff und es sind auch nicht tausende, sondern nur einige wenige davon hergestellt worden und somit sind das doch - mehr oder weniger -  Einzelstücke.

 

 

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