Alexander Ruhe: 1870 - Ein Flohmarktfund - Kriegsbriefe des Wallufers Franz Kniesling aus dem deutsch-französischen Krieg. Februar 2024
Ein Artikel aus der Reihe:
Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Bei einem Bummel über den ersten gut besuchten Mainufer-Flohmarkt diesen Jahres, das Wetter ist frühlingshaft, stieß ich auf eine Kladde mit maschinenbeschriebenen Seiten aus Pergamentpapier, in der 1896 seine Schwester - mit einer der ersten Schreibmaschinen wohl überhaupt - die Kriegsbriefe des jungen Soldaten Franz Kniesling aus Walluf transkribiert hatte.
Eigentlich veröffentliche ich hier nur Geschichten von und über Frankfurt, da ich selbst aber in Wiesbaden-Dotzheim, vielleicht 7 oder 8 Kilometer entfernt von Walluf aufgewachsen bin, dachte ich auf dem Flohmarkt: "einer von uns!", kaufte die Kladde und veröffentliche hier jetzt diese bisher unveröffentlichten Briefe. Dieser Text wurde zwei Jahre vor dem Erscheinen der ersten Schreibmaschine deutscher Produktion getippt, weshalb er zwar die kleinen Umlaute aber keine großen und auch kein Sz aufweist.
Ganz offensichtlich hat es damals noch keine Briefzensur der Soldatenpost gegeben. Die Briefe lesen sich viel, viel offener und freier, als solche aus dem ersten und dem zweiten Weltkrieg. Die ca. hundert Briefe nach Hause schrieb Franz tagebuchartig, er bat auch mehrmals darum, dass seine Briefe für ihn aufgehoben würden. Er schrieb von seinen Kriegserlebnissen, von Kälte, Hunger und auch vom Leid der Zivilbevölkerung. Anfangs noch etwas sehr unreif, arrogant und chauvinistisch, entwickelte Franz während seiner Monate in Frankreich einen liberaleren Blick auf die Welt. Der gebürtige Nassauer Franz ist ultra-patriotisch preußisch/deutsch, wenn auch ein Teil seiner Verwandtschaft im belagerten Paris lebte.
Immer wieder fordert Franz (er bittet nicht darum) große Summen Geldes von seiner Mutter geschickt zu bekommen und sein allerhöchstes Streben - er will einen Säbel. Dieser kommt aber sehr lange nicht. Als er ihn dann endlich hatte, ist er, seinen Männern voran, den Säbel in der Hand, erschossen worden.
Franz, der Sohn eines früh verstorbenen Wallufer Arztes war 1849 geboren worden und war somit, als er Anfang Januar 1871 in Frankreich fiel, 21 Jahre alt. Der Familie hatte man mitgeteilt, er sei mit einem Schuß in die Stirn von einem Franctireur, einem Partisanen, wie wir heute sagen würden, getötet worden. Der Wiesbadener Großindustrielle, Wilhelm Kalle (1838-1919), der mit Franz Knieslings (Halb)-Schwester Franziska (1842-1897) verheiratet war, und ein weiterer Verwandter fuhren nun nach Frankreich, um den Leichnam zu exhumieren und nach Walluf zurückzubringen, dabei stellte man fest, dass Franz alle möglichen Wunden davongetragen hatte, bloß keinen Schuß in die Stirn.
Bilder und Karten , die Franz nach Hause schickte, lagen der Abschrift der Briefe nicht bei und sind alle von mir beigefügt. Ich habe die alte Rechtschreibung, die Franz nutzte, beibehalten, auch wenn Franz in seiner Orthografie keinesweg einheitlich verfahren ist.
Auf dem Buchdeckel steht handschriftlich "S.Wilhelmi". Einem zweiten Buch, das ich am selben Flohmarktstand gekauft habe, eine Regimentsgeschichte aus dem ersten Weltkrieg, lag ein ebenfalls handschriftlicher Lebenslauf des Frankfurter CDU-Mitgründers Hans Wilhelmi (1898-1970) bei und dessen Mutter Sophie (1868-1920) war eine geborene Kalle und die Nichte von Franz.
Und hier die Briefe:
Coeln, 16ten Juli 1870
(Samstag)
Zwölf Uhr hier angekommen. Alle Hotels überfüllt, lauter
Franzosen, die, Angst vor Prügeln, sich eilen nach Paris zu kommen. Schlafe
mit Onkel Alex im Frühstückssaal und obligaten Unannehmlichkeiten. Melde
mich morgen früh, habe aber noch Zeit bis Montag, so dass [ich] vielleicht
noch nach Fulda kommen kann, schreibe Euch dann sofort, Auf der Fahrt
begegneten schon mehreren Militärzügen. Die Hurrahs der Mannschaften erheben
einem das Herz. Ich hoffe, bald kommen wir wieder. Onkel Alex hofft über
Verviers gehen zu können, wenn Verbindung morgen noch nicht abgebrochen.
Adressiert fürs Erste in den Mainzer Hof. Die herzlichsten Grüsse für Alle,
Alle !
Franz.
Dass heute nach
Gummersbach* musste, hast von Onkel Alex erfahren, ich habe in dieser Tour
das Unmögliche geleistet, in 8 Stunden hin und zurück, noch schwindelt mir
der Kopf. Um 11 Uhr kam heute Abend zurück, hatte so noch Zeit, Onkel Alex [
Bruder der Mutter Alexander Louis Chamot 1824-1881, die Chamots sind eine
alte Frankfurter Familie]
zur Bahn zu bringen. Er ist abgereist, wird wohl nach Paris kommen, da alle
die Nachrichten von Unruhen, aufgehobenen Bahnen, Ente waren. Ich werde
wahrscheinlich morgen früh nach Fulda reisen, wenn nicht hier bleiben muss.
Sollte meine Einberufung nach Walluf kommen, lautet dieselbe nach Fulda, so
schicke sie sofort an Alfred, lautet sie
hierher, so an meine hiesige Adresse. Ich lechze nach Turco-Blut, doch werde
noch lange mich gedulden müssen. Die Auspicien [ Aussichten] gestalten sich
immer günstiger für uns, immer schlechter für ihn. Herzliche Grüsse an Alle.
Und vergesst nicht, mir oft zu schreiben. Du kannst ein kleines Copierbureau
einrichten, die wenigst beschäftigten Mitglieder der vielbeschäftigten
Familie Walluf können abwechselnd täglich copieren. Onkel Alex brachte den
Morgen damit zu, seinen Koffer zu suchen, am Mittag besah er mit Müller
Coeln.
(Sonntag Abend, den 17ten Juli)
Franz.
* In Gummersbach war Franz an einem Bergwerk beteiligt.
Turcos oder auch Turkos, waren in Nordafrika ausgehobene französische Kolonialtruppen
Coeln, den 19ten Juli 1870
Liebe Mama! [Sophie Kniesling, geb. Chamot
1822-1901]
Der Würfel ist gefallen,
ich konnte mich nicht mehr zum 88sten Regiment melden, weil schon zum 6ten
rheinischen Inf.Reg.No.68 einberufen war. Dieses Reg. steht jetzt in
Coblenz, willst Du mir, bitte, fürs Erste meine Briefe an den unten
angegebenen Gasthof adressieren. Meine Compagnie schreibe ich Dir nächstens.
Zum Glücke kannte ich einen Premierleutnant von früher, welcher mir jetzt
einen Empfehlungsbrief an einen Hauptmann dieses Reg. mitgegeben hat. Es
kann mir dies viel nützen, denn ich höre, es ist sehr schwer, gleich
Vicefeldwebel zu werden; da das Reg. in Coblenz steht fürs Erste, brauchst
Du Dich garnicht zu ängstigen. wie ich höre, soll von Coeln bis Mainz der
ganze Rhein belegt werden, wäre es für Euch doch zeitgemäss, bald nach
Schlangenbad überzusiedeln. Dass Tante Nathalie [Frau von Onkel Alexander,
geb.1830 in Paris- gest. 1916 ebenda. geborene Thurneyssen, eine alte
Frankfurter Familie] geblieben ist, kann sie sich
nicht genug freuen, denn die Reise, besonders mit den Kindern [ Emma
1854-1891 und Paulo 1862-?], würde jetzt
eine ungeheuer beschwerliche sein. Hier ist alles in grosser Aufregung, man
fängt heute schon an, die Glacis [das Vorfeld der Festung] zu rasieren, um
für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Die Begeisterung hier ist
fabelhaft, am Abend wird in den Conzert-Lokalen: "Ich bin ein Preusse", die
"Wacht am Rhein" gespielt, das ganze Publikum stimmt triumphierend ein. Die
einberufenen jungen Leute arbeiten schon alle nichts mehr, an allen
Strassenecken sind Blätter angeschlagen, Bilder, welche Napoleon in den
Armen des Teufels darstellen. Bitte, schicke mir in Deinem nächsten Briefe
auch Geld, ich habe zwar auch bei Müller etwas aufgenommen, aber die
Extrapost etc. hat mich viel gekostet, jetzt kommt es wohl nicht auf ein
paar Thaler an. Richte es so ein, dass Dein Brief mit Geld spätestens am
Donnerstag Abend oder Freitag früh in Coblenz ist.
Ich hatte mich so
gefreut, einmal ein paar Tage ruhig in Walluf bleiben zu können, das ist nun
leider nichts, doch ist der Krieg erst glücklich beendet, sind die
Franzosen, wie wir alle fest vertrauen, geschlagen, dann erkläre ich mich
für einige Zeit permanent in Walluf.
Dein Franz.
Du siehst, so lange
es mir möglich, schreibe ich Dir alles, deshalb vergesst mich auch nicht,
schreibt mir recht, recht oft, alles was Ihr vornehmt, gerade in solchen
Lebenslagen interessieren einen die, welche man liebt, doppelt. Die
herzlichsten Grüsse an Alle, Alle. Sag zu Emma, ich würde ihr nun leider
sobald keinen dressierten, frei vorzuzeigenden Turco schicken können,
Adresse: Gasthof zum Riesen, Coblenz.
Den 24sten Juli
Liebe
Mama
Ich habe Dir einige Tage nicht geschrieben, es waren unruhvolle,
ungemütliche Tage, die ich durchlebt. Im grossen Militärzuge fuhren wir
vorgestern von Coeln nach Coblenz, wie wir so durch die blühenden Gauen des
alten Vater Rhein fuhren, an allen Stationen uns die Begeisterung der
Bevölkerung empfing, wurde man sonderbar erregt, innerlich schwur man sich,
fest treue Wacht zu halten am alten Rheine, mit dem letzten Blutstropfen
einzustehen fürs Vaterland. Es entrollten einem Thränen der Begeisterung,
muthig schwellte sich das Herz, aber auch zornig ballte sich zu gleicher
Zeit die Faust aus Wuth, dass die freche Laune eines Abentheurers zwei
stolze Nationen vor den Schlund der Kanonen stellen kann, man muss sich
ärgern über die Grande Nation, welche im Zeitalter der Intelligenz es
duldet, dass ein solcher Mensch ihnen Gesetze diktiert. Wir können nicht
anders, wir kämpfen im Recht, wir werden siegen, denn die ganze Armee ist
beseelt von einer hehren Begeisterung, welche kein Strohfeuer serviler
Fürstenknechte, sondern das Bewusstsein der eignen Stärke einer stolzen
Nation, welche sich beleidigt fühlt und draufgeht. Von Coblenz wurden wir
sofort nach Ehrenbreitstein transportiert, dort lag ich bis heute Mittag,
konnte nicht heraus, also auch im Riesen weder leben sollen noch fragen, ob
Briefe von Dir. Ich bin jetzt furchtbar schlimm daran, habe weder Strümpfe
noch Geld. Und bitte Dich, mir sofort Thaler 100 * zu schicken, es ist das
beste, denn alle haben sich mit viel Geld versehen, denn später sind die
Sendungen zu unsicher, Auch kannst Du mir dazu, wenn Du willst, selbst, oder
von anderer schöner Hand, einen vorschriftsmässigen Geldbeutel (zum um den
Hals hängen) nähen; folgendes ist die Form: [ hier folgte sicherlich ein
Bild, das nicht mit übertragen wurde] Auch kann mir Grode, der ja mein Mass
hat, ein Paar grosse, bis an die Kniee reichende, recht dicke Stiefel
machen, welche Du mir, bitte, schickst.-
Durch die Eile, mit welcher in
Coblenz alles ging, konnte ich mir nichts mehr anschaffen. Zum Vicefeldwebel
habe ich fürs Erste keine Aussicht, darf infolgedessen, was das
unangenehmste, keinen Koffer mitnehmen, denn der Oberst ist ein komischer
Herr, überhaupt habe ich grosses Pech gehabt, derselbe scheint schlecht
angeschrieben, wird wahrscheinlich den ungeheuer schweren Dienst in Coblenz
versehen müssen, ohne nur irgend einen Feind zu sehen. Hier liegen wir jetzt
in einem infamen Nest, ich habe das Vergnügen, mit etlichen, schmutzigen
Kerls auf einer elenden Stroh zu liegen. Die Haare habe ich mir schon
abrasieren lassen, denn Schnaken gibt es zwar nicht, aber vor Flöhen und
Läusen muss man sich sehr hüten. Ich habe sehr ungemüthlichen Dienst, als
Corporalschaftsführer habe ich mich den ganzen Tag mit der mir untergebenen
Mannschaft zu befassen. Ich habe das hohe Glück gehabt, einen sehr
arroganten Hauptmann zu bekommen, mit dem schon am ersten Tage in
Disharmonie gerieth. Das sind so die Schattenseiten. Wäre man nicht
ernstlich von der Gute der Sache überzeugt, man könnte irre werden ! Ich
denke oft an Euch, ja sogar immer, denn alles was ich liebe, ist jetzt in
Walluf und Umgegend. Onkel Fritz thäte mir einen grossen Gefallen, wollte er
mir manchmal Zeitungen schicken, man erfährt hier garnichts. Das Geld
schicke bitte umgehend, hast Da schon nach Coblenz geschickt, so kannst Du
es zurückverlangen, schickst Du nicht, so komme ich in grosse Verlegenheit.
Auch die Stiefel bitte umgehend.
Denkt manchmal an mich, schreibt recht,
recht oft, immer unfrankiert, Feldpostbrief.
Adresse: Unteroffizier
Kniesling
6ste Comp. des 6ten rhein.Inf.Reg. 68, 8tes Armeecorps
zur
Zeit in Hillscheid bei Coblenz.
Herzlichste Grüsse an Alle, Alle.
Grode soll sich eilen.
* 100 Taler waren bei der Einführung der Mark 1871 300 Mark wert. Für 300 Mark bekam man 1871 100 Gramm Gold, heute (Februar 2024) etwa 6000,-€ und dafür musste ein Arbeiter etwa drei Monate lang arbeiten.
Feldpostbrief.
Den
26sten Juli
Liebe Mama !
-
Deinen zweiten lieben Brief habe ich gestern erhalten, leider aber noch
nicht den Geldbrief, was mich in grosse Verlegenheit setzt, denn Mittwoch
rücken wir glücklicherweise aus, muss ich mir also erst noch Stiefel kaufen,
überhaupt Geld haben, könntest Du mir nicht doch noch etwas bis dahin
schicken, denn es ist immer besser mehr zu haben, denn, weiss Gott, wie
später die Postverbindung wird, auch weiss ich nicht, ob der andere Brief,
der so viele Probefahrten gemacht, zur Zeit ankommt. Wohin wir gehen, ist
unbestimmt. Die Freude, die im Regiment darüber herrscht, dass wir überhaupt
ausrücken, hier nicht erbärmlichen Gamaschendienst versehen müssen, während
Andere ihr Blut einsetzen, kannst Du Dir denken. Der Oberst ist ein
schrecklicher Gamaschenhengst, leider nicht sehr tüchtig. 66 hat sich das
Reg. schlecht bewährt, lag deshalb zur Strafe die Jahre her auf
Ehrenbreitstein, sollte auch hier bleiben zur Strafe. Ich muss nun das Pech
haben, in solchem Reg. zu stehen, hoffe nur, die Ausrückungsordre ist kein
Humbug.
Die gute Franziska hat mir also auch geschrieben, auch Onkel
Fritz [Johann Friedrich Chamot 1822 Frankfurt - 1896 Niederwalluf,
verheiratet mit Nadine (1820-1877) Franz' Tante, Schwester der Mutter], ich hoffe, morgen bekomme ich die Briete noch.
Fahrt fort, so oft
zu schreiben, vor allen Dingen gebt mir Nachricht vor den Mittwoch, Habe ich
Zeit, so schreibe ich vor dem Ausrücken Dir und Franziska noch.
Herzlichste Grüsse an Alle,
Alle. Ein glückliches Scharmützel hat ja schon stattgefunden? A bas Napoleon
!
Dein Franz.
Feldpostbrief.
Den
27sten Juli
Liebe Mama
Gestrigen
Brief hast Du wohl erhalten, seit heute wieder auf Ehrenbreitstein. Bitte
deshalb Briefe wie Paquete [Pakete] möglichst bald dorthin zu adressieren.
Habe länger nicht Zeit, aber furchtbaren Hunger, denn von der Festung darf
man nicht herunter, zu essen gibts hier nischt, Herzlichste Grüsse an Alle.
Das infame Reg. ist so schlecht angeschrieben, dass es zur Strafe
wahrscheinlich wird hier bleiben müssen, das kommt davon, in ein solch
dummes Reg. kommt man, wen man in Gummersbach lebt. Schreibe bald.
Dein
Franz.
Den 31sten Juli
[Sonntag]
Frau Dr.F.Kalle.
Habe
endlich Deinen lieben Brief bekommen, habe aber nicht Zeit, länger zu
antworten. Bitte schreibt mir recht oft. Mittwoch rücken wir aus, wie ich
hoffe nach Saarlouis. Grüsse an Wilhelm, Holm.
Dein Franz.
Liebe Mama
Meine
letzte Epistel hast Du wohl erhalten, aber von Dir bin ich leider immer noch
ohne Nachricht, Durch das forcierte Ausrücken aus Coblenz verfehlte ich
leider Deinen letzten Brief. Ungeheuer ist meire Sehnsucht nach Nachrichten
von Euch. Der Dienst war in den letzten Tagen ein sehr anstrengender. Heute
Abend rücken wir von hier aus, um das Cantonnement zu wechseln. Wir kommen
in ein anderes Dorf bei Coblenz, dessen Name noch nicht kenne. Morgen werden
wir nach Coblenz zum feierlichen Gottesdienst. Was dann aus uns wird, ist
unbestimmt, ich hoffe, ins Feld. Deshalb sag Grode, er soll sich möglichst
beeilen, schicke sie mir sofort unter bekannter Adresse, wenn möglich, auch
1 Pfd. Thee und Correspondenzkarten, die man hier in den Nestern schwer
bekommt. [Die Korrespondenz- oder auch Postkarte war erst wenige Wochen
zuvor eingeführt worden] Deine Briefe überschreibe immer "Feldpostbrief". Ist es bei Euch
noch ruhig, und was treibt Ihr Alle ? Küsse Alle aufs herzlichste.
Dein
Franz.
Ich hoffe, recht bald höre ich von Euch.
Coblenz, den 4ten Aug.
Liebe Mama
Immer noch
bin ich ohne Deine Nachrichten, ohne Geld, wodurch ich in grosse
Verlegenheit gerathen. Du siehst nun selbst, was es für lange Zeit dauert,
bis man in den Besitz der Briefe gelangt, nur bitte ich Dich deshalb
inständig, mir eine grössere Summe zu senden, denn man kann in zu
unangenehme Lagen kommen, wenn man in der jetzigen Zeit abgebrannt ist. Aber
nicht nur nach Geld sehne ich mich, die Hauptsache ist, ich weiss gar nichts
von Euch, nicht was Ihr treibt, wie es Euch geht. - Wie beneide ich oft die
gemeinen Kerls meiner Corporalschaft, denen ich fast täglich Briefe ihrer
Frauen abliefere, um ihre Freude, und wie traurig bin ich dann, wenn ich
stets leer ausgehe. Du weisst garnicht, was für eine Freude einem unter
drückenden Verhältnissen stets ein Brief, ein noch so kleines Liebeszeichen
macht. Also, bitte liebe Mama, schreibe mir recht oft, wenn auch nur zwei
Zeilen als Lebenszeichen, Du siehst ja auch, ich benutze, so oft ich kann,
jede freie Minute, Dir zu schreiben. Es ist nun definitiv beschlossen, dass
wir
morgen früh ausmarschieren, und zwar hat uns wieder ein sehr heiteres
Loos getroffen, es scheint, wir werden immer die unangenehmsten, wenigst
lohnenden Commandos haben sollen. Morgen marschieren wir als
Etappen-Commando (Begleitung der Proviantwagen, Transport Verwundeter) in
die Eifel, nach Wittlich, einem Städtchen zwischen Trier und Saarlouis, wo
wir Cantonnements beziehen, und von da aus dann Proviant-Colonnen nach der
vorgeschobenen Armee, und Verwundeten-Transporte zurück escortieren.
Angenehme Aussicht!
Nun auf jeden Fall ist es schon als Glück zu
betrachten, dass wir endlich aus dem scheusslichen Ehrenbreitstein
herauskommen, denn so reizend anziehend dasselbe für den Touristen ist, so
beschwerlich ist es dem armen Soldaten, der dort mit gepacktem Tornister
bergauf und ab laufen muss. Auch sind wir in Wittlich wenigstens dem
Kriegsschauplatz näher, und dürfen hoffen, wenn unsere Armee siegreich
vorgeht, derselben wenigstens als Nachtrupp nach Paris folgen zu können, Du
fragst nach den Namen meiner Vorgesetzten. Der Oberst heisst: von
Sommerfeld, mein Compagniechef: Premierleutnant Graf Lüttichau.
Da uns 4
sehr starke Marschtage bevorstehen, ist heute Ruhetag, und diesen habe ich
benutzt, um mir mit meinem letzten Thaler hier ein Zimmer zu nehmen, um mich
nach langer Zeit nochmal gründlich waschen zu können, so fühle ich mich denn
im Augenblick den Umständen nach sehr gemüthlich. Was macht Ihr in Walluf,
habt Ihr viel Einquartierung ? Was schreibt Onkel Alex aus Paris, oder ist
die Postverbindung mit Frankreich keine pünktliche mehr ? Die verschiedenen
Wische, welche ich in der letzten Zeit an Dich abgehen liess, hast Du wohl
erhalten. In den nächsten Tagen erhältst Du aus Hillscheid ein Paket,
welches meine Civilkleider, die ich am Tage der Einkleidung trug, enthält.
Weisst Du nicht zufällig, ob das 66ste Reg. in Mainz steht ? Mein Reg. ist
ein ganz infames, es ist zusammengesetzt aus dem Auswurf des
Coelner-Aachener Pöbels, gemeine Kerls, die auch gar kein Ehrgefühl haben.
Wo steht Fritz Adolph ? Grüsse Franziska und Alle, Alle herzlichst und
schreibe recht oft. Immer die Adresse, welche Dir zur Sicherheit unten
nochmals bemerke, zwar fürs Erste ohne einen Bestimmungsort zu nennen.
Dein Franz.
Boppard, den 5ten
Aug.1870
Lieber Onkel Fritz I
Hurrah ! Der Kronprinz hat in einem bedeutenden Gefechte gesiegt. Die ersten
Turcos sind geschlagen. Eine Kanone genommen ! "Das waren die Worte, die
Herwarth von Bittenfeld uns heute Morgen mit auf den Marsch gab, uns mit
ergreifenden Worten anfeuernd, mit dem letzten Blutstropfen einzustehen für
König und Vaterland, tapfer zu kämpfen und in die Fusstapfen unseres edlen
Schwester-Reg. No.40 zu treten, das sich bei Saarbrücken schon so brav
benommen, gegen eine riesige Uebermacht angekämpft hat.- Hierauf rückten wir
mit klingendem Spiele aus, und zwar nicht, wie ich Euch gestern schrieb, in
die Eifel, sondern hierher, wohin uns ein gestern Nacht spät angekommenes
Telegrammn dirigierte. Unsere Marschroute ist vollständig verändert. Nicht
mehr Etappen-Commando ist unsere Losung ! Sondern, wie es heisst,
marschieren wir von hier nach Bingerbrück, Kreuznach und bilden die Reserve
des dort aufgestellten Hauptcorps, jedoch nur 1, und glüicklicherweise mein
Bataillon des 68sten Reg., überhaupt können wir jetzt von Glück sagen, denn
wir sind voraussichtlich auf längere Zeit vom Reg. detaschiert und sind so
wenigstens den unliebsamen Gamaschen-Oberst los geworden, der das
beneidenswerthe Glück geniesst, noch fürs Erste von der Höhe des
Ehrenbreitstein mit seinen übrigen Bataillonen in philosophischer Ruhe das
Schlachtengeschütz beobachten zu können. Wir stehen unter dem Corps-Commando
Herwarth , und wenn man den eisernen Mann ansieht, ihn sprechen hört, wie
heute Morgen, dann sagt man sich urwillkürlich: unter einem solchen Führer
werden wir mit Begeisterung kampfon.Es wurde mir die Alternative gestellt,
ob ich beim Ersatzbataillon Offiziers-Dienste thun wollte oder beim Mobilen
fürs Erste als Unteroffizier bleiben wollte. Ich schlug natürlich das
Erstere aus, ist Aussicht, dass ich auch beim
mobilen Bataillon nächstens
als Unteroffizier Offiziers-Dienste thun, und dann im Laufe des Feldzuges
zum Vicefeldwebel avancieren werde. Das schnelle Avancieren ist sehr
illusorisch, weil es nach der Anciennität [Dienstalter] geht und viele
Unteroffiziere mit der Berechtigung zum Vicefeldwebel schon 66 gedient
haben, die natürlich jetzt vorgehen. Hätte man das ahnen können, so hätte
ich im April gleich meine sechswöchentliche Uebung absolviert, wäre jetzt
Leutnant. Doch das schadet nichts, ich kann mir schmeicheln, wenigstens im
Verhältnis zu den übrigen Reservisten ein strammer Soldat zu sein, das hat
auch mein Hauptmann zu bemerken geruht, sich infolgedessen für mich
verwendet. Auch im Felde wäre ich nicht gleich Feldwebel geworden, denn die
Brigade, nicht das Reg. befördert. Argenehm wäre es gewesen, hätte ich beim
88sten Reg. gestanden, ₩eil ich dort wirklich wahre Freunde hatte, es immer
ein ander Ding ist, in entscheidenden Lebenslagen mit solchen als mit
Fremden zusammen zu sein. Das fühle ich schon jetzt sehr tief.
Uebrigens
war es überhaupt Unsinn, den Gedanken aufkommen zu lassen, ich könne noch in
dieses Reg. eintreten, denn im Augenblicke der Mobilmachung kann man nicht
aus einem Landwehrbezirk in den andern übersiedeln, und jedes Reg.
rekrutiert aus seinem Bezirk, und sind die Listen schon im voraus
angefertigt. Gummersbach ist nun der Bezirk des 68sten Reg., also war nichts
zu ändern. Der einzige Fehler, den ich gemacht, war der, dass ich nicht
ruhig meine Einberufung in Walluf abwartete, gerne wäre ich auch, als ich
von Gummersbach kam (die Fahrt war garnicht unnöthig, nur die Eile
Blödsinn),nach Walluf bis zum 22sten zurückgekehrt, oft stand ich auf dem
Sprunge, denn mein Herz zog mich gewaltig, aber gewaltsam hielt ich mich
zurück, denn ich scheute den Abschied, einmal Abschied nehmen ist schon für
beide Teile peinlich genug -,nun gar den Abschied wiederholen, das wäre
Satyre auf den Ersten.- Dass ich damals unruhig und aufgeregt war, wird
jeder einsehen, dem nicht Fischblut in den Adern rinnt.
Deine Bemerkung in Betreff
des Geldes habe ich bestens bemerkt, und Eurem Beispiele folgend, stelle ich
mein budjet auf Kriegsetat, esse Limburger Käse, träume von besseren Zeiten
und Beefsteaks in Sauce.
Heute habe ich's famos getroffen, habe reizendes
Quartier am Rheine, im Hause eine niedliche Tochter, die patriotisch
schwärmt, was will man mehr. Ueberhaupt ist Boppard sehr patriotisch,
weissgekleidete Jungfrauen empfingen uns, kredenzten Wein, morgen gehts
weiter. Bitte schreibe mir manchmal, Mama heute nichts, der Brief ist jedoch
für Euch Alle. Herzlichste Grüsse ans ganze Haus.
Dein Franz.
Bitte
hebt meine Briefe auf, denn Tagebuch habe nicht Zeit zu führen, ich nehme
sie dann später zurück, habe so doch eine Erinnerung.
...August
Lieben !
Gerade vor dem Abmarsche bekomme ich noch 2 Briefe von Dir mit Geld und zwei vor Franziska. Herzlichen Dank für alles, auch besonders für den niedlichen Beutel. Das Leder erinnert unwillkürlich an Tante Louise, ich hätte geahnt, dass es von ihr, auch ohne dass Du es schriebst, auch Tante Nathalie meinen herzlichsten Dank. Meinen langen Brief von heute Mittag erhältst Du wohl. Einliegendes Gedicht ist für unser Reg. gemacht, wenn auch schlecht, begeisterts die Kerle doch. Schreibe recht bald.
Herzliche Grüsse an Alle.
Für meine Gesundheit
hab' keine Angst, ich bin gottlob stark, Schmerzen an Füssen kenne ich
nicht.
Dein Franz.
An die 68 ziger
I
Nach
der Melodie: Frisch auf,Kameraden,aufs Pferd, aufs Pferd .....!
", Frisch auf, 68iger,
ins Feld, ins Feld !
Für den Rhein, für Deutschland gezogen,
Wer
jenseits auf blutiger Wahlstatt fällt,
Dem ist das Schicksal gewogen,
Denn sterben für unsern König und Held,
Was gab es wohl Schöneres auf der
Welt.
Frisch auf ! Ihr kämpft
für den eigenen Herd,
Ihr schütz Eure Mädchen und Frauen,
Führt
wuchtig mit Gott das schneidige Schwert
"Zur Attaque"! und drein gehauen,
Denn "Vorwärts" ist der preussische Ruf,
Der einst durch Blut,
Freiheit
schuf !
"Nur Vorwärts !" Ihr
Söhne der Wacht am Rhein,
Und drauf den Welschen entgegen,
Das ganze
Deutschland soll es sein,
Es führt ein schneidiger Degen,
Denn König
"Wilhelm" ist der Held,
Mit dem wir zieh'n an's Erd' der Welt.
"Frisch auf", Kameraden,
so schwöret den Eid,
Nur zum Sieg Eure Fahnen zu führen,
"Es lebe der
König !", so schalle es weit,
Wenn zum "Vorwärts" die Trommeln sich
rühren.
"Frisch auf !" Uns bindet ein eisernes Band,
Drum "Vorwärts"
für König und Vaterland I
Den 9ten August
Liebe Mama !
Marschroute wieder verändert. Schreib' dies in Berncastel, Nest an der
Mosel, wo ich wieder das hohe Glück geniesse, die Wache zu commardieren.
Morgen marschieren wir weiter, um Donnerstag nach Trier zu kommen. Von da
gehts an die Grenze, doch leider nur als Nachschub, da die andern schon
alles vorweggenommen. Ist es nicht herrlich, diese Siege ? Adieu Napoleon,
doch hoffe ich, ist nicht zu schnell alles aus, damit unser dummes Reg. noch
ins Feuer kommt. Die 88er waren schon im Gefecht. Was ich mich schon
geärgert hab', hier zu stehen, glaubt keiner.
Willi danke für Zeitungen,
er soll nur immer noch schicken.
Herzliche Grüsse an Alle,
Dein Franz.
Trier, den 11ten Aug.
1870
Liebe Mama I
Gestern
Mittag waren wir kaum in Berncastel, einem Städtchen an der Mosel, nach 5
stündigem Marsche angekommen, wollten ausruhen, als Generalmarsch geblasen
wurde und wir in Eilmarsch hierher marschierten, und zwar in stürmendem
Regen. durchnässt bis auf die Haut kamen wir hier an und mussten zum
Ueberflusse noch eine Stunde auf der Strasse stehen. Ich habe mich rasch in
einem Gasthof einquartiert, wenigstens mich trocknen, schlafen können.
Heute früh um 11 Uhr nun sollen wir weiter befördert, und zwar per Kahn, der
eine sagt: direkt nach Saarbrücken, der andere sagt: nach Mainz; was das
Richtige ist, weiss ich nicht, doch ist das Wahrscheinlichere, dass wir nach
Mainz und sofort zum Kronprinzen gehen.
Ich schreibe Dir so
oft ich kann, thue dasselbe. Herzliche Grüsse an Alle, Alle.
Dein Franz.
Zahlbach, den 13ten Aug.
1870
Ob Du meine Budenheimer
Karte erhalten, weiss ich nicht. Mit was für Gedanken an Walluf vorbeifuhr,
kannst Du Dir denken. Die Strassburger-Illusionen sind fürs Erste wieder
Chateaux en Espagne. Wir werden wieder das Glück haben, Wachedienst zu
versehen, Ehrenbreitstein, Mainz, selbe Geschichte. Und meine Comp. liegt
nicht mal in Mainz, sondern in Zahlbach, einem Dorfe bei Mainz, wohin ich
mir gleich zu schreiben, womöglich auch ein Paar Strümpfe und Unterhosen zu
schicken bitte. Hätten sie uns nicht statt nach Zahlbach nach Walluf
dirigieren können, übrigens hat mich der Teufel in dies Reg. geführt, immer
und immer hinterher. Die 88er waren schon in Feuer. Also bitte, schreibe
gleich.
Herzliche Grüsse an Alle.
Dein Franz.
Zahlbach, den 15ten
Aug.1870
Liebe Mama
Nach dem
so reizend angewendten gestrigen Nachmittag sitze ich heute am Geburtstage
Napoleons, am Tage, wo eire Schlacht gewiss ist, wo aller Mund schon davon
voll ist, Metz sei bereits genommen, in Zahlbach, thue von Morgen bis Abend
langweiligen Garnisonsdienst. Von weiter Ausrücken keine Spur, ich bin
überzeugt, wir bleiben hier, hat auch unser sehr gestrenger Herr Oberst
schon ganz die Allüren eines Linienregiments-Commendeurs in Frieden
angenommen so des Tages 6 mal Appell, natürlich so, dass man nie weg kann.
Das ganze Regiment (Offiziere, Gemeine) ist missmuthig bis zum Sterben, denn
es ist ein Scandal, ein Linien-Regiment jetzt ruhig in Mainz zu lassen.
Bestätigen sich die neusten Nachrichten, haben wir in 8 Tagen
Waffenstillstand. Frankreich wird zwar vielleicht aus dem Mark seiner
Bevölkerung noch ein Heer aufstellen, aber wird uns eine Mobilgarde etwas
anhaben können, da doch die regelmässigen Truppen nicht stand hielten.
Einzige Möglichkeit wäre eine Schlacht vor Paris, welche ungeheuer blutig
werden würde, aber ein Angriff auf Paris selbst wäre Vandalismus, den die
europäischen Mächte nicht dulden können, den wir auch gewiss nicht begehen
werden. Unbegreiflich ist mir, wie ein Volk von der Intelligenz der
Franzosen sich von einem Napoleon immer mehr düpieren lässt, und dieser
nicht schon längst zum Teufel ! War der Major heute hier ? Wenn es möglich
ist, komme ich natürlich nach Walluf, Ihr könntet mich übrigens auch
zeitweise besuchen, umso mehr, da Mainz jetzt sehr lebhaft und interessant,
man in den Anlagen sehr schön spazieren geht, bei Völk ganz leidliches Eis
isst. An Falk habe ich noch keine Sachen abgegeben, dann bleiben wir hier,
behalte ich sie. Schreibe mir bald, und zwar Adresse Mainz. Die Fahrt mit
Franziska hierher war famos. Alles lachte uns an, hielt uns mindestens für
ein
zärtlich liebend Paar, und beneidete den armen Unteroffizier, dem es
beschieden, eine solche Grande Dame nach Hause zu fahren. Sind Alle wohl ?
Hat Emma noch Mums, oder hat sie vielleicht noch Einige angesteckt ? Mums
ist eine sehr interessante Krankheit, die besonders der kleinen Tante
Nathalie nochmal wünsche, Du wirst staunen über meine Schreiblust. Ich
schreibe theils aus Langeweile, theils dem neuen Schreibzeuge Franziskas
zuliebe, während neben mir 25 Kerls putzen, flicken, ich habe denselben
nämlich Flickstunde zu ertheilen, das ist mein Löwenantheil bei dem Siege
über Frankreich.
Mainz, den 19ten
Aug.1870
Liebe Mama !
Bin
anderes Bild wieder zeigt die Geschichte unseres vielbewegten Lebens; aus
Zahlbach wurden wir gestern hier nach Mainz einquartiert, und zwar in eine
Baracke am Gauthore, die im gewöhnlichen Leben als Schweinestall dient. Dort
liegen wir hundert, sage und schreibe 100 Mann zusammengepökelt, umgaukelt
von lustigen Flohgestalten, träumen vom Eldorado eines guten Bettes. Waschen
kann man sich natürlich nicht, so benutze ich den ersten freien Augenblick,
hierher zu laufen, mich zu waschen, zu frühstücken. Dass wir hier bleiben,
scheint ausgemachte Sache, eine Menge Landwehr ist schon durch nach der
Grenze, und wir liegen hier. Ich habe deshalb mich gestern gemeldet, ich
wolle zu einem im Felde stehenden Reg. versetzt werden, ich hoffe, es wird
genehmigt. Meinen letzten Brief hast Du gewiss erhalten, von Euch bin noch
ganz ohne Nachricht. Wann ich einmal abkommen kann, fliege ich natürlich zu
Euch, ich kann das aber nie vorher bestimmen. War der Major hier ? Ich bitte
Dich, mir baldmöglichst Geld zu schicken, denn ich bin beinahe wieder
fertig; schilt nicht, dass es so schnelle geht. Auch werde ich mir wohl
einen Rock anschaffen müssen, denn der gelieferte ist schon fast zerrissen,
und es ist zu unangenehm, immer denselben Lappen auf sich zu haben. Jedoch
natürlich keinen feinen, der wäre schlecht angebracht, einen aus
Commiss-Tuch, der 8- 10 Thlr.kostet. Es ist Projekt, dass wir nächstens
einmal bei Wiesbaden biwacieren, ich schreibe Euch, wenn es der Fall hoffe
ich, dass Ihr mich besucht.
Alle herzlichst grüssend
Dein Franz.
Mainz, den 28sten Aug.
1870
Liebe Mama !
Seid Ihr gestorben und
verdorben, oder was ist dieses Schweigens Grund ? Seit meinem letzten Briefe
ist endlich ein günstigerer Umschwung in meiner Stellung eingetreten. Von
gestern ab thue ich Offiziers-Dienst, bin zum Vicefeldwebel eingegeben. Auch
ist wieder einige Hoffnung auf Ausmarsch gemacht, indem wir wieder auf
Kriegsetat gesetzt sind. Ich muss nun umgehend Geld haben, denn ich muss
mich equipieren (Rock etc. bekomme, weil als überzähliger Offizier
fungiere). Die Equipierungsgelder erhalte ich erst bei Ernennung zum
Vicefeldwebel, welche, hoffe ich, in circa 14 Tagen eintreffen wird. Du
musst nun schon so gut sein, mir gleich Geld zu schicken, denn wie Du
neulich gesehen, sind meine Stiefel ganz zerrissen. Auch schicke mir bitte
die Handschuhe, welche noch in Walluf sind. Die Equipierungsgelder benutze
ich dann später zum Leben, hast Du dann nicht mehr nöthig, mir Geld zu
schicken. Wenn es mir möglich, komme ich in den nächsten Tagen, aber wir
haben so ungeheuer viel zu tun, dass fast keinen Augenblick abkommen kann.
Herzlichste Grüsse an Alle,
Dein Franz
September
Liebe Mama !
Mit dem
Siege über Mac-Mahon ist unsere letzte Hoffnung geschwunden, unser
Schlachtfeld ist und bleibt der Mainzer Sand. Statt feindliche Bajonette
werden friedliche Kartoffelfelder unseren Siegeslauf hemmen, die Thürme des
alten Mainz werden Zeugen unserer Thaten sein, nun man muss sich ergeben,
ein Gutes ist noch dabei, ich kann Euch so doch öfter sehen. Dein Brief ist
gestern Abend angelangt. Warum kommt Ihr denn heute nicht hierher ? Erlauben
es die Launen von Wiegand nicht, oder was steht der grossen Reise entgegen ?
Gestern wer ich bei Franziska, vorgestern bei Adolphs. Ich wollte heute
Mittag zu Euch, habe aber leider den Zug verspätet. Vielleicht kann ich
morgen kommen, auf jeden Fall Sonntag, denn mittags habe ich jetzt fast
niemals etwas zu thun, nur wenn ich Compagnie du jour habe, was von
Sonnabend auf Sonntag der Fall. So sehe ich Euch also bald, will schliessen.
Herzliche Grüsse an Alle, Ich freue mich recht, Franz Sonntag zu sehen,
Dein Franz.
September
Liebe Mama
Hätte
ich geahnt, dass unser Ausmarsch sich so verzögern würde, ich wäre gewiss am
Sonntag noch zu Euch gekommen. Seit 2 Tagen sind wir nun alle schon
kriegsbereit, d.h, wir tragen Wasserstiefel, möglichst schmutzige Uniformen,
waschen und kämmen uns nicht mehr, kurz, entsprechen allen Anforderungen,
welche man an mobile Soldaten stellen kann. Alles umsonst, die Linien der
Eisenbahn sind besetzt, wir können keinen Wagen bekommen und das hält uns
zurück. Warum nicht sofort ausmarschieren zu Fuss, bis wir Wagen unterwegs
bekommen; ich kann einen solchen Oberst nicht begreifen! Es ist ein Scandal,
fürchte leider, diese ganze Alarmierung unseres edelen Reg. war nur
drastisches Intermezzo, wir werden doch wieder hierbleiben müssen. Es
verlautet schon, der Gouverneur habe den speziellen Wunsch ausgesprochen,
uns hierbehalten zu dürfen. Gott sei mit ihnen, ich glaube jetzt garnichts
mehr, aber mich sollte doch der Teufel holen, wenn ich Oberst meines Reg.
wäre, hätte vom Könige Marsch-Ordre in der Tasche, ein paar armselige Wagen
könnten mich vom Ausrücken zurückhalten !
Nun es hilft nichts, ich werde
mich morgen wohl wieder waschen müssen. An Bebelchen habe ich keinen Brief
mitgegeben, aber ihr gesagt, dass wahrscheinlich morgen noch hier sein
würde. Ich hoffe, Ihr besucht mich, ist dies der Fall, so ist dieser Wisch
zwar Ueberfluss, mag aber als Abklatsch meiner gemarterten Soldatenseele
dienen. Also Napoleon sitzt auf dem reizenden Wilhelmshöhe, Jules Favre und
Consorten regieren Frankreich. Wünsche ihnen viel Vergnügen. Bald wird der
Kronprinz in Paris Gesetze diktieren, und wir Unglückseligen zu allem zu
spät.
Adieu, Dein Franz.
Herzliche Grüsse an
Alle, in einigen Tagen sitze ich gemüthlich in Walluf, kaufe mir eine
Nachtmütze.
Mainz, den 4ten Sept.
1870
Liebe Mama !
Wir rücken morgen aus nach
Metz. Endlich schlägt die Erlösungsstunde. Ich wollte Dir telegraphieren,
Dich hierher bestellen, man nimmt aber keine Telegramme an.
Bitte schicke
mir morgen früh Geld, womöglich Napoleons [eine französische Goldmünze, die
auch in Deutschland verbreitet war].
Vielleicht kannst Du selbst mich auch morgen noch sehen. Die Stunde des
Ausmarsches ist ungewiss, sollte ich kein Geld mehr von Dir bekommen, so
lass ich mir von dem Sohn von Bebelchen geben. Was sagst Du zur
Gefangennahme Napoleons ? Wir rücken aus, das ist ein Segen, aber leider nur
zum Schlusse, nachdem andere die Arbeit gethan. Wenn Ihr kommen könnt, so
kommt morgen, wenn nicht, dann Euch Allen Adieu
Dein Franz.
Mainz, den 5ten Sept.
1870
Liebe Mama I
Sehr
leid that es mir, dass Du nicht gekommen, in der Aufregung habe ich Dir
gestern wohl falsch berichtet, wir fahren im Laufe des heutigen Tages ab.
Stunde unbestimmt. Viele Thaten werden uns wohl nicht zufallen, aber wir sind
so doch mindestens in Feindesland gewesen.
Herzliche Grüsse an
Alle. Geld habe erhalten.
Dein Franz.
Schreibt mir jetzt nur ja wieder
oft I
Es wird zum Glücke doch
Ernst. Zwei Bataillone sind weg, wir marschbereit, zwar geht des Gerücht,
nicht nach Metz, sondern nach Gravelotte, das wäre günstig. Schon ein
Gefangenen-Transport hier angekommen, wäre Onkel Fritz zu rathen herzukommen
Adresse: ,6te Comp. 6stes Reg. : 30. Brig. 15te Div. 8.Armeecorps.
Herzliche Grüsse
Franz.
Nacht sehr ungemüthlich.
Durchgefahren. Starkes Gewitter. Gegend hier sehr ausgehungert. Eben 6 Uhr
in Homburg angelangt, fahren heute bis Remilly, wo wohl bivouacieren. Die
Strapazen werden gross werden, aber doch sind wir alle heiter, froh, denn
wir sind doch endlich heraus aus der fatalen Garnison.
Herzlichste Grüsse an Alle.
Homburg, 6 Uhr Morgens, Donnerstag.
Liebe Mama!
Statt, wie gehofft, heute noch vor Metz zu kommen, hielten wir in Forbach an, liegen hier in der Umgegend vertheilt auf scheusslichen Orten. Die Leute sind alle ganz deutsch, d.h. sie verstehen kein Wort französisch, trotzdem aber hartnäckig, es bleibt nichts übrig, als zu requirieren. Morgen früh gehts zu Fuss weiter, da die Linie durch Gefangenen-Transporte gesperrt. Es sah gut aus, die bärtigen Franzosen von martialischen Landwehrmännern bewacht,
Herzliche Grüsse. Hebe meine
Wische auf.
Dein Franz.
Oetingen, den 6ten September
Remilly, den 10ten Sept.
Beim Rendezvous schreibe
ich Dir, die Nacht waren wir bei St.Avold, In strömendem Regen marschierten
heute hierher, wo es schon sehr kriegerisch aussieht. Den sehr starken
Kanonendonner von Metz hört man deutlich. Diese Nacht soll Ausfall gemacht,
scharf hergegangen sein. Wie verlautet, ziehen wir morgen weiter nach
Gravelotte.
Herzliche Grüsse an Alle.
Dein Franz
.
Liebe Mama !
Heute Nacht bei
Ars-sur-Moselle bivouaciert, fühle mich jetzt, da die Sonne scheint, ich mir
den Mund ausgespült, famose Erbsenwurst
mit Speck gefrühstückt, ganz leidlich wohl. Heute Mittag zieht unser Reg. 8
Tage auf Vorposten.vor Metz, werden wir nun hoffentlich etwas zu sehen
bekommen. Wenn möglich, bitte ich, mir möglichst schnell meine wollenen
Hemden zu schicken, ich will sie über der Unterjacke tragen, denn des Nachts
ist es sehr kalt, auch noch einige Büchsen Fleisch-Extrakt.
Du siehst,
ich schreibe oft, thue ein Gleiches. Hebe meine Briefe auf. Herzlichen Gruss
an Alle.
Dein Franz.
Montag, den 11ten Sept.
Bivouac, bei Ars-sur-Moselle
Montag, den 11ten Sept.
Herrn Dr. W. Kalle,
Jetzt wird es endlich Ernst mit uns, wir stehen circa 8 1/2 Stunden von
Metz, sollen heute auf Vorposten. Die Nacht bivouacieren wir. Dein
Fleisch-Extrakt hat mir sehr gute Dienste geleistet. Schade, dass nicht, wie
projektiert, einen Schinken mitnehmen konnte, er thäte jetzt gute Dienste.
Stramme Märsche haben wir gemacht, aber sind doch alle zufrieden, endlich
heraus zu sein. Die Dörfer hier sind fast alle entvölkert, was
zurückgeblieben, ist willig, besonders freundlich, wenn man französisch
spricht. Täglich begegneten wir franz. Offizieren (gefangnen) auf Karren.
Muss schrecklich für die Leute sein. Herzlichst
Euer Franz.
Den 13ten Sept.
Liebe Mama !
Seit
gestern sind wir auf Vorposten, circa 1 1/2 Stunde von Metz. Der
Vorpostendienst ist ein sehr aufgeregter, interessanter. Gestern Nacht
machte ich eine Patrouille gegen Metz hin, konnte ganz deutlich die
Militärmusik, lauten Lärm dort hören, Die Garnison schien sehr lustig. Einem
"on dit" zufolge scheint an gestrigen Tage die Republik in Metz proklamiert
zu sein. Ein Lustschloss, das dicht vor unserer Postenkette liegt, habe ich
ziemlich genau beobachtet, die Herren Franzosen scheinen sich dort mit sehr
netten, jungen Damen recht gut zu amüsieren.
Sechs Tage bleiben wir auf
Vorposten. Wir Offiziere der Comp. haben eine ménage gebildet, ich, als
jüngster, muss die Einkäufe besorgen. Ihr würdet lachen, könntet Ihr mich
jeden Morgen nach dem nahen Orte Jouy laufen sehen, hinter mir meinen
Burschen mit Körben. Die wahre Hausfrau, die zu Markt geht. Meine gestrige
Karte hast Du erhalten,
ich bitte um Fleisch-Extrakt und wollene Hemden.
Denke mein Pech, der Karren, welcher meinen Koffer trug, blieb neulich
stecken, weiss Gott, ob und wann ich ihn wieder sehe. Wir liegen hier auf
einem ganz verlassenen, sehr grossen Bauernhofe, auf dem gut gehaust ist,
der vollstän dig verschanzt, denn man erwartet jede Nacht einen Ausfall. Wie
verlautet, sollen wir nach 6 Tagen weiter auf Paris marschieren, und hier
alles durch Landwehr besetzt werden.
Schreibe bald. Herzliche
Grüsse
Dein Franz
Jouy aux Arches, 14ten
Sept.
Herrn Dr. Kalle.
Immer noch stehen wir in
der Vorpostenkette, besehen uns die Thürme der Cathedrale von Metz,
lorgnieren [eine Lorgnette ist eine Brille ohne Bügel, mit Haltegriff.
Lorgnieren = durch eine Lorgnette betrachten] die feindlichen Lager, aber
nichts fällt vor, kein Ausfall, keine Attaque, morgen gehen wir aus der
Postenkette zum gros der Vorposten zurück, Was sehr bedauern, hier in einem
Hofe ganz bequem liegen, während im gros werden bivouacieren müssen, auch
hätten wir in Falle eines Angriffes brillante Position. Schreibt mir
manchmal. Mein letztes Billet habt wohl erhalten.
Euer Franz.
...September
Wunderschönes Wetter !
Haben heute einen sehr grossen Marsch zu machen, um nach Gravelotte zu
kommen. Wenn bis Jetzt auch noch nichts geleistet, haben wir doch alle
Schlachtfelder gesehen, stramm marschiert, Metz gestern stark beschossen,
wird sich bald geben missen.
Schreibt mir auch Zeitungs-Nachrichten, ich
weiss nichts.
Herzliche Grüsse an Alle.
Dein Franz.
Am 15ten Sept.
Nun sind wir wieder aus der
Vorpostenkette zurück zum Gros gekommen. Liegen auf einer Höhe mit
brillanter Aussicht, aber grossem Schmutz, wenig Essen, es ist alles, die
kleinsten Lebensmittel, fabelhaft theuer, braucht man eine Menge Geld. Seit
6 Tagen habe ich die Stiefel nicht mehr ausgezogen, mein Koffer ist wieder
da.
Wie geht es Euch ? Schreibt doch einmal.
Herzliche Grüsse an Alle.
Dein Franz.
Liebe Mama !
Mit
Bezug auf meinen Brief von heute Morgen, bitte die zu schickenden Sachen in 2
Paketen aufzugeben, da die Post kein Paket über 5 Pfd., annimmt.
Herzlichen Gruss
Franz.
Am 18ten Sept.
Liebe Mama !
Zum
Vicefeldwebel bin ich gestern ernannt, bitte ich sofort nach Empfang dieses
Briefes nach Mainz oder Wiesbaden zu gehen, für mich zu kaufen, mir sofort
zu schicken, da man es hier nicht haben kann:
1.)
Offiziers-Füsilier-Säbel
2,) silbernes Porte-épée [Schlaufe, am Säbel zu
tragen]
3.) Offiziers-Tornister mit weissem
Lederzeug.
Auch bitte ich, mir noch etwas Geld, etwa 100 Francs, zu
schicken [ 1 Taler ungefähr 3,7 Francs], denn des Leben, resp. die
geringsten Bedürfnisse sind hier fabelhaft theuer. Ich habe mir einen
Revolver anschaffen müssen, der 25 Thlr. kostet (ein billigerer ist nicht
zu haben), auch eine dicke, wollene Decke, wollene Hemden, die man haben
muss, die alle sehr theuer sind. Du wirst begreifen, dass durch diese
Anschaffungen, die unvermeidlich, die Kasse geschmolzen. Ich hoffe, dies ist
die letzte Sendung, denn Nächstens rücke ich wohl auch in Betreff Gehaltes
in den etat, bis jetzt bin ich nur Offizier honoris causa, habe ich im Falle
eines Gefechtes jetzt eine Stellung, welche ehrenvoll, mir behagt, es ist
mir nämlich die Ueberwachung der Fahne übertragen. Heute Morgen wurden wir
alarmiert, es fielen einzelne Schüsse, wir gingen über die Vorpostenkette
vor, die Franzosen verhielten sich aber vollständig ruhig, schienen sehr
deprimiert. Es ist im ganzen hier ganz nett, nur Nachts barbarisch kalt,
schmutzig ist es bis zum Verrücktwerden. Bitte schicke den Säbel sofort,
denn es ist peinlich, da ich nun endlich Vicefeldwebel bin, noch ohne Säbel
laufen zu müssen.
Herzliche Grüsse an Alle.
Dein Franz.
Am 18ten Sept.
In meinem letzten Briefe
bat ich um Geld, einen Säbel mit silbernem Porte-épeé, einen
Offiziers-Tornister, welche Sachen in 2 Paketen zu schicken bitte, da die
Post keines über 5 Pfd. annimmt, Ich bin heute hoher Commandeur einer
Feldwache, wir gehen wieder Vorposten, liegen aber unthätig da. Ich hoffe,
bald Brief, Paket von Dir zu erhalten. Herzliche Grüsse an Alle, Alle,
Dein Franz.
Tournebride, den 18ten
Sept.
Herrn Dr. Kalle.
Meine verschiedentlichen Karten habt Ihr wohl erhalten. Von heute ab sind
wir wieder auf Vorposten, ich commandiere eine Feldwache bei Tournebride
[nordwestlich von Metz, bei Plesnois]. Die Franzosen in Metz zeichnen
sich durch grosse Ruhe aus, indem sie uns ganz unbehelligt lassen, fürchte
ich, es wird für uns wenig mehr zu thun geben. Schreibt bald.
Euer Franz.
Feldwache bei
Tournebride
19ten Sept.
Liebe Mama
Als hoher
Feldwache-Commandeur sitze ich auf einem brillanten, gestickten Lehnstuhl,
der aus einem nahen Schlosse requiriert (welch' schöne Hand mag ihn gestickt
haben ?!), strecke breitspurig im Gefühle meiner Würde die Beine von
mir, puste den Rauch einer feinen Generalscigarre, welche uns die Johanniter
geschenkt, in die frische Morgenluft (die Cigarre darf in keinem
journalistischen Berichte fehlen). Vor mir erheben sich die majestätischen
Thürme der Metzer Cathedrale, ich höre ganz deutlich die schrille Musik,
welche die französische Besatzung morgens und abends anzustimmen pflegt.
Meine Postenkette ist ausgestellt, etwa 400 Schritt von derselben ist eine-
franz.. Wache in la maison rouge, wo es sehr lustig zugeht. Die feindlichen
Posten stehen dicht vor den meinigen, doch sind die Franzosen so flau
geworden, dass fast kein Schuss fällt. Ich ging diese Nacht mit einer
Patrouille und dem Vorposten-Commandeur (mein Hauptmann) bis dicht an die
französische Linie heran (circa 160 Schritt), wir blieben aber ganz
ungestört. Ich fürchte sehr, wir werden garnichts mehr zu thun bekommen und
ruhig hier liegen müssen, bis entweder der Friede diktiert oder Metz
ausgehungert ist, dasselbe soll noch sehr gut verproviantiert sein, nur soll
sich bereits jetzt Manco an Salz bemerkbar machen. Einen Sturm werden wir
keinesfalls wagen, denn das wäre ein unöthiges Aufopfern von Menschenleben,
und zu einem Ausfall scheint man feindlicher Seits alle Lust verloren zu
haben. Seit 8 Tagen bereits bivouacieren wir, jetzt habe ich in dieser Zeit
weder Stiefel noch Kleider vom Leib bekommen. Jetzt bin ich auf 48 Stunden
auf Feldwache, ein sehr interessanter, aber anstrengender Dienst, da weder
Tag noch Nacht ein Auge zumachen darf, Es hat mich sehr gefreut, gerade auf
diesen Posten zu kommen, da es der am weitesten vorgeschobene ist. Täglich
fast kommen an unsere Posten Parlamentäre heran, welche die wahnsinnigsten
Anliegen haben. Am Tage ist das Wetter jetzt famos, es also im Freien ganz
schön, aber Nachts ist es bitter kalt, muss, um der animalischen Wärme
auf die Strümpfe zu helfen, mancher Grog verschluckt werden. Doch genug der
Facten, fahren wir fort im Tone à la Wilhelm Ballo, meine sehr theuere Mama,
es will mich schier bedünken, ich hätte von Ihrer Gnaden schon lange einen
Brief erhalten können, denn, wie ich genau weiss, braucht ein solcher bis
hierher 4 Tage, 14 bin ich bereits aus Mainz wog. Meine verschiedenen Karten
hast Da doch wohl erhalten, ach den Brief, worin ich um Geld bat. (Du wirst
diese Bitte gerechtfertigt finden, da sie durch meine Einkäufe
gerechtfertigt). Den Säbel bitte ich auch sofort abzusenden;
ich erwarte
ihn spätestens in 6 Tagen. Gestern erhielt ich einen Brief von H. v.Besser;
er ist sehr schwer krank gewesen, Jetzt bei Adelon in Wiesbaden. Wie geht es
Euch Allen, was macht Ihr in Walluf ? Sage Onkel Fritz, ich sei jetzt trotz
der wirklich grossen Strapazen seelenvergnügt. Eine Menge Offiziere ist
schon krank geworden, ich bin stets gesund, wie ein Fisch in Wasser.
Entschuldigt, dass dieser Brief so schmutzig, es lässt sich nicht ändern,
ich habe ihn in Handschuhen geschrieben, bitte, eine gleiche Vorsicht beim
Lesen zu beobachten.
Herzliche Grüsse an Alle, bitte schreibt mir doch
öfter.
Franz.
Jouy, am 21sten Sept.
Sollte die Post
Schwierigkeiten machen, den Säbel, Tornister anzunehmen, so schicke
dieselben bitte an das Ersatz-Bataillon No.68 in Coblenz zur gefl.
Weiterbeförderung an meine Adresse. Es geht mir famos. Seit heute früh sind
wir von Vorposten abgelöst, wieder beim gros.
Grüsse Alle herzlich, Hat
der Notar aus G'bach noch nicht geschrieben?
Dein Franz.
Könntest
Du Dich nicht mal nach H.v.Bossers Befinden erkundigen?
Jouy, am 21sten Sept.1870
Herrn Dr. Kalle.
Vielen Dank für Cigarren und Brief. Ich liege noch immer hier vor dem
langweiligen Metz. Heute war Hurrah in unserm Lager, die Nachricht soll
angekommen sein, Paris habe sich übergeben, ich hoffe, es ist an dem.
Gruss an Holm. Im übrigen geht mirs gut. Längeren Brief habe an Mama
geschrieben.
Franz.
Jouy, den 21sten
Sept.,Abends.
Ihr seid wirklich zu
lieb und gut, ich kann Euch garnicht genug danken für alles, was Ihr
geschickt, solche Aufmerksamkeiten machen jetzt doppelt Vergnügen. Wenn Ihr
mir ein grosses Vergnügen machen wollt, schickt mir bitte nächstens
graue, waschlederne, dicke Handschuhe. Ich
brauche sie nöthig. Der Dienst im gros, wo wieder bin, ist langweilig. Ich
hoffe, wir rücken doch noch weiter vor.
Herzlichst
Franz.
Gruss an
Holm, die Familie Kalle.
Alles, auch das Hemd, ist da.
Liebe Mama !
Gestern erhielt ich, kurz nachdem ausführlich an Dich geschrieben, Deinen langen Brief, auf den ich lange gewartet, der mir viel Freude gemacht. Onkel Alex hat klug gethan, Paris zu verlassen, ich hätte ihn doch nicht aufsuchen können, meine Lorbeeren blühen vor Metz. Heute Nacht wars in der Postenkette etwas lebhafter, heute werden leider abgelöst. Militär-Effekten müssen, wenn nicht mehr als 5 Pfd. wiegen, von der Post acceptiert werden, lass deshalb den mir zu schickenden Säbel auf keinen Fall abweisen. Geld kannst Du getrost schicken, alle Geldbriefe kommen an.
Herzliche Grüsse
an
Alle, besonders Grossmama, beide Onkels. Schreibt Onkel Fritz nicht mal ?
Dein Franz.
Den 21sten September
Das Wetter ist reizend.
Die Moselberge mit den malerisch gruppierten Dörfern, Weinbergen heimeln
einem ordentlich an. Unser Hüttenlager nähert sich immer robinsonartiger
Vollkommenheit, leider nur hat unsere Thätigkeit mehr den Anstrich des
Bummler-Lebens, von Ernste des Krieges ist wenig zu bemerken. Ich hoffe, wir
kommen bald wieder auf Vorposten, damit man wenigstens wieder etwas
Geknatter hört ! Was macht Ihr in Walluf ? Was denkt Onkel Alex über die
Lage der Dinge ? Ruht sein Geschäft ganz ? Bitte schreib mir recht oft.
Franziska ist wirklich zu lieb, sie versorgt mich mit allem. In welchem
Regiment steht Riehl ? Gestern waren wir in einem Schlosse Frescaty,
campierten im Zimmer des Schlossfräuleins Marianne, Ich dachte viel an
unsere drei "Grazien", wie Du zu sagen pflegst. Das Zimmer sah so idyllisch
aus, dass es hätte Vickely gehören können. Auch ein Ehrhard'scher Flügel,
digne d' Emma, war vorhanden, den einer unserer Fähnrichs, der mehr guten
Willen als Talent besitzt, schrecklich maltraitierte. Prinz Friedrich Karl
(der jetzige Chef) hat heute den Regimentern Eiserne Kreuze zur Verfügung
gestellt, um Tapferkeit gleich zu belohnen, mit der Erlaubnis, jetzt
grössere Coups zu wagen.
Herzlichst an Alle
Dein Franz.
Jouy, den 22 ten Sept.
Meine liebe, gute
Franziska ! Es ist wirklich zu arg, wie Du mich verwöhnst, kaum habe ich
gestern eine Menge Pakete erhalten, dadurch den Neid des versammelten
Kriegsvolks erregt, so erschienen heute wieder zwei. Mit Stolz marschierte
ich in dem eleganten neuen Hemde im Lager umher. Aber nicht nur Hemd,
Strümpfe, nein, Du denkst wirklich an alles. Die kleinen Armwärmer werden
mir famose Dienste leisten. Meine Karte von gestern hast Du wohl erhalten ?
Wir liegen jetzt wieder im gros vor Jouy, besteht unsere Beschäftigung im
Bauen von Hütten. für uns Offiziere erhebt sich schon ein prächtiger Palast
von Stroh und Laubwerk in der Luft; Stühle, Tische, selbst einen höchst
eleganten Vorhang, haben wir aus einem Schlosse Frescaty in der Nähe. Wir lagen dort einen Tag. Die armen Leute, denen es gehört, thun mir leid.
Wir schliefen in Zimmer des Schlossfräuleins, das elne sehr
zarte Schöne gewesen sein muss, davon zeugten die schönen Ballsträusschen an
den Wänden, die Auswahl sentimentaler Briefe, ihr dediciert von verliebten
Hauslehrern und Consorten. Wir durchstöberten dieses Heiligthum nicht, seine
Ruhe und jungfräuliche Majestät imponierten uns. Die Gegend ist reizend,
wenn's nur nicht so kalt wäre! Kuss an Holü !
Euer Franz.
Jouy, den 23ten Sept. 1870
Morgen kommen wir wieder auf Vorposten, ich auf meine alte Feldwache.
Durch dieselbe wurde gestern auf hohen Befehl eine Feldwache des Feindes
aufgehoben, hoffe ich, morgen auch etwas zu thun zu bekommen. Heute hört man
starkes Bombardement, man vermuthet Ausfall auf Ostseite, Schreibt bald.
Herzlichst
Dein Franz.
Feldwache Tournebride,
24sten Sept.1870
Liebe Mama !
Die ganze Nacht
brachten wir unter dem Gewehre zu, denn es wurde vom Fort St. Julien stark
gefeuert. Von heute ab bin ich wieder für 48 Stunden auf Vorposten, an
Schlafen kein Gedanke. Du kannst Dir denken, dass ich müde bin. Die
Franzosen sind wieder viel lebhafter geworden, sie schiessen auf alles, was
ihnen zu Gesicht kommt, es scheint, der Hunger fängt an, sie zu plagen. Es
wäre ein Segen, wollte diese langweilige, ermüdende Cernierung bald ein Ende
nehmen, wir kommen sonst zu spät nach Paris. An die besten Schützen sind
heute Chassepotsgewehre [das französische Hinterladergewehr] vertheilt, denn
diese erweisen sich als ganz brillant, besonders in Händen unserer ruhigen
Schützen.
Schreibe bald. Herzliche Grüsse an Alle.
Dein Franz.
P.S.
Ich werde Jetzt alle 8 Tage 48 Stunden auf Feldwache sein, denn es ist
Befehl, es sollen immer dieselben Offiziere dieselbe Feldwache commandieren,
damit sie das Terrain besser kennen.
Feldwache bei Tournebride, am Sonntag, den 25sten Sept.1870
Lieber Wilhelm und
Franziska !
Ein Befehl des Prinzen Friedr. Karl, der uns seit dem Abtritt
des Haudegen Steirmetz befehligt, hat wieder etwas Leben in unsern flauen
Cernierungsdienst gebracht, knattert es doch wenigstens spurweise in der
Postenkette. Auch haben wir den biedern Franzosen, welche von Maison Rouge
aus ganz harmlos Kartoffeln zu suchen pflegten, dieses Verfahren mit einigen
Begrüssungsformeln verwiesen, worauf sie denn so erregt scheinen, dass sie
auf jede unserer Ablösungen, auf jeden an
der Bildfläche erscheinenden menschlichen Kopf Feuer abgeben, und zwar ganze
Salven. Ihr könnt Euch denken, dass wir infolgedessen in ewiger Aufregung
leben, an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Die vergangene Nacht lag ich
noch im gros bei Jouy, und wurden wir dort um 10 Uhr Nachts alarmiert,
standen unter Gewehr bis 5 Uhr Morgens, denn vom Fort Julien auf der
Ostseite war lebhaft gefeuert worden. Wir hatten natürlich garnichts damit
zu thun, mussten aber, unter Gewehr stehend, warten. Angenehmes Loos ! Wir
Offiziere der Compagnie hatten uns auf einen Protzkasten, der vor dem
Bivouacsplatz aufgefahren, niedergesetzt, werfen wehmuthsvolle Blicke auf
unsere prächtige Laubhütte. Gestern früh um 7 Uhr wurden wir wieder in die
Vorpostenkette vorgeschoben, hatte ich in der vergangenen Nacht das Glück,
die Vorpostenkette revidieren zu dürfen, die Kugeln pfiffen gehörig um uns
her. Das muss man den Franzosen lassen, muthig im Patrouillieren sind sie,
denn kaum hatten wir 100 Schritt ins Vorterrain gethan, so stiessen wir auf
eine feindliche Kavallerie-Patrouille (sie machen meistens solche), welche
von der hinter uns liegenden Artillerie auf unser Avertissement hin gut
empfangen wurde. Heute bin ich nun auf Feldwache, und zwar wieder auf
derselben, welche ich schon einmal commandiert, da es Befehl ist, dass immer
dieselben Offiziere wieder ihre alten Platze einnehmen. Alle besten Schützen
unserer Vorposten sind mit Chassepots bewaffnet, da dieselben unsere
Zündnadel bei weitem übertreffen; schössen die Franzosen mit derselben Ruhe
wie unsere Leute, so wäre es schlimm, aber sie zielen überhaupt nicht
besonders. Die Turcos, welche uns jetzt gegenüber stehen, sind famose
Tirailleurs, aber zu unruhig zum sicheren Zielen. Wie lange unser Reg. noch
auf Vorposten bleibt, ist unbestimmt; zu wünschen wäre, wir würden bald
abgelöst, denn wir sind alle schrecklich müde. Auch mir fallen beinahe die
Augen zu. Ich hoffe, der Oberst erlaubt uns, oder die Feinde geben uns
Gelegenheit zu einem bedeutenderen coups, denn obschon dieselben keinen
strategischen Zweck haben, Metz nicht früher fallen wird, schaden sie, mit
Klugheit ausgeführt, doch nicht. Ob Metz noch hinreichend verproviantiert,
ob nicht, das ist die grosse Tagesfrage. Zwei Bauern, die gestern von dort
händeringend an unsere Posten kamen, flehend baten, man möge sie durchlassen
in ihre Heimath, erzählten, es sei grosser Mangel, Salz sei keines mehr
vorhanden, schon fange das Pferdefleisch an, Seltenheit zu werden. Ander
Nachrichten zufolge (es sind verschiedene Luftballons aufgefangen worden)
soll im Gegentheil noch Ueberfluss herrschen, könnte es uns also blühen,
dass wir noch wochenlang hier liegen müssen, das wăre zwar schrecklich für
die armen Leute, welche sich gegen die Kälte nicht durch warme Unterkleidung
schützen können, aber trotzdem würden wir alle freudig, opferbereit alle
Strapazen ertragen, als jetzt, nachdem so viel edles Blut geflossen, einen
schändlichen Frieden, wie es die Programme des Jacoby und Consorten zu
verlangen wagen, abzuschliessen. Wir wollen keine Eroberungen, keine franz.
Gebiete, aber was deutsch war, muss euch durch diesen Frieden wieder deutsch
werden als Territorium, wenn es auch im Geiste nicht gleich ganz ist, so
wird es doch mit der Zeit auch anders denken lernen. Metz wollen wir nicht,
es muss aber geschleift werden, das ist vom strategischen Standpunkt eine
nöthige Garantie, denn wieviel mehr uns Festungen aufhalten können als
Armeen im Felde, das hat der Krieg uns bereits zur Genüge gezeigt. Ob wohl
Jules Faure in Meaux etwas ausrichten, ich glaube, es wird schwer sein, eine
Basis für Verhandlungen mit der Republik überhaupt zu finden.
Von Euern
Sendungen habe ich alles erhalten ausser der Seife, die war auch das an
wenigst nöthige, denn Hauptsache ist jetzt Wärme, Essen; Toilette tritt in
Hintergrund. Schreibt recht oft.
Herzlichst Franz.
Gruss und Kuss Holm.
Sonntag, den 25.ten
Sept. Feldwache bei Tournebride
Liebe Mama
Wieder ist
es Sonntag, wieder sitze ich auf meinem alten ,gestickten Sessel, denke
wehmuthsvoll an die schöne Hand, die diesen Tröster für einsame
Feldwachehabende einst ahnungslos gestickt. Ich habe soeben ein elegantes
Frühstück eingenommen, bestehend aus einem Stück Conmissbrot und Speck,
beides wurde mir in beiliegendem Kalender zugeschickt. Meine Comp. liegt
nämlich wieder auf Schloss Frescaty, und ich mit meinem Zuge bin hierher
detaschiert. Der Kalender des sehr edlen Frl. von Frescaty musste als Hülle
für ein gemeines Stück Speck dienen. Armes Kind, Du weisst nicht, wie gut
Speck ist, wenn man nichts anderes hat, und draussen sitzt mein Bursche und
braut unser. beider Mittagmahl: Kartoffeln und Speck!- Ja, die Zeiten haben
sich geändert, seit ich zum letzten mal auf diesem Sessel sass, die
General-Cigarren sind ausgegangen in eitel Luft, auch Wilhelms Liebesgabe
ist bald nicht mehr, aus harmlos Kartoffeln suchenden Franzosen sind blutige
Turcos geworden, statt dass früher einzelne Schüsse fielen, knattert es
jetzt ganz lustig, gibt es Tageszeiten, wo einem die Granaten sausend um die
Ohren pfeifen, aber dessen freuen wir uns weidlich, necken den Feind, wo wir
nur können, denn in den Vorposten muss Leben sein. Mein Wunsch ist nun doch
noch in Erfüllung gegangen, ich stehe endlich den grausigen Turcos
gegenüber, ich gäbe viel darum, könnte ich ein Exemplar dieser höchst
ehrenvollen Rasse lebendig einfangen, Euch zuschicken, leider ist dies aber
schwer, denn die Posten stehen alle zu gedeckt, eingegraben. wollt Ihr meine
Erlebnisse in den letzten Tagen, meine Privat-Ansicht über den Stand der
Dinge erfahren, so lest den Brief, den ich heute an Wilhelm geschrieben, ihm
gebührte ein ausführlicherer Brief als Dir, denn er schrieb mir, Du nicht.
Heute Morgen hatte ich den Besuch des General von Strubberg, welcher sich
ganz genau die Aufstellung meiner Posten beschreiben liess. Der alte Herr
reitet mit bewunderungswürdiger Kaltblüithigkeit zwischen den Vorposten
einher, auch Goeben zeigt sich von Zeit zu Zeit. Der Vorpostendienst ist
sehr interessant, aber furchtbar ermüdend, fürchte ich für unsere Leute,
wenn wir nicht bald abgelöst werden. wie lange wir überhaupt noch hier
bleiben ? !
Schön wäre es, könnte ich
Weihnachten bei Euch sein. Auf Frieden ist wohl fürs Erste wenig Aussicht,
denn Bazaine wird sich keinesfalls mit den Beschliessungen Jules Pavres
einverstanden erklären. Die Festungen können uns noch lange aufhalten. Die
Nächte werden immer kälter, heute Nacht war der Himmel blutig roth
übergossen von einem wunderschönen Nordlichte; es sah herzlich aus, wie die
Sterne glitzernd durch die rothe Decke schimmerten. Mit sehnendem Auge
stierten der sentimentale Fähnrich (der neulich den Ehrhard'schen Flügel
bearbeitet) und ich in den allgewaltigen Himmel, mit zitternder Stimme
erzählte ersterer von seinem Lieb, das fern im Norden seiner harre, den
Lorbeer bereit halte für sein lockig Haar, ich dachte an das bekannte Lied
"von der Abruzzen Frau", wünschte, die Turcos möchten kommen, auf dass wir
über sie hinweg springen könnten, folgen könnten dem freundlichen Rufe der
Thürme Metz's, welche uns ihr: "Komm her" sehr deutlich zuwinken, aber es
kamen keine Turcos, der Fähnrich wurde immer sentimentaler, auch mir wurde
wehmüthig zu Muthe, vergessen waren die Abruzzen, süsse Lieder klangen
mir im Ohr, das Herz drehte sich mir um, schmerzlich rief ich nach einem
Häring, den moralischen Kater zu tilgen, doch es kommt kein Turco, kein
Häring, verzweifelt that ich einen tiefen Zug aus der Feldflasche, nahm mir
vor, ich wollte Dir heute beschreiben, was ich die Nacht gefühlt,
gedacht, da .... "Halt ! Wer da ?" ruft eine ängstliche Stimme. Parole:
Franzosentod, Feldgeschrei: ein freies, einig Deutschland I Adieu. Schreibe
bitte endlich einmal wieder. Hat Onkel Fritz mich ganz vergessen ?
Herzliche
Grüsse an
Alle, Alle
Dein Franz.
Jouy, den 26sten Sept.
Liebe Mama !
Brief nebst Geld soeben empfangen, liege wieder im gros. Da Dir gestern langen Brief geschrieben, habe jetzt nichts Neues. Es geht mir famos.
Herzlichste Grüsse an Alle,
Alle, aber schreibt bitte öfter.
Dein Franz
.
Feldwache bei
Tournebride am 29sten Sept.
Liebe Mama !
Wieder
sitze ich auf der Dir bekannten Feldwache, und zwar für einige Zeit zum
letztenmal, denn morgen wird unser Reg. vom 28sten vom Vorpostendienst
abgel8st, bezieht Quartiere in Jouy. Nach den colossalen Anstrengungen der
letzten Tage ist des sehr wünschenswerth, denn dieses ewige auf dem qui vive
stehen, spannt ungeheuer ab. Vorgestern wurde von meinem Nachfolger auf der
hiesigen Wache ein Ausfall auf Maison Rouge gemacht mit zweifelhaftem
Erfolge. Das Gebäude war an diesen Tage vollständig von Besatzung entblöst,
da alles nach Metz gezogen war zur Unterstützung eines Ausfalles auf der
Ostseite zwecks der Fouragierung, leider gelang dieses, hat sich unser
Reg.55 einigermassen ins Bockshorn jagen lassen. Es war also für die Leute
leicht, in das vollständig unbesetzte Maison Rouge einzudringen, dasselbe in
Brand zu stecken, als sie aber den Platz verlassen wollten, empfing sie vom
Jenseitigen Moselufer aus ein colossales Gewehrfeuer der dort stationierten
franctireurs, und leider konnte sich unsere Abtheilung nur mit Verlusten
zurückziehen. Gestern als wir kaum als Ablösung in Tournebride angekommen
waren, empfingen uns als Revanche für das brennende Maison Rouge die
Franzosen von ihrem mächtigen Fort St.Quentin aus mit famos gezielten
Granaten, die ersten platzten mitten im Gehöfte von Tournebride, wir zogen
uns hinter das Gehöft zurüick, hatten kaum die Gewehre zusammengesetzt und
uns in einen Schützengraben geworfen, so crepierte eine Granate mitten in
unseren Gewehren, wir waren gezwungen, uns in die nahe lisiére [Rand] eines
Waldes zurückzuziehen, wohin uns sofort die Granaten folgten. Ein wahres
Wunder Gottes war es, dass kein Mann der Comp. getroffen, es war Sache von 2
Minuten, denn hätte uns die Granate noch in den Gewehren getroffen, so wäre
die halbe Comp. zum Teufel gewesen. Da habe ich aber so recht die Bestie im
Menschen erkennen können, denn sowie die Granate vor uns platzte, warfen
sich die Kerle zähneklappernd an die Erde. Der Hauptmann und ich, die
einzigen Offiziere, welche zugegen, mussten mit dem Säbel dreinhauen, um sie
wieder zur raison zu bringen, doch wirkt nur die erste Granate so
deprimierend, man gewöhnt sich daran. Die halbe Nacht haben wir nun im Walde
campiert, bezogen unter dem Schutze derselben unsere Positionen wieder,
empfingen dort als Tröster für die Unruhe des Mittags die Nachricht von der
Capitulation von Strassburg. Jules Favre hat doch sehr unklug gehandelt,
Bismarcks drei Forderungen in Betreff des Friedens so kurz ab zu verwerfen,
denn der schlaue Graf hat sie gewiss mit Fleiss so gestellt, Toul,
Strassburg sind beseitigt, der Mont-Valérien wird wohl auch bald folgen.
Jules Favre käme gewiss jetzt gerne, acceptierte, aber das dürfte jetzt wohl
fehlschlagen. Die Nachricht von der Capitulation Strassburgs hat heute ein
Parlamentär dem Marschall Bazaine überbracht, was er erwidert, muss man
abwarten. Derselbe scheint sich als Herr per se zu betrachten, wird
entschieden kaum die Pariser Entschliessungen annehmen, einen von ihm
gegebenen Befehl, welcher ihr famos charakterisiert, werde ich Dir
mittheilen, wenn ich noch bekommen kann, er wurde uns allen in Abschrift
vorgelegt. Heute sitzen wir nun in Tournebride wieder ganz sicher, denn die
Franzosen werden sich wohl hüten, noch mehrere ihrer theuern Granaten auf
uns zu verschleudern (einen Splitter, der dicht vor uns crepierte, habe ich
aufgehoben). Das einzige, was noch an die letzten Scenen erinnert, ist das
immer noch brennende Maison Rouge. Es ist jammerschade um dies schöne
galante Schloss, ich hoffe für Frl. von Frescaty, ihr Musensitz bleibt
verschont, geht nicht einem gleichen Lose entgegen. Du wirst Dich wundern,
dass Dir immer von Feldwache längere Briefe schreibe, man hat da am meisten
Zeit, muss Tag und Nacht wach sein. Diese kleine Affaire hat unserm sehr
edlen Herrn Oberst gewiss einen Rüffel zugetragen, das mit Recht, denn es
ist bei allen solchen Unternehmungen nie ein anderer Zweck als unnöthiges
Blutvergiessen, denn Metz wird nicht eher fallen, ob Maison Rouge verbrannt
oder nicht, vorgeschoben kann unsere Vorpostenkette doch nicht werden.
Ueberhaupt haben wir wieder vor Metz das grosse Los gezogen, es kann hier
noch ewig dauern, obschon die Versuche der Metzer-Garnison, zu fouragieren,
auf Mangel hinweist. Nun, ich hoffe, man erlöst uns von Paris aus. H.von
Besser hat mir aus Wiesbaden geschrieben, er ist wieder gesund, dem Regiment
nachgereist. Von Alfred schreibt er, trotz meiner ausführlichen Frage, kein
Wort. Onkel Moos hat mir neulich Cigarren geschickt, ich habe ihm eine Karte
geschrieben. Versorgt sind wir nun famos, vor mir steht
eine volle
Flasche des besten, alten Rheinwein. Unsere Comp. hat Glück gehabt.
Vorgestern wer der Geburtstag unseres Chefs, des Hauptmanns, Grafen
Lüttichau, zu welchem Tage uns die Prinzess Salm, die hier ein
Liebesgaben-Depot hat, famos versorgte, wir soupierten unter dem
sternenhellen Himmel des schönen Frankreichs, die Champagner-Pfropfen
knallten zur Ehre des schöneren Deutschlands und unseres grossen Königs. Es
wurde auf das Wohl aller unserer Verwandten, Frauen, wo solche vorhanden,
etc. getrunken, es schmeckte uns wie seit Wochen nicht, als Braten hatten
wir Feldhühner ! sage ! schreibe ! Vergessen ist der Speck ! Es lebe der
Erfinder der Liebesgaben !
!
Herzliche Grüsse an Alle
Dein Franz.
An die K.Z. [Kreuz
Zeitung ?] habe ich noch nichts geschickt, Weil wir noch nichts geleistet,
mit andern dummen Scribenten in das Horn der Alltäglichkeiten schöne Phrasen
blasen, will ich nicht.
Feldwache Tournebride,
am 29sten Sept.1870
Herrn Dr.W.Kalle.
Meine Lieben, jetzt kann ich auch von "im Feuer gewesen sein" einigermassen
mitsprechen, denn gestern sausten die Granaten nur lustig um den Kopf. Einen
längeren Brief bekommt Ihr heute nicht, Ihr könnt den an Mama lesen,
das nächstemal seid Ihr wieder an der Reihe. Was sagt Ihr zu Strassburg ?
Endlich haben wir sie, endlich hat die Noth den Trotzkopf Uhrich (vor dem
ich übrigens allen Respekt habe) gebrochen, möchte es doch mit dem lieben
Metz bald eben- so gehen, wir langweilen uns noch gerade. Was macht Holü ?
Küsse sie herzlich von mir, grüsse alle Kalles, Mad.Holm, Herrn und Frau
Thurneyssen nicht zu vergessen. Neues zu schreiben, weiss ich nicht, im
Brief an Mama habe mich erschöpft.
Euer Franz.
Schreibt bald mal
wieder, ich bin kreuzfidel, leider können das nicht alle sagen, viele, sehr
viele sind krank.
Soeben Deine Handschuhe erhalten, Du bist zu gut.
Herzlichen Dank.
Liebe Mama !
Ich hoffe, Du hast gestern meine Karte erhalten. Wir sind jetzt wieder rückwärts marschiert, liegen endlich in den uns so lange versprochenen Quartieren, wie lange, ist unbestimmt, es verlautet stellenweise, es solle aus uns eine Armee für den Süden gebildet, das wäre herrlich, in Lyon muss es schöner sein als in Dreck, der Metz umgibt. Doch ist das vielleicht auch wieder blague. Hoffen wir des Beste ! Die Post-Verbindung zu uns ist jetzt sehr schlecht, Unsere Stellung ist im zweiten Treffen, was gut, denn die 3 Wochen Vorposten hatten angegriffen.
Herzliche Grüsse an Alle.
Dein Franz.
Aube, den 30sten Sept, 1870.
Fortigny, am 2ten Okt.
1870
Du wirst wohl staunen, so lange keine Nachricht von uns erhalten zu
haben, folgendes der Grund: Bazaine hat in der letzten Zeit auf der Seite
des VIII. Armeecorps verschiedene mal versucht durchzubrechen, weshalb der
Gürtel um die Festung etwas enger gezogen wurde, infolgedessen löste uns das
II. Corps gestern ab, und wir marschierten in grossen Bogen um Metz herum,
um hier dem VII. Corps beigeschoben zu werden. Wir sollten in Jouy in
Quartiere kommen, aber leider als der Feind uns anrücken sah, schoss er den
Ort mit Granaten in Brand, mussten wir ohne Holz und Stroh im Freien
bivouacieren. Wo heute hinkommen, ist unbestimmt. Eine Karte von Metz habt
Ihr wohl, um unseren Kreuz- und Quer-Zug verfolgen zu können. Die Nacht über
waren wir sehr heiter, wir hatten vom Intendanten 24 Flaschen Porter-Bier
geschenkt bekommen, im nächsten Dorfe eine Gans gekauft, brachten die Nacht
durch bei schlechten Witzen.
Herzliche Grüsse an Alle.
Franz.
Aube, den 3ten. October
1870
Liebe Mama !
Viele
der Freuden auf einmal bestürmten heute mein kriegerisch Haupt, zum
erstenmal nach dreiwöchentlichen Vorpostendienste befinde ich mich in einem
Bette, - zwar schmutzig, hart, aber doch ein Bett -, dann 2 Briefe von Dir,
Franziska, das sind zuviele der Freuden für einen Tag, für einen Menschen.
Denn was ein Brief einem für Vergnügen macht, glaubst Du nicht, es ist
rührend anzusehen, mit welch' zitternder Hand, freudestrahlenden Augen alle
unsere Kerls täglich die Briefe ihrer Frauen öffnen. Billets doux,
geschrieben mit schwieliger Hand, aber diktiert aus warmen Herzen ! Weiss
Gott, hätte ich es noch einmal zu thun, ich würde mit einer beliebigen
Schönen eine Zeit-Ehe für Dauer des Krieges eingehen, nur um Briefe zu
erhalten und nicht immer von den Kameraden mitleidig gefragt zu werden:
"Hast
Du kein blauäugig Mädel im deutschen Land, das Deiner denkt mit schwerem
Herzen, kein trauernd Weib, das Deiner harrt ?" um ihnen zudonnern zu
können, Ja, tausendmal ja, ich hab' ein
Weib ! "Aber diese guten Gedanken kommen
leider zu spät, hier kann ich leider auch nicht unter Hymens Joch treten,
denn alles Weibliche unter 50Jahren ist aus Angst vor der stolzen Borussia
geflohen, so muss ich Dich denn bitten, liebe Mama, mir doppelt oft zu
schreiben. Denkt nicht auch Onkel Fritz ein wenig an mich ? In Mainz bekam
ich einen so lieben Brief von ihm, der mir auf lange Zeit das Herz erwärmte,
Dass ich Tante Nathalie keine Gratulation geschrieben, nehmt Ihr mir wohl
nicht übel, die Zeit ist so bewegt, dass man manches vergisst. Wir sind,
nachdem wir neulich endlich von Vorposten abgelöst, gleich am folgenden Tage
in Jouy alarmiert worden, marschierten auf die Ostseite von Metz, wo es
schrecklich aussieht, wurden aber glücklicherweise auch dort schnell erlöst,
stehen nun fürs Erste im zweiten Treffen hier, Das Quartier ist sehr
schlecht, zu essen auch wenig, aber man ist doch unter Dach. Es verlautet,
wir sollten als neu bildende Armee nach dem Süden geschickt werden, das wäre
herrlich, denn hier wirds nachgerade kalt, Die armen Einwohner der hiesigen
Gegend sind ungeheuer zu beklagen, man geht gut mit ihnen um, aber wie viele
Dörfer sind in Brand geschossen, wie Viele sterben vor Hunger. Gestern kamen
wir durch ein Dorf, wo der Typhus schrecklich gehaust hatte, in mehreren
Häusern lagen noch Leichen, die Bewohner waren alle geflohen, nur einzelne
alte Mütterchen sah man an den Thüren stehen; infame Methode, die Alten,
Schwachen allein zurück zu lassen, zum Glücke haben unsere Soldaten Achtung
vor dem Alter, aber es gibt doch überall einzelne rohe Kerls, auf jeden Fall
ist es herzlos von Kindern, die Eltern so zu verlassen, Onkel Alex, Tante
Nathalie bitte ich teusendmal zu grüssen; wie geht es der Letzteren Sie tut
mir zu leid, denn ich begreife, was sie fühlen muss, es muss zu hart sein,
zu sehen, wie das Vaterland, das man liebt, verehrt, das Vaterland, das
immer stolz dastand in majestätischer Grösse, so zertreten wird. Es muss das
jedem edlen Franzosen durchs Mark gehen. Einen jeden, der fühlt wie Tante
Nathalie, ein Jeder, der mir hier ernst, streng entgegen tritt, sogar der,
welcher uns grob begegnet, den ehre, achte ich, denn ich würde es ebenso
machen. Aber jeder, der, wie es die meisten Franzosen machen, und
schmeichelnd entgegenkommt , der ist in meinen Augen eine Canaille, denn je
mehr des Vaterland in Gefahr, umso mehr muss man an ihm hängen, seine Liebe
zu ihm laut verkünden. Ob das Volk selbst Schuld trug am Krieg, ob nur der
Kaiser, das gilt jetzt gleich, jeder edele Franzose muss sich jetzt wehren
bis aufs Blut, denn das Unglück ist einmal entamiert [angeschnitten,
begonnen]: ,, Wehe, wenn sie los gelassen, stürzen ohne Unterlass"!
Auch
wir dürfen Jetzt wenigstens einen solchen Frieden, wie ihn Frankreich
anbieten kann, darf, wenn es nicht ehrlos sein will, nicht acceptieren, denn
es ist unsere Pflicht, nach so grossen Opfern uns für ewige Zeiten zu
sichern.
Es wundert mich, dass die Post keine Pakete in Briefform mehr
annimmt, aus andern Provinzen kommen sie massenhaft, Gerne hätte ich etwas
Chocolade, noch ein Paar Handschuhe. Ich hoffe, unser edler Graf Bismarck
findet noch einen. Ausweg, sodass der Friede noch vor Weihnachten kommt,
Onkel Alex ist dann auch noch in Walluf, wir feiern nach allem Unangenehmen
dies Fest fröhlich zusammen.
Herzlichste Grüsse an Alle.
Franz.
Aube, den 4ten Oct.1870
Mein lieber Onkel Fritz
!
Seit Du mich vor einigen Wochen hast ausziehen sehen als stolzen
Commis-Soldaten aus den Thoren von Mainz, haben wir viele Strapazen ertragen
müssen, viel leiden müssen in Wetter und Kälte, aber vorflucht wenig
ausgerichtet. Keine Gelegenheit hatten wir, uns auszuzeichnen, keine
Gelegenheit, auch etwas fürs Vaterland zu thun. Der ganze Aufschwung unserer
Gefühle war ein halb verunglücktes Vorposter-Abentheuer bei Maison Rouge,
wofür der Führer, ein Leutnant Behrens, zwar das eiserne Kreuz erhalten hat,
was aber einen weiteren Einfluss nicht aufzuweisen hat. Dies eiserne Kreuz
war uns zugeworfen, wie etwa einem Hunde ein abgenagter Knochen. Man wollte
uns nicht ganz leer ausgehen lassen. Jetzt sind wir wieder aus der ersten
Linie zurückgezogen, liegen hier in Quartieren, haben des Morgens das
Vergnügen, langsamen Schritts die andern Marterqualen des militärischen
détail-Dienstes durchzumachen. Die übrige Zeit des Tages liegen wir in
geistestödtender Ruhe, ohne Lectüre, ohne irgend was. Ich benutze diese
Ruhe, etwas mit Dir zu plaudern, Dich zu fragen, was Deine Ansicht über die
jetzige Sachlage der Dinge ? Denn eines vernünftigen Mannes Ansicht über die
Lage der Gegenwart habe ich lange nicht gehört. Ich lese zwar die Coelner
Zeitung, die birgt aber in ihren Spalten nur Verlustlisten, höchst
langweilige détail-Malereien müssiger Journalisten, welche die schwere Zeit
benutzen, die Hungernden mit leeren Phrasen, prächtigen Citaten zu füttern.
Hier habe ich nur Gelegenheit, mit den Herrn Offizieren zu politisieren,
ihre Ansicht ist - mit wenig Ausnahmen - nach der stabilen Schablone
hirnloser Unwissenheit zugeschnitten, auch verbauert einem das Leben im
Felde, wer noch eine vernünftige Meinung fassen könnte, der hat im Schmutz
der Bivouacs das Denken verlernt. Also, wie denkst Du über Russland ? Wie
lange wird des Krieges Furie noch ihre helle, leuchtende Fackel schwingen ?
Wird Paris uns ebenso lange aufhalten als das böse Metz, der tapfere Bazaine
? Oder hat Paris keinen Bazaine, herrscht dort der feige Pöbel ? Man munkelt
hier etwas von einer siegreichen Schlacht bei Paris, ist das wahr ? Die
thörichte Meinung, welche, hervorgerufen durch das Umgehen des
Festungsvierecks am Mincio im Jahre 66, allgemein verbreitet war, Festungen
seien in der neuen Taktik von keiner Bedeutung mehr, sie würden
ruhig umgangen, ist auf das glänzendste dementiert, denn das einzige Metz
macht uns mehr zu schaffen, als es die ganze Grande Armee des stolzen
Frankreichs gekonnt hätte, selbst Nester wie: Toul, Strassburg, haben grosse
Truppenmassen brach gelegt. Die sind nun endlich gefallen, ob Metz bald
folgen wird, ist zweifelhaft. Authentischen Nachrichten zufolge ist die
Stadt selbst nur von Mobilgarden besetzt, vor derselben in den Forts ist
aber eine Armee von mindestens 40,000 Mann mobiler Truppen. Verwundete
sollen circa 30,000 in der Stadt sein. Krankheiten sind noch nicht
ausgebrochen. Was Verpflegung angeht, so soll Fleisch, Salz gar keines mehr
vorhanden sein, schon seit längerer Zeit wird nur Pferdefleisch gegessen.
Dagegen soll noch Ueberfluss an Brot, Dürrgemüsen sein, auch an Pferdefutter
soll Mangel sein. Dass Bazaine sich bis zur Unmöglichkeit halten wird, ist
zweifellos, alle diese Nachrichten sind aus aufgefangenen Luftballons
entnommen. Die Capitulation von Sedan, Strassburg soll in Metz nur
gerüchtweise bekannt sein. Dass sich die Verhandlungen, welche Jules Favre
entriren wollte, zerschlagen mussten, war selbstverständlich. Resultat der
Besprechung in Ferrière konnte nur Einberufung der constituierenden
Versammlung sein, denn wir können nur mit dem Gesamt-Volk Frieden
schliessen, nicht aber mit dieser Interims-Regierung, welche nur einen
Bruchtheil der Nation repräsentiert, noch auch mit Napoleon. Was denkt Onkel
Alex uber die Lage von Paris ? Kann es sich längere Zeit halten ? Mir geht
es, wie Du aus Berichten an Mama gesehen, gut, seit dem ersten October bin
ich in eine Offiziersstelle aufgerückt, beziehe jetzt eine monatliche
Feldzulage von 20 Thaler, was nicht zu verachten ist. Bitte, schreibe mir
bald einmal. Grüsse Alle herzlichst. Was macht Dein Franz ?, er könnte auch
mal was von sich hören lassen.
Dein
F. Kniesling.
Aube, den 5ten October.
Liebe Mama !
Soeben
erhalte ich Deinen Brief, es ist mir unbegreiflich, dass Du behauptest, so
lange ohne Nachricht von mir zu sein, ich schrieb in den letzten Tagen
ebenso häufig als früher, nur während der Zeit unserer Umquartierung konnte
ich es nicht. Wir sind nämlich gleich nach der Geschichte von Mercy le heut
(bei der wir natürlich nicht zugegen) auf diese Seite der Festung hingezogen
worden, um dort den Gürtel enger zu ziehen, So geht es uns immer, überall
kommen wir zu spät, es ist das ein eignes Verhängnis. Nur übermorgen, heisst
es, sollen wir wieder Vorposten bei Peltre vor Mercy le haut beziehen, hoffe
ich, wird Herr Bazaine dann wieder Ausfall-Versuche machen, die Cernierung
ist Jetzt so fest, dass er gut würde empfangen werden, wir wollten schon die
Scharte von neulich auswetzen. Entschuldige, dass ich heute nicht mehr
schreibe, wir kommen aber von Arbeit zurück, haben den ganzen Tag bei Mercy
le haut Schützengräben gemacht unter dem Granatfeuer von St. Quentin, gegen
diese Speise sind wir jetzt genug abgehärtet, Die Franzosen machen sich
täglich das Vergnügen, Granaten auf uns abzufeuern, doch wir empfangen diese
Liebesgaben jetzt alle mit der nöthigen Ruhe. Gestern habe zwei lange Briefe
an Onkel Fritz, Dich abgeschickt, ich hoffe, Du erhältst sie. Uebrigens
musst Da Dich nicht ängstigen, wenn in den nächsten Tagen wenig erfährst,
denn von den Posten aus wird unsere Verbindung mit der Post schlecht sein.
Grüsse Alle, Alle aufs herzlichste, auch Franziska, ich habe Jetzt keine
Zeit, ihr zu schreiben. Dass Paris sich jetzt nicht so sehr bald geben wird,
glaube ich auch. Doch mit der Zeit pflückt man Rosen.
Dein Franz.
Jouy, den 8ten Oct.
Seit heute früh wieder
auf Vorposten in Jouy, wo wir 6 Tage bleiben. Heute geht hier das fabelhafte
Gerücht, Leboeuf und Bazaine hätten sich duelliert. Ich hoffe, meine Briefe
habt Ihr erhalten.
Herzlichste Grüsse an Alle.
Franz
Jouy, den 8ten Oct.
Liebe Franziska, lange
habe ich Euch nicht mehr geschrieben, hatte aber auch in der letzten Zeit
wenig Ruhe. Selt heute sind wir wieder auf Vorposten für 6 Tage. Leider ist
das Wetter schlecht, leider muss man sich doch sagen, dass nichts zu machen
ist; wir liegen bloss im Dreck, weiter hats keinen Zweck ! Schickt bald mal
wieder ein paar gute Cigarren.
Franz.
Jouy, den 9ten Oct.
Liebe Mama, den ganzen
Tag heute in Gefechts-Bereitschaft, natürlich wieder für nichts und wieder
nichts, noch regnet es sehr stark, weshalb diese Unruhe langweilig. Ich
hoffe, Du hast meine gestrige Karte erhalten, schickst mir nächstens, von
der Licenz der Post Gebrauch machend, Vieles, besonders Säbel.
Herzlichst
Franz.
Jouy, am 9ten Oct.
Herrn Dr. Kalle,
Meine Lieben, herzlichen Dank für neue Sendurgen, wenn möglich, bitte ich
mir einen Säbel zu schicken, das ist das wichtigste. Wir sind jetzt fast
permanent alarmiert. Bazaine soll nämlich an der Seite der Kummer 'schen
Division ausgebrochen sein am 7ten bereits mit 50,000 Mann, nicht
zurückgekehrt sein. Es wäre ein Glück, wenn er abgeschnitten, Metz so fallen
müsste. Wir liegen jetzt in der Nahe des in Feuer geschossenen schönen
Schlosses Mercy le haut, es ist ein Jammer, anzusehen, wie durch die hohen
kahlen Bogenfenster desselben der Wind pfeift. Es ist furchtbar ! Du arme
Franziska bist krank, schone Dich recht.
Herzlichst
Dein Franz.
Jouy, Wald, Vorposten 9ten Oct. 1870
Herrn Dr. Kalle
Habt
Ihr meine Karten erhalten ? Am letzten Ausfalle haben Wir natürlich wieder
keinen Theil. Es geht gut, nur liegen wir in Dreck bis über die Ohren.
Hohü Kuss. Herzlichst
Euer Franz.
Liebe Mama I Du hast
wohl meine diversen Karten erhalten, Wir liegen immer noch im Dreck, haben
uns seit 4 Tagen nicht gewaschen, schreckliche Position ! Ausserdem sind wir
permanent alarmiert, natürlich ohne Grund, jede armselige Granate treibt uns
an die Gewehre. Bitte schicke mir bald Säbel etc. Was macht Ihr ? Hat Onkel
meinen Brief erhalten ? Was machen unsere Grazien ? Herzliche Grüsse an Alle
!
Dein Franz.
Jouy, den 10ten Oct.
Vorposten bei Jouy im
schrecklichsten Regen auf freiem Felde. Bitte schicke mir baldmöglichst
Säbel, Offiziers-Koppel, wenn möglich, auch Offiziersmantel resp. Paletot,
noch eine Decke, es wird barbarisch kalt, besonders wenn bis auf Haut nass I
Wollte gestern langen Brief schreiben, war unmöglich, nächstens mehr.
Herzlichst
Franz.
Jouy, den 11ten Oct.
Werden morgen früh von
Feldwache zurück in das gros der Vorposten versetzt, was keine Verbesserung
ist, denn dort wie hier liegt man im Dreck. Einige Feldwachen habe ich
wieder gethan. Passieren kann natürlich nie etwas, dies Glück haben wir
nicht. Meine Erlebnisse der letzten Tage erhältst Du in längerem Briefe am
nächsten Tage der Muse, Ich habe viel geschwärmt in den Ruinen des
romantischen Schlosses Mercy le haut, viel gefroren unter dem blauen Himmel
der belle France, ein Paletot ist deshalb sehr erwünscht. Bazaine erlaubt
sich jetzt fast täglich einen kleinen Scherz, es ist das die Wuth der Ver-
zweiflung, darf man wohl auf baldiges Ende hoffen. Vor uns scheint er
höllische Angst zu haben, er bewirft uns zwar mit Granaten, die selten
crepieren, wagt sich aber nicht näher.
Herzliche Grüsse an Alle
Dein
Franz.
Wald bei Jouy, am 14ten
Werden soeben von
Vorposten abgelöst, kommen zurück ins Quartier nach Basse-Bens bei Remilly,
wohin Du Pakete schicken kannst. Vom Quartier sofort langen Brief.
Herzlichst Franz.
Clemence aux bois [ in
der Nähe von Aube], den 14ten Oct.
Herrn Dr. Kalle
Von
Vorposten zurück in scheussliche Quartiere gekommen, auf einem Bauernhofe
liegt die ganze Compagnie. Zu schicken bitte ich: Säbel, Offiziers-Koppel,
Regenmantel. Ihr thätet mir grossen Gefallen, wenn Mama veranlassen wollt,
mir es bald zu schicken. Nächstens mehr.
Herzlichst Franz.
Clemence aux bois, den
15ten
Deinen Brief erhalten,
herzlichen Dank, bitte Pakete nach Pontoy zu schicken, bleiben hier auf
schlechtem Gehöfte 12 Tage liegen. Schreibe heute Mittag Brief.
Herzlichst Franz.
Grüsse Alle!
Clèmence aux bois, den
15ten
Herrn Dr.Kalle
Meine
Lieben, gestern habe Deine verschiedenen Pakete, Porte-épee etc., erhalten,
ich hoffe, der Säbel folgt bald nach. Einstweilen herzlichen Dank, Franziska
ist wohl wieder gesund ? Nächstens mehr. Wir sind hier eine ganze
Comp., auf
Gehöft als Strafcommando, da hier Sammelplatz der Franctireurs.
Herzlichst Franz.
Clemence aux bois, den
15ten
Meine Lieben !
Endlich komme ich einmal wieder dazu, eine längere Epistel an Euch in aller
Ruhe zu richten, denn in den letzten 6 Tagen war von Ruhe verteufelt wenig
die Rede. Der Vorpostendienst auf dieser Seite ist bedeutend anstrengender
als bei Jouy, nichtsdestoweniger aber ebenso thatenlos. Wir waren permanent
gefechtsbereit, wurden alle Augenblicke alarmiert, bekamen aber nie Arbeit.
Man hat aber auf dieser Seite einigermassen Angst, weil Bazaine neulich bei
Mercy le haut einen insofern gelungenen Ausfall machte, als er uns einige
fourage ausführte, infolge dieses Ausfalles wurden denn auch wir als
Elitetruppen auf diesen wichtigen Posten commardiert, natürlich moutarde
après diner [den Senf erst nach dem Essen = zu spät]. Das ist schon stabile
Gewohnheit bei uns geworden, wir werden überall hincommandiert, wo die
Arbeit schon gethan ist, uns bleibt dann das höchst schätzenswerthe
Vergnügen, im Dreck zu liegen und zu beobachten. Oder sollte Bazaine immer
von seinen Spionen avertiert werden, wenn wir die Vorpostenkette besetzt
haben, vor uns einen solchen Respekt haben, dass er nicht wagt, uns zu
incommodieren? Kurz, sei ihm wie ihm wolle, wir sind fürs Erste wieder aus
der Front-Linie heraus, sollen uns 12 Tage hier auf einem elenden Bauernhofe
ausruhen. Einem Bauernhofe, der in der Folge historische Bedeutung dadurch
haben wird, dass bis jetzt der Sammelplatz der Franctireurs der Umgegend
war, dann besonders dadurch, dass wir würdig befunden wurden, als
Strafcommando diesen Hof zu besetzen. Dass ich Euch von diesem romantischen
Erholungssitz aus nichts Bemerkenswerthes berichten kann, liegt auf der
Hand. Unser Tag teilt sich in interessante Exerziersübungen im Regen, als da
sind: Langsamer Schritt etc., in Essen, Schlafen, Scat spielen. Jetzt könnte
vielleicht auch elne grössere Sendung wie Esswaren nichts schaden, wäre
Franziskas Schinken erwünscht. Ihr werdet staunen über die classische
Unverschämtheit, mit der ich Eure Güte missbrauche, Aber ich weiss, Ihr thut
was Ihr thut von Herzen.
Ich hebe so recht gemerkt, wie sehr ich Euch zu
danken habe, denn in diesem langweiligen Cerrierungs-Dasein erfreut einem
die kleinste Aufmerksamkeit ungemein. Auch die gewünschten Montierungsstücke
hätte ich Dich, lieber Wilhelm, gebeten, für Mama zu besorgen, da sie doch
weniger Bescheid in diesen Dingen weiss. Der Sicherheit wegen wiederhole ich
nochmals, was ich nöthig habe:
1 Säbel mit Offiziers-Koppel
1
Tornister (weisses Lederzeug)
1 Paletot (oder Regenmantel, recht lang)
Du thätest mir einen grossen Gefallen, wolltest Du die Sachen schnell
besorgen.- Wo Du aus der Zeitung ersehen, sind die Stationen für unser
Armeecorps: Frankfurt a.M.(Aufgabe), Courcelles (Ankunft)- Wie behaglich Ihr
Euch in Eurer neuen Wohnung fühlt, kann ich mir denken, - wie behagt es denn
dem edlen Fräulein Holm in den neuen Räumen ? Das Mittagessen:
Erbswurstsuppe ( famoses Feldessen) und zwei alte Hühner warten. Schreibt
bald !
Euer Franz.
Clèmence aux bois, den
15/10.70
Lieber Onkel Fritz !
Ich wollte Euch heute eine lange Epistel
schreiben, bin aber wieder daran verhindert, denn erstens habe heute de jour
und deshalb allen kleinen Dienst-Appell etc. abzuhalten, und dann muss ich
auch als 4ter Mann im Scat nicht fehlen. Wir 4 Offiziere haben ausgemacht,
es darf immer nur Brief geschrieben werden, wenn die Majorität hierzu
Bedürfnis fühlt, und ist heute nicht auf meiner Seite, müssen wir deshalb
Scat spielen. Also morgen mehr. Ich hoffe, wir hören bald von Paris. Was
macht der Wein ? Grüsse Mama und Alle ! Heute habe Brief von Franz erhalten.
Herzlichst Franz.
Ferme Clèmence aux bois,
16.0ct.
Mein lieber Onkel !
Täglich, stündlich
nahm 1ch mir vor, Euch einen Brief einzuschicken über meine Erlebnisse in
den letzten Tagen, immer aber trat hindernd ein feindliches Moment mir
entgegen, bald in Gestalt schlecht gezielter, französischer Granaten, bald
in Gestalt eines Majors, der mit seinem verknöcherten Gamaschendienst
stundenlange Reden über alte Hosen hält und uns martert, dann wieder
verwischt ein plötzlich heranstürmender Nassauer meine Schriftzüge, oder es
ruft mich das Commandowort meines Compagnie-Chefs zum Whist oder Scat,
Hindernis über Hindernis !
Endlich heute zur Feier des Sonntags sitzen
wir 4 Offiziere in einer elenden Bauernstube um den Tisch herum, alle
schreibend; Compagnie-Befehl für heute lautete:,, Verbannung der Karten, ein
Jeder gedenke der Seinen." Die drei übrigen Herren tauschen Gedanken aus mit
ihren Gattinnen, ich, lieber Onkel, will Dir denken für die herzerquickenden
Zeilen, welche Du mir sandtest, Mein letzter längerer Brief an Mama war
datiert aus Aube, Von dort bezogen wir wieder Vorposten, und zwar bei Mercy
le haut, einen wunderschönen Schlosse, das aber total in Grund geschossen
ist, "Noch eine hohe Säule, zeugt von verschwundner Pracht" [aus:
Ludwig Uhland: des Sängers Fluch]-, zerstört der schöne Park, die herrlichen
Säle, "in den kahlen Fensterhöhlen wohnt der Schrecken, wohnt das
Grauen"[nicht ganz genau zitiert, evtl. Schillers Glocke], dies Dichterwort
fiel mir urwillkürlich ein, als ich die erste Nacht zwischen den kahlen
Mauern eines Pavillons dieses Schlosses auf Feldwache war, Das einzige noch
Erhaltene ist ein brillantes Treibhaus, elegante Palmen schüttelten
wehmüthig ihr Haupt ob all der Zerstörung. Der Herr des Schlosses war
natürlich längst geflohen, ein stolzes Schild am Thore nennt uns seinen
Namen: Viconte d'Avignes, ecuyer de sa Majeste, seul seigneur de ces lieux.
Armer stolzer, renommierender Franzose Da liegen Deine Schätze, der einzige
Trost für Dich ist, dass Du mitleidest mit Deinem Vaterland, dass, wie
Deine Habe, so auch dieses nur ein Trümmerhaufen t- Dieses Mercy ist eine
der Spitzpunkte unserer Aufstellungen, ist schon einmal wieder beim
neulichen Ausfalle in Bazaine's Händen gewesen. Wir blieben hier 2 Tage,
kamen dann nach Jouy, einem Neste, welches das höchst zweifelhafte Vorrecht
geniesst, täglich des Mittags von 1- 3 Uhr von den Granaten des Port Queleu
beworfen zu werden. Auch hier waren wir Tag und Nacht auf dem qui vive. Am
5ten Tage unserer Vorposten gingen wir zurück in einen Wald, welcher sehr
dicht ist, im Rufe steht, Franctireurs in seinem Dickicht zu bergen. Du
kannst Dir denken, wie romantisch es war, auf Lagerwache inmitten dieses
dicken Waldes nach allen Seiten auf Franctireurs, jene Wesen, die mit einem
gewissen nixenhaften, coboltartigen Schleier umgeben, ausspähend. Leider
wurde uns diese, wie so manche romantische Feldzugs-Situation durch den
unerbittlichen Regen verdunkelt; denn während den 2 Tagen waren wir nass bis
auf die Haut. Seit vorgestern sind wir nun wieder abgelöst,
sollen 12 Tage hier bleiben, höchst langweilig ! Denn wenn man auf Vorposten
im Drecke liegt, hat man doch, wenn man auch nichts thut, das stolze
Bewusstsein, für irgend etwas da zu sein, denn dieser Frieden inmitten des
Krieges ist unerträglich. Nun ich hoffe, die Fanale rufen uns eines schönen
Tages von hier ab, denn schllesslich muss unser Freund Bazaine denn doch noch
einmal das Vergnügen eines Massenausfalles machen müssen, wenn er es nicht
vorzieht, sich so zu ergeben. Vor Paris scheint es jetzt ganz so
auszusehen, wie vor Metz, so schreibt mir wenigstens v.Besser, welcher wieder
beim Reg. ist, aber trotzdem wird Paris schneller fallen, wie Du ganz
richtig bemerkst, denn hier ist entschieden der Kern der Armee, dort
meistens nur zusammengelaufenes Gesindel und ein aufgeregtes Volk, das nicht
gewohnt ist zu hungern. Die Süd-Armee hat ja nun auch ihr Theil, und so gebe
ich noch nicht alle Hoffnung auf, Weihnachten in Walluf zu verbringen. Für
Deine politischen Darlegungen herzlichen Dank. Dass Russland jetzt rüsten
wird, glaube ich entschieden nicht, aber das ist gewiss, ist erst durch den
jetzigen Krieg die grosse Frage der deutschen Einheit gelöst, so wird
Russland unser natürlicher Gegner. Familieninteressen werden es nebst
persönlichem Wunsche dem jetzigen Kaiser verbieten, uns entgegen zu treten,
aber ist erst der Grossfürst, mit ihm die alt-russische Partei ans Ruder
gelangt, so lodert die Purie des Krieges aufs neue auf. Frankreich hat dann
Grund, sich auf Russlands Seite zu stellen. Darum müssen wir jetzt, da wir
glänzend gesiegt, uns für die Zukunft sicher stellen, müssen unsere Grenze
strategisch sichern, Frankreichs Ausfallthore vernichten und uns welche
schaffen. Gott sei es gedankt, dass ein Mann wie Bismarck den Frieden zu
diktieren hat, der wird sich nicht betölpeln lassen. Wir sind eben in einem
besonders kriegerischen Zeitalter geboren, die Träume nach ewigem Frieden
nach diesem Kriege sind eben nur fromme Träume. Es liegt in der menschlichen
Natur zu tief der Keim zu Krieg, es wird nie eine Zeit des ewigen Friedens
kommen, nur raffinierter, nur schrecklicher wird die Zeit die Kriegsführung
machen, sonst nichts, denn die Idylle als solche liegt dem Menschen zu
ferne. Dass Du so recht kernige, deutsche Gesinnungen hast, hat mich von
Herzen gefreut, denn es erhebt einen, wenn Menschen, die man zu achten
gelernt, einer und derselben Gesinnung sind, Glaube ja nicht, lieber Onkel,
dass irgend ein Dreck, mag er vor Metz oder Moskau liegen, meine Liebe zum
grossen Deutschland schwächen kann. Nein, im Gegentheil, ich werde stets
muthig vorgehen. Ea kann vorkommen, dass man auf Augenblicke verstimmt wird,
besonders wenn man sieht, wie man so garnichts thut, aber folgt auf solche
Augenblicke nur ein, wenn auch müssiger Alarm, so sei überzeugt, ich bin der
erste, der den Säbel zieht und alle Strapazen vergessen hat. Auch wohnt mir
genug militärisches Element inne, um geistig wenigstens nicht schlapp zu
werden.
Was macht Dein Major, spielt er noch immer den
Telegraphen-Beamten? Bitte, grüsse ihn, sowie alle Bekannten herzlichst,
Mama kann ich heute nicht schreiben, sie liest je den Brief mit." Sage Onkel
Alex, er soll von jetzt ab mehr auf die gloire prussienne schwören, als auf
die francaise, denn erstere ist erwiesen, letztere war renommage [Ruf,
Leumund]. Uebrigens glaube ich, dass Napoleon schllesslich dem armen
Frankreich doch noch aufoctroirt wird. Was machst Du ? Bitte schreibe mir
bald wieder. Du machst mir damit das grösste Vergnügen. Bei jeder
Kriegsnachricht denkt an mich, und wenn Du von einer That der 68ziger hörst
- so wünsche mir Glück !
Dein Franz
Clèmence 18ten Oct.
Liebe Franziska!
Herzlichen Dank für alles
Geschickte. Grössere Essens-Sendungen können mir nicht helfen, denn ich kann
sie nicht transportieren, nur veranlasse bitte Mama, mir möglichst schnell
Säbel mit Offiziers-Koppel, dicken Offiziers-Paletot zu schicken. Bestimmten
Ort anzugeben, ist unmöglich, doch liegen wir jetzt bei der Poststation
Courcelles, wie lange, ist auch ungewiss.
Herzlichst
Dein Franz.
Wetter schrecklich, bin nass bis auf die Haut.
Clèmence auz bois, den
18ten Oct,
Die edle Clèmence,
welche sich den Hof, unsern jetzigen Musensitz, einst hat bauen lassen, muss
ein sanftes, ätherisches Wesen gewesen sein, ich denke sie mir mit
wasserblauen, schmachtenden Augen, denn eine so einsam gelegene Behausung
kann sich nur eine sehr sentimentale Grösse errichtet haben, für welche .
die Langeweile Frage war. Der heutige Tag geht noch, denn zur
Feier des Geburtstages unseres Kronprinzen wurde heute jedem Offizier eine
Flasche Wein verabreicht, ungefähr wie Schwed bei uns auf Grossmamas
Geburtstag honoriert wird. Draussen sitzen unsre Kerls, welche Schnaps
erhalten haben, singen: "Ich hab' zu Haus ein Magdelein mit zwei
schwarzbraunen Aeugelein", kurz, wir sind kreuzfidel, aber doch wären wir
alle froh, wenn die Hoffnung des Bazain'schen Ausfalles wahr geworden wäre,
aber natürlich wieder Träume - , Schäume I Die Bevölkerung hier ist eine
ungeheuer fanatische. Gestern wurde in einem benachbarten Orte ein Soldat,
der unvorsichtiger Weise allein ging, erstochen, in den Brunnen geworfen. Es
ist das unklug von den Leuten gehandelt, ich ehre ihren Patriotismus, aber
das geht über den Spass, sie zwingen uns zu unerbittlicher Strenge. Onkel
Fritz hat, hoffe ich, meinen langen Brief erhalten. Für die Uebersendung der
Pakete, welche doch auch zum Theil von Dir herrühren, danke ich herzlich, ich
hoffe, ich erhalte sie bald. Schicke mir doch möglichst bald Briefpapier und
Couverts, ich habe keines mehr, muss Dir sonst von jetzt ab nur Karten
schicken, Für heute genug. Schicke mir doch im nächsten Brief ein Wort über
jede einzelne Person der Familie Chamot [der Mädchenname der Mutter], was
Grossmama, Tante Louise etc. machen, davon hast Du noch nichts geschrieben,
Am besten fängt Dein nächster Brief mit Namensverzeichnis sämtlicher
Wallufer an, hinter jedem Namen: Befinden, Beschäftigung etc.- Wilhelm hat
heute langen Brief geschrieben. Grüsse Alle.
Dein Franz.
October.
Lieber
Wilhelm !
Den brillanten Blechkasten sowie Decke habe erhalten, für alles
herzlichsten Dank, ich werde alles sofort in Gebrauch nehmen, nur eine Eurer
Liebesgaben hoffe ich mir - nämlich die Leibbinde -, die möchte ich
notwendig haben. Nach Courcelles habe ich gestern eine Ordonanz geschickt,
Der Etappen-Commandeur liess mir sagen, es sei noch nichts angekommen, ich
werde heute wieder schicken. Unser Leben hier ist dadurch scheusslich, dass
alles Wasser ganz regenunklar, die armen Leute ! täglich kommen mehrere ins
Lazareth, wir gebrauchen das Wasser natürlich nur ausgekocht. Man spricht
uns von der Capitulation, ich weiss aber nicht, ob es nicht wieder frommer
Wunsch. Bazaine muss in einer schrecklichen Lage sein, er soll, um der
Volkswuth zu widerstehen, in seiner Hausthür eine
Mitrailleuse aufgepflanzt haben, sowie
er Miene macht, dem Fordern des Volkes nachzugeben, erschiessen ihn seine
eigenen Corps. Angenehme Position. Der lieben kleinen Hohü bitte ich einen
herzlichen Kuss zu geben; Onkel Franz kommt hoffentlich bald nach Hause, von
der guten Chocolade hat er schon ein grosses Stick bis dahin wohl verzehrt.
Franziska ist, hoffe ich, wieder gesund. Grüsse an Deine ganze Familie. Der
Milchkaffee wird fürs nächste Bivouac aufbewahrt.
Dein Franz.
Clemènce aux
bois,18/10.1870
Lieber Wilhelm !
Mein
Wunsch geht dahin, Du mögest bis zur Capitulation von Metz permanent an
schneller Katherine [Durchfall] leiden dieselbe soll sehr stärkend auf den
ganzen Organismus wirken, vorausgesetzt, dass sie nicht den Schlaf stört und
zum Briefschreiben reizt. Dass die arme Franziska so leidend ist, thut mir
von Herzen leid, sie soll sich nur ja recht schonen und keine par Force
Touren, der ähnlich, welche wir in der königlichen Equipage von Walluf nach
Mainz gemacht, mehr unternehmen. Die in Deinem Briefe verzeichneten
Gegenstände (Porte-épée, Cigarren, Chocolade) habe erhalten und sage meinen
herzlichsten Dank, Ihr verwöhnt mich wirklich zu sehr, und ich weiss nicht,
wie ich Euch danken soll. Die nach Courcelles geschickten Effekten werde ich
in den nächsten Tagen durch eine Ordonanz abholen lassen, welcher man
dieselben, hoffe ich, aushändigen wird. Ich selbst darf das Cantonnement
nicht vorlassen, weil im Fall zum Ausrücken bereit sein müssen. Auch mit
Fleming kann ich mich nicht in Verbindung setzen, da ins Bataillon getrennt,
ich hoffe aber auch die Sachen zu erhalten. Den übrigen Sendungen sehe ich
mit Spannung entgegen, sei versichert, man freut sich jetzt auf jedes Paket
von zu Hause wie ein kleines Kind auf den Weihnachtsbaum. In den letzten 2
Tagen waren wir stets in Erwartung des Alarmzeichens. Der hohe Generalstab
hatte geruht zu vermuthen, Bazaine würde einen Ausfall machen, wir waren
hierort natürlich sehr erfreut, aber leider waren die hehren Schlüsse des
hohen Generalstabs Trugschlüsse, und wir sitzen nach wie vor in Clèmence.
Ich für meinen Theil bin der festen Ueberzeugung, wir liegen noch ruhig in
Metz, wenn in Paris längst der Friede unterhandelt wird. Ein famoser Gedanke
von Dir war, mir einen Ueberrock anfertigen zu lassen, es ist dies ein
unbezahlbares Möbel, das ich mit Wollust anziehen werde. Die Cigarren sind
Hochgenuss; solange Ihr so freundlich seid, mir diese zu schicken, ziehe ich
sie dem Kanaster [Knaster = minderwertiger Tabak] vor, Ich bekomme zwar auch
täglich 5 Offiziers-Cigarren geliefert, aber was für welche, kannst Du Dir
denken, aber gebrauchen werde ich sie doch, und die von Dir nur in der Stube
oder nach dem Essen. Wenn Ihr mir nächstens noch ein Paar Stiefel, einfache
halbschäftige mit Doppelsohlen (Schmidt hat mein Mass) schicken wolltet, so
bin ich von Kopf bis zu Fuss gerüstet und gefeit gegen Kugeln und Kälte. Es
wundert mich, dass Paris garnichts von sich hören lässt, es wäre doch nach
gerade Zeit, dass eine Hauptcoup gemacht, vielleicht benutzt der König,
seiner Passion folgend, den heutigen Ehrentag (16.0ctober) dazu. Wie mein
Freund mir schreibt, ist der Dienst vor Paris jetzt derselbe in Grün als bei
uns, Was sagtest Du zu dem wahnsinnigen Gebahren Garibaldis ? Es thut mir
leid, dass der Mann sich so blamiert, -, es klebte an ihm doch immer noch
ein Schimmer des grossen Mannes - , merkwürdig, wie sich all diese rein
demokratischen Grossen aufreiben, Seit wann ist Dein Bruder Fritz wieder in
Biebrich ?, grüsse ihn bitte herzlichst, ebenso Frau Holm und Deine Frau
Mutter. Die beiden letzteren besuchen Euch jetzt wohl oft ? Oder darf
Franziska heraus ? Sie solle sich ja nur schonen, wenn ich zurückkomme, muss
sie unfehlbar ganz gesund sein.
Unser Leben hier ist von einer
classischen Langweiligkeit, trotzdem sind wir aber stets guten Humors, was
lediglich darin liegt, dass der Compagnie-Chef, den Du Ja gesehen hast, ein
reizender Herr ist. Wir wohnen in einem Zimmer, alle vier Offiziere (1 der
Comp. ist ins Lazareth und 8 des Bataillons), wir haben eine grosse Streu
und ein Bett, welches abwechselnd jede Nacht einer von uns einnimmt, die
übrigen 3 liegen stets dicht aufeinander, wie wir es vom Bivouac gewohnt, wo
wir stets so dicht liegen, dass wir uns nur auf Commando alle 4 zusammen
umdrehen können, es ist das der amerikanischen Heizung wegen. Den Tag haben
wir so eingeteilt: Morgens eine Stunde Dienst, dann den Morgen Scat,
Mittagessen, Kaffee, Scat, Briefschreiben, Nachtessen, Whist, Schlafen. Dass
man hierbei schliesslich dösig wird, begreifst Du. Aber wie soll man diesen
Frieden im Krieg anders verwerten. Schreibt bald.
Sowie die Pakete
angelangt, avertire ich Dich.
Herzlichst Franz.
Süssen Kuss Deiner
ganzen sainte famille.
Clemence, 20ten October 1870
Liebe Mama !
Es scheint, das Drama naht sich seinem Ende, Bazaine muss in einer schrecklichen
Lage sein. Die
Bevölkerung will sich übergeben, sowie er aber hierzu Miene macht,
beschiessen ihn seine eigenen beiden Forts:
St.Quentin und Queleu, so ist er zwischen zwei Feuern. Dass aber die Capitulation bevorsteht, ist gewiss, denn alle
Wintervorbereitungen, welche für unser Cernierungswesen angefangen waren,
sind aufgeschoben. Ein solcher Schritt würde vom Generalcommando nicht ohne
grösste Gewissheit geschehen. Ich hoffe jetzt, wir rücken in Metz ein und
kommen dann vielleicht noch nach Paris, Lorbeeren blühen für uns doch nicht
mehr, machen wir zum wenigsten das Einziehen mit.
Herzlichst an Alle.
Franz.
Clèmence, 21sten Oct.1870
Lieber Wilhelm !
Liebes Paket mit Stepprock angekommen. Ich blähe mich stolz in demselben. Herzlichen Dank.
Grüsse an Alle. Dicken
Kuss.
Franz.
Clèmence, 21sten Oct.
Machmittag
Liebe Mama !
Compagniebefehl fesselt uns
alle wieder an den Schreibtisch. Einen langen Brief an Besser habe ich schon
abgefertigt, aber meine Feder fliesst zu rasch übers Papier, sie kann nicht
Schritt halten mit den Krähenfüssen meines sehr edlen Compagnie-Chefs, noch
weniger mit den Liebesergüssen, mit welchen der Vicefeldwebel Wetter seiner
Frau Gemahlin sein kriegerisches Herz ausschüttet. Leutnant Meyer, der 4.
Offizier der Compagnie, isst Commissbrot und liest Verlust-Listen, was
bleibt mir also übrig, ich muss die paar Zeilen, welche heute auch an Dich
gerichtet, um fix Deinen langen Brief zu danken, comple-
tieren.
Schlachtenbilder kann ich nicht geben, Phantasiebilder will ich nicht geben,
also muss ich Dich mit Detailmalerei langweilen. ◦ Welche chaotische
Haushälterin, welches chaotische Tausenderlei" [ Friedrich Rückert: Die
Göttin im Putzzimmer] , so beginnt ein Rückert'sches Gedicht, in welchem das
Boudoir einer Primadonna mit all seinen Nippes, Schminken, Dingelchen und
Sachelchen beschrieben ist, welche chaotische Haushälterei auch in den 4
Wänden, welche uns 4 jungfräulichen Seelen als Hülle dienen. Denke Dir ein
grosses Bauernzimmer mit kahlen, nackten Wänden. In der einen Ecke steht ein
grosses Familienbett, überzogen mit weissgewesenen Leintüchern, in welchem
schon eine ganze Generation von preussischen Offizieren ausgeruht von den
Strapazen der Vorposten.Vis d vis ein Kamin mit den landesüblichen zwei
Sphinxen geziert, der unter einer prasselnden Flamme einen sehr parfümierten
Rauch in die Lüfte entsendet, als Sühnopfer demüthig den in ihrer Ruhe
Gestörten gebracht. Neben diesem ruhigen Altare prangt das Lager, auf
welchem die von uns ruhen müssen, welchen für 3 Tage der Himmel des
schmutzigen Bettes verschlossen. Dürftiger Heusack ! Was bist du gegen die
kalte Nässe der französischen Wälder ! und wieder, was bist du gegen die
herrlichen Betten des Hauses Chamot ! Ein Sack gefüllt mit Heu, wieder ein
schmutziges Leintuch und die Compagniedecken ! Kein Gott liegt besser im
nymphenbevölkerten Hain der so sittenstrengen Artemis. Seit gestern ist dies
Lager noch um 100% besser geworden, denn Wilhelms Decke schmückt es. Am Tage
dient dieser Heusack unserer Compagniehündin, der schönen Lady, mit ihren 3
Jungen zum Spielplatz, und oft finden wir nachts zwischen Decke und Bettuch
höchst künstlich versteckt einige Knochen, welche die sorgliche Mutter
aufgespart für die Zeiten des Hungers. wieder in einer Ecke hängen Revolver
und stehen die stattlichen Flinten, ich hoffe, auch meine bald, denn bis
jetzt musste ich mich mit dem Reservebratenspiess der königlichen Compagnie
behelfen, daher der wiederholt sehnlichst ausgesprochene Wunsch nach dem
Säbel. Helme und Koffer, Stiefel mit Sporen liegen noch in malerischer
Ordnung (d.h. Unordnung) in diesem kriegerischen Chaos des Zimmers, wogegen
die vierte Ecke das tiefste Bild des Friedens. Hier liegt in herrlicher
Fülle unsere Bundeslade, die Frosskiste. In ihr ruhen brüderlich umschlungen
ein Commissbrot neben einem theuer erstandenen Zwetschenkuchen, von schöner
Marketenderhand aus Saarbrücken eingeführt. Der Schnupftaback benetzt den
Zucker mit feinen Thränen. Essig und Wein sind kaum voneinander zu
unterscheiden, so haben die Schrecken des Krieges beide einander nahe
gebracht. Auf dem Kamin brodelt unsere Erbswurstsuppe, nebenbei trocknen
Strümpfe, kurz, alles heimelt sich dem andern an.,Das ist eine Welt, das ist
Deine Welt; "o,sahst Du holder Mondenschein
etc.", o,gings bald zum Gefecht oder nach Metz. Wenn es im Rath der Götter
bestimmt wäre, dass wir jetzt sofort in Metz und dann auch noch in Paris
einziehen sollten, dann will ich mich damit zufrieden geben, bei Gravelotte
nicht erschossen worden zu sein, und haben wir dann auch nichts mitgethan,
so haben wir doch wenigstens den grossen Einzug mitgemacht, was herrlich,
charmant sein müsste, bleiben für Zeit des Lebens. Uebrigens vor Metz haben
wir unser Theil geleistet, denn durch den anstrengenden Vorpostendienst, den
kein Regiment so lange als wir versehen, haben wir fast ebenso viel Kranke,
als andere Regimenter durch die stärksten Gefechte Verwundete aufzuzählen
haben. Zu wünschen wäre es, Metz capituliert oder Bazaine machte einen
Ausfall vor Ablauf unserer Ruhezeit, Denn kommen wir jetzt wieder ins
Bivouac, so wird uns die Kälte doppelt bemerkbar werden, die armen Kerle
sind wirklich zu bedauern.
(Pause)
Ich ward unterbrochen durch unser
Diner, eine Hammelskeule und Specksalat, Da wirst staunen. Täglich werden
pro Compagnie 8 Hämmel geschlachtet. Es ist ein Wunder, dass wir nicht schon
selbst Hämmel sind, Ich hatte heute wieder eine Ordonanz nach Courcelles
geschickt. Im voraus meinen herzlichsten Dank für die geschickten Sachen,
der Paletot wird mir gut thun. Franziska und Wilhelm verwöhnen mich wirklich
zu sehr. Wlhelms Verpack-Talent wird hier allgemein bewundert. Deine
Mittheilung über den Tod des armen Riehl hat mich sehr betrübt. Es ist
schrecklich, was dieser Krieg für Opfer fordert, aber es ist schön, fürs
Vaterland zu sterben, wenn ich auch mehr dem heimschen Spruch huldige: ,
Leben bleiben wie das Sterben für das Vaterland ist süss." Onkel Fritz bitte
ich für seinen Extragruss herzlich zu danken, ebenso dem lieben kleinen
Paulo, derselbe lernt wohl tapfer und spielt Klavier ? Emma soll nicht zu
streng mit dem armen Kerl sein und ihm manchmal etwas Unsinn durchgehen
lassen.
Der Tante Tettenborn meine
besten Grüsse. Deinen, welche sich so freundlich nach mir erkundigen, bitte
ich zu vermelden, dass ich fürs Vaterland unendlich viel gethan, nämlich im
Dreck gelegen. Madame Derckind bitte ich aufs herzlichste zu grüssen. Die
gute Großmama fängt wohl schon ihren Winterschlaf an oder strickt Decken.
Was sagt denn der biedere Herr Pfarrer zum endlichen Zusammensturz des
Papsttumes ? Wohl garnichts ! Er ist zufrieden, wenn er Sonntags 6 Kr.
gewinnt und nicht Schlemm wird. Sind meine Beiträge zu Bonifaciusverein
nicht fällig ? Notiz und gehorsame Anfrage beim Vorstand: Frl. Victoire
Chamot [geb.1853- gest. 1916 in Wiesbaden, die Tochter von Onkel Fritz]. Ich
glaube, Du darfst mir bald einen neuen Anzug für den Winter machen lassen,
damit ich, wenn zurückkomme, nicht in Alpača promenieren muss.
Franz.
Clèmence eux bois, 22sten Oct.70
Meine liebe Franziska !
Herzlichen Dank für Deinen lieben langen Brief. Er hat mich doppelt erfreut,
denn er ist das Zeichen, dass Du Dich wieder einer besseren Gesundheit
erfreust. Du schreibst, der Krieg und Angst um mich hätten Dich krank
gemacht; was das erstere betrifft, so ist es ein trauriges Factum, dass mans
hier nehmen muss, wie es eben ist, und müssen wir noch herzlich froh sein
und dürfen nicht klagen, denn die Lasten und Mühsale, die Sorgen und Klagen,
welche wir ertragen müssen, sind ein Kinderspiel gegen das grosse Elend,
welches die armen, vom Krieg heimgesuchten Provinzen betrifft. Die armen
Lothringer Bauern können nichts für die Infamie ihres Kaisers, an ihnen
haftet nichts vom überhebenden Stolze der Pariser Renommisten; sie haben den
Krieg nicht verschuldet, und sie gerade müssen leiden und dulden,
herzzerreissend ist das Unglück, das ihnen noch nach beendetem Krieg
bevorsteht. Wenn wir zu Hause uns freuen werden am Sieg des Vaterlandes, und
glücklich sein werden, fängt für die Armen der Haupt jammer, der Kampf gegen
Hunger und Kälte des Winters erst an, denn ihr Holz ist verbrannt, ihre
Wohnungen verödet, ihr Getreide zertreten, die Kartoffeln gegessen - die
Armen, welche vielleicht ebenso gut wie andere ihren Sohn, ihren Bruder im
Heere verloren haben, die sind zu bedauern, denn in einer öden Wohnung, in
Elend und Jammer vernarben auch die Wunden des Herzens langsamer. Im Gefühl
des Siegestaumels geht man schneller hinweg über den Verlust, der den
Einzelnen betroffen. Man weint den Gefallenen Thränen nach - er ist nur ein
Glied, das fallen musste zur Erhaltung des Ganzen. Wenn aber das Ganze
leidet in namenlosem Schmerz, wenn man keinen Trost findet im Resultat für
die Opfer, welche man gebracht, wenn man sich sagen muss, die Gegenwart ist
düsterer und nur noch in ferner, ferner Zukunft zeigt sich ein Blick des
Lichtes, wenn man sich sagen muss, der Schmerz der Gegenwart wird anhaltend,
dauernd sein, dann ist man zu bedauern. Bei uns werden die einzelnen
Familien, welche schwere Verluste erlitten, emporgehoben von der allgemeinen
Siegesfreude. Hier aber wird ein Elender einem Elenderen seinen Jammer.
vorerzählen, und sie werden weinon müssen, um sich und lhr Vaterland,
unzählige Thränen des Schmerzes und gekränkten Stolzes, und wenn ein Funke
des Patriotismus und edlen Gefühls, von dem Heine gesungen, im franzősischen
Blute existiert, so muss aus diesen Thränen ein unbesiegbares Rachegefühl
erwachsen. So muss das Volk sich schämen, bessern, und nicht eher ruhen, bis
es die Scharte ausgewetzt oder untergeht. Ich für meinen Theil glaube, dass
soviel Ehrgefühl noch im Franzosen wohnt, und deshalb müssen wir Bollwerke
schaffen, damit nicht einst auch nur die leiseste Möglichkeit des
umgekehrten Falles eintreffen kann. Was die Angst um mich angeht, liebe
Franziska, so lass Dir hierüber keine grauen Haare wachsen, denn Unkraut
verdirbt nicht und im Dreck kommt man nicht um, wenn liebe Geschwister einem
auf so rührende Weise mit Decken und allem Nötigen versorgen. Also sei nur
um mich ganz ruhig und mache, dass Du selbst wieder ganz wohl bist, wenn ich
wieder komme, Wilhelm thäte am besten, jetzt noch nicht nach Strassburg zu
gehen, sondern zu warten, bis Metz übergeben ist. Er schlägt dann zwei
Fliegen mit einem Schlag. In den ersten Tagen scheint dle Uebergabe nun doch
wohl nicht zu erfolgen, aber das ist erwiesen, dass die ganze Bevölkerung
seit einigen Tagen auf halbe Rationen gesetzt ist. Die Brücken stehen unter
strenger Kontrolle, und erhält täglich der Erwachsene 3/5 eines Brotes,
jedes Kind 2/5 und Jeder Säugling 1/5. Gestern Nacht sind etwa 30 Kerle
übergegangen, welche aussagen, die Noth und. Aufregung sei unsäglich, also
ist ein langes Aushalten unmöglich. Ich hoffe, es kommt nächstens eine
Gelegenheit, mir Säbel und Paletot zu schicken. Die übrigen avisierten
Pakete erhalte wohl morgen. Für alles herzlichen Dank. Ihr verwöhnt mich zu
sehr. Kuss an Hohü. Herzliche Grüsse an Familie Kalle, Hola und Thurneyssen.
Dein Franz.
Glèmence, 22ten Oct,
1870
Liebe Mama !
Gestern
erhielt ich Deinen lieben langen Brief und Paket von Wilhelm, Du kannst Dir
garnicht denken, welche Freude mir jetzt dies macht. Der Compagnie-Chef
machte die Bemerkung, ich sähe aus wie ein Obersecundaner, der eine Sendung
von zu Hause erhält, Wie geht es Euch Allen ? Meiner Brief hast Du erhalten.
Wir erwarten die Capitulation stündlich, Die Post geht ab, ich muss
schliessen.
Herzlichst Franz.
Besondern Brief für Paulo.
Clèmence, 23ten Oct.
1870
Herrn Dr. Kalle.
Deinen Brief gestern erhalten. Heute Ordonanz nach Courcelles geschickt,
hoffe mit Erfolg. Uebriges Paket (Stepprock etc,) noch nicht erhalten, da
nur 3 mal wöchentlich Paketausgabe. Uebermorgen wird wieder nach Sorbets
vorgezogen, wo 6 Tage bleiben, um dann in oder wieder auf Vorposten
einzuziehen. Franziska hat wohl meinen Brief erhalten. Befolge meinen Rath
und verschiebe Deine Reise bis Metz über.
Dein Franz.
Clèmence, 24sten
0ct,1870
Geht mir gut, Regnet
scheusslich. Eine Menge krank. Ich, wie ein Fisch im Wasser, dürste immer
noch nach Turcoblut. Leider kommt Bazaine aber nicht, und ebenso wenig
Capitulation, und werden wir wohl das Vergnügen haben, nochmals auf
Vorposten zu ziehen. Herzliche Grüsse an Alle.
Dein Franz.
Ferme Clèmence, 25sten
Oct. 1870
Herrn Dr. Kalle.
Morgen werden wir erlöst aus
dieser langweiligen Ferme und nach Courcelles hoffe ich auf 6 Tage zu
kommen, wo dann selbst nach dem Paletot schicke, der noch nicht angelangt.
Nach 6 Tagen gehts wieder auf Vorposten, wenn nichts bis dahin passiert, was
unwahrscheinlich, da die Verhandlungen ja gänzlich gescheitert. Heute waren
wieder alarmiert, natürlich ohne Folge.
Herzlichst
Franz.
Ferme Clemence, 25sten
Oct.1870
Heute Nacht um 5 Uhr
wurde uns plötzlich mitgeteilt, von sieben hätten wir uns alle
gefechtsbereit zu halten. Kampfesmuthig zogen wir die hohen Stiefel an und
harrten natürlich vergebens bis zehn, um welche Zeit man uns wieder frei
liess mit dem Bemerken, die ganze Cernierungsarmee sei heute früh auf Befehl
des Prinzen Fr. Karl alarmiert gewesen, weil man nach dem vollständigen
Fehlschlagen der Verhandlungen einen Ausfall heute Morgen erwartet I Also
diese Uebergabe-Hoffnung ist wieder unklar verlaufen, und wir werden wieder
auf Vorposten müssen. Morgen fürs Erste kommen wir wieder mal von hier weg,
wahrscheinlich nach Courcelles, es ist das ein Segen, durch den Regen in die
4 Wände gebannt wurde man ordentlich melancholisch. Herzliche Grüsse an
Alle.
Franz.
Courcelles, 26sten Oct..
1870
Lieber Wilhelm !
Endlich habe Paletot
und Säbel bekommen, was sich gut machte, da seit heute hier in Courcelles
selbst liege. Die Quartiere sind miserabel, der Ort ist zu sehr überfüllt.
Wasser ist überall schlecht und die Luft verpestet, sodass Krankheiten
notwendig ausbrechen müssen. Marketender sind viele hier, und bekommen wir
wieder einmal ein Glas Bier. Nachher sollen wir wieder in unsere alten
Vorpostenstellurgen zurück. Die übrigen avisierten Pakete werde wohl heute
erhalten, denn die Auslieferung an die Corps geschieht nur an bestimmten
Tagen.
Herzlichst
Franz.
Liebe Mama!
Ich hatte es mir so schön
ausgemalt, wie Dir heute einen langen Brief schreiben wollte. Da kommt auf
einmal heute früh der Befehl, die Compagnie zur Arbeit ! (Der schrecklichste
und langweiligste Dienst, stundenlang dastehn, nichts thun, obendrein
zwecklos) Es regnet wieder schrecklich, es wird ein Vergnügen werden, zum
Glück ist gestern gerade der Regenmantel angelangt. Also nächstens den
Brief, Gestern hatten wir einen grossen Genuss. Falk aus Mainz ist hier und
verkaufte Wein. Wir haben in Rüdesheimer Liqueurwein geschwelgt. Herzlichst
Franz.
Courcelles, 28sten Oct.
1870
Meine liebe Mama !
Bei strömendem Regen standen wir gestern bei Mercy le haut, unzufrieden mit
Gott und der Welt und ganz besonders mit maitre Bazaine, der immer und immer
nicht capitulieren will, und die Ursache ist, dass wir jetzt bei diesem
Schweinewetter Deckung für unsere Krieger aufwerfen müssen. Da, auf einmal
reitet in vollem Carriere ein Husar an, und "Metz hat capituliert" ruft er
schon von weitem. Erst sperrten wir alle Mund und Nase auf, wie ein Blitz
aus heitrem Himmel traf uns diese Nachricht, und wie gern wir sie auch für
wahr gehalten hätten; und höchst scrutatorisch [nachforschend] fragten wir
den Husaren nach Compagnie und Namen, ihm bedeutend, dass, sei seine
Nachricht falsch, ihn der Teufel holen solle. Aber sie war nicht falsch, wir
hatten dem armen Husaren unrecht gethan, denn gleich darauf kam ein Adjudant
angeritten und brachte die offizielle Meldung, und wie aus einer Kehle
ertönte ein stimmiges "Hurrah "unserer biederen Musketiere, die Mützen
flogen in die Lüfte, die Spaten an die Erde, An ein arbeiten war natürlich
nicht zu denken, und trotzdem wir nass waren bis auf die Haut, sang doch die
ganze Compagnie weiter bis in die Quartiere, und das " So leben wir in
Freud' und Leid, bis uns Gott der Herr auseinander scheidt" mag auch in den
Ohren der Franzosen die Ahnung geweckt haben, dass etwas Grosses geschehen.
so hat sie denn capituliert, diese stolze Jungfrau, gross war der Kampf,
umso schöner der Sieg ! Ein Glück für uns, und ein noch grösseres Glück für
die armen Bewohner der hiesigen Gegend. Unsere biedere Hauswirtin (eine
Französin von echtem Schrot und Korn, die weder lesen noch schreiben kann,
aber den gesundesten Mutterwitz besitzt und die verständigsten Ansichten
über Zeit und Leben auf die eleganteste französische Art äussert) wusch
gerade, als wir singend nach Hause kamen, in ihrer Scheuer unsere
Wäschereste, sie klopfte, was hier waschen heisst, ganz unbarmherzig auf
denselben herum, ich teilte ihr die Nachricht mit und "Dieu soit bénè" [Gott
sei gepriesen] sagte sie aus gepresstem Herzen. Die arme Frau hat
einen kranken Jungen in Metz auf der Schule, von dem sie nicht weiss, ob er
lebt oder todt. Uebrigens scheint diese Frau das Vorbild des hiesigen
Landvolks zu sein. Alle sind so froh, dass die Stadt übergegangen, dass das
Elend ihrer Lage nun etwas gemildert wird. Was aus uns nun werden wird, ist
unbestimmt. Fürs Erste sind heute bereits 2 Bataillone unseres Regimerts auf
Fort Queleu eingerückt, wir bleiben noch in Courcelles, den feierlichen
Einzug, der wohl morgen stattfinden wird, machen wir, hoffe ich, mit,
obschon das nicht gewiss, denn alle 7 Corps, welche die Cernierungs
armee
bilden, können selbstverständlich nicht einrücken, Es thäte mir leid, wenn
ich das nicht mitmachen könnte, wir haben es redlich verdient. Ob wir dann
zur Garnison Metz gehören werden oder nach Paris oder Lyon marschieren, ist
unbestimmt. Ich hoffe eins der beiden letzteren, denn Festungsdienst ist
schrecklich; das habe ich in Coblenz gesehen, und hier wird er natürlich
doppelt streng sein. Ein Glück, dass wir nicht mehr auf Vorposten kommen,
das halbe Regiment wäre krank geworden. Unser Oberst ist krank und bereits
nach Coblenz zurück, was kein Verlust für uns ist. Auch von uns sind
bereits 2 Offiziere im Lazareth, weshalb, da jetzt nur mit dem Chef 3 sind,
für uns Uebriggebliebene natürlich mehr Dienst ist, doch ein militärisches
Sprichwort heisst: Je mehr Dienst, je mehr Ehre ! Von den mir avisierten
Paketen habe alle erhalten bis auf die Unterhosen und das Briefpapier. Auch
hoffe ich, diese kommen recht bald. Meiner allzu liebenswürdigen Cousine
bitte ich aufs herzlichste für ihre zarten Aufmerksamkeiten zu danken.
Uebrigens ist dies nur ein "profit tout clair" [klarer Gewinn] für
Dich, denn das durch Berührung ihrer Hände parfümierte Papier wird mich so
berauschen und begeistern, dass fortan meine Sätze und Gedankenreihen den
duftigsten Salems Bessarabiens gleichen werden. Dieser Satz war zu schön und
poetisch für mich Prosaischen, deshalb muss ich mir nun mit
Parallelisierungswuth den Triumph darauf zu
setzen, zurufen: "Herr Doctor
sind sie des Teufels", Du wirst finden, dass ich in sehr guter Laune bin,
das hat theils die Capitulation Metz gemacht, theils ein Band Revue du deux
mondes [politisches Magazin erschienen von 1829 bis 1971] , welchen hier
gefunden und als die erste Lectüre ausser Zeitungen seit Wochen verschlungen
habe. Victoire bitte zu bemerken, dass es mir sehr leid thut, dass ihr
Briefpapier nur ihren Namen trägt, ich hätte es gern benutzt, ihr zu ihrem
Geburtstag zu gratulieren. Das geht nun jetzt nicht, und muss ich mich
Deiner bedienen, ihr meine Glückwünsche darzubringen. Uebrigens muss sie es
mir sehr hoch anrechnen, dass ich inmitten so vielen Dreckes und so grosser
Ereignisse ihren Geburtstag nicht ganz vergessen habe. Ueber Deine
Beschreibung der verschiedenen Beschäftigung habe ich mich herzlichst
gefreut. Grüsse Alle, Besonders die gute Grossmama und Tante Louise. In
meiner letzten Karte schrieb ich Dir, dass wir einen grossen Einkauf in
Rheinwein gemacht. In Anbetracht dessen, und da überhaupt die ganze Zeit her
das Leben (die nöthigsten Dinge: Butter etc.) mir pro Tag 25 Silbergroschen
[30 Sgr. = 1 Taler]. kostete, bitte ich Dich, mir nächstens noch einmal, ich
hoffe als letzte Sendung, 100 - 200 frs. zu schicken, wo möglich in Gold.
Onkel Fritz hat wohl meinen Brief erhalten. Tetterborns bitte zu grüssen.
Schreibe nächstens aus Metz oder auf dem Marsch nach Paris. Einen besonderen
Gruss für Paulo, seiner Tante Nathalie, der kleinen. Auch der grossen Tante
Nathalie meinen herzlichsten Gruss; sage, ich bestehe immer noch auf meiner
Behauptung, Paris wird nicht beschossen.
Herzlichst
Franz.
Pontoy, 28sten Oct.70
Kaum hatte ich heute früh meinen Brief an Dich abgelassen, als wir den
Befehl erhielten, hierher zu marschieren [ca. 20 km südlich von Metz].
Morgen sollen wir hier (unsre Division) 35,000 Gefangene in Empfang nehmen
und diese wahrscheinlich nach Saarbrücken, vielleicht auch weiter,
transportieren. Vom Einzug werden wir wahrscheinlich garnichts sehen als ein
paar gefangene Turcos. Das 7.Corps und Division Kummer bleiben in Metz.
Herzlichst an Alle.
Franz.
Auch an W, und Fr., denen ich seit 2 Tagen
nicht geschrieben.
Basse Bens, 31sten Oct.70
Liebe Franziska I
Gestern habe Deinen lieben Brief erhalten, herzlichen Dank. Ich schreibe Dir
heute nicht ausführlich, lies den Brief an Mama, er ist auch für Dich
geschrieben. Dein Wunsch, Metz möge capitulieren, ist nun in Erfüllung
gegangen; ich habe aber bis jetzt nicht mehr als die Thürme der Cathedrale
gesehen. Das Leben hier ist jetzt ein urgeheures. Riesige Transporte gehen
jetzt nach Metz. Truppen ziehen hin und her, kurz, alles ist in Bewegung. Es
ist ja schrecklich, dass Du immer noch nicht ganz wohl bist. Die Hohü muss
prächtig mit Regenschirm aussehen. Euer Regenmantel hat mir in den
letzten Tagen famosen Dienst geleistet. Grüsse Wilhelm herzlichst. Nächstens
mehr.
Franz.
Basse Bens, 31 sten
Oct.1870
Meine liebe Mama !
Zwei grosse weltgeschichtliche Tage haben wir vorgestern und gestern
miterlebt. wir haben Geschichte gemacht, aber mit Aufbietung aller Kräfte.
Es waren diese zwei Tage die anstrengendsten des ganzen Feldzugs. Vorgestern
früh um 7 Uhr marschierten wir von Pontoy ab zum Fort Queleu, wo um 1 Uhr
die Entwaffnung stattfinden sollte, resp. die der 32,000 Mann, welche unserm
Corps zugetheilt., Wir nahmen alle Gefechtsstellung ein und liessen nun die
32,000 Mann an uns in der Weise vorbei defilieren, dass nachdem sie unter
Führung ihrer Offiziere und Adler hoch an uns herangekommen waren, sie die
Gewehre zusammensetzten, die Waffen und Adler niederlegten und von dem
Moment an unter unserem Commando standen. Die Offiziere mussten dann wieder
zurück in die Festung, um als Gegengewicht für etwa auffahrende Minen zu
dienen. Die Mannschaften wurden weiter transportiert, sie scheinen in den
letzten Tagen arg gehungert zu haben und waren dankbar für jedes Stück Brot,
welches wir ihnen gaben, trotzdem sehen sie zwar geängstigt, aber durchweg
kräftig und gesund aus. Es ist nicht zu glauben, dass Bazaine mit dieser
Armee von 173.000 Mann nicht ausbrechen konnte, hätte er es versucht, ich
bin moralisch überzeugt, er hätte durchkommen müssen, denn in unserm Gürtel
war manche Lücke offen geblieben. Es ist diese Capitulation entschieden ein
nie dagewesenes Ereignis. Die Gefangenen waren meistens kreuzfidel,
besonders die garde mobile; ihre erste Frage war immer, ob sie denn auch
nach Haus schreiben könnten, als man ihnen das bejahte, waren sie höchlich
vergnügt, Einzelne verbissene, stolze Gesichter sah man auch, und die
gefielen mir am besten, die meisten aber waren höchst harmlose Creaturen,
die im Stande waren, für eine Cigarre ihre Seligkeit zu verkaufen. An
Weglaufen dachte keiner. Zu gleicher Zeit als bei uns der Act der
Entwaffnung stattfand, geschah ein gleiches vor allen Thoren von Metz. Die
Carde, welche nicht die Waffen strecken wollte, sondern erst entwaffnet
werden musste, kam bei unserm alten Frescaty heraus, überhaupt hat uns unser
altes Pech von dort weggehen lassen, denn dort war der eigentliche Herd der
Ereignisse, dort wurde verhandelt. Doch um wieder auf uns zurück zu kommen,
nachdem (ich) wir. also von 1- 8 (solange dauerte der Vorbeimarsch,
natürlich immer Regen) mit dem Tornister auf dem Rücken dagestanden, sollten
wir wieder zurück nach Pontoy marschieren. Dieser kluge BataiIlonscommandeur
glaubte, einen näheren Weg zu findet, und führte uns nun durch Wälder,
Wurzäcker und Wasser stundenlang in der Irre umher, sodass unsere Kerle
fielen wie die Fliegen, endlich nach stundenlangem Umherirren erreichten wir
den Ort Peltre, jenes arme Dorf, an dem die Granaten des Forts Quelou ihre
Wuth ausgelassen, auf dem kein Stein mehr auf dem andern, in dem Kirchen und
die schönsten Bauernhäuser total zerstört; man wird wehmüthig bei
diesem grässlichen Anblick der Zerstörung und frohlockt, dass nicht unser
lieber Rhein der Schauplatz des Krieges gewesen. An diesem Ort kamen wir
also um 12 an, derselbe ist eine halbe Stunde von unserem Abmarschpunkt
gelegen, also ein Umweg von 3 Stunden, die Kerle waren nicht mehr zu halten
und mit dem halben Bataillon kamen wir endlich um 2 Uhr in Pontoy an. Und
das soll einem solchen infamen Kerl von Bataillonscommandeur nicht sogleich
den Hals brechen, ich sah immer mehr ein, wie glücklich ich gewesen, kein
Gefecht mitzumachen, denn unter solcher Führung wären wir geliefert gewesen
mit Mann und Maus. Man hat im Generalstab ganz recht, wenn man diesem
Regiment nicht traut, denn die Commandeure sind untüchtig bis zum Excess,
des Offizierscorps ist das jammervollste, welches mir je vorgekommen, und
der Ersatz besteht aus einer degenerierten Arbeitergesellschaft, die
Branntwein trinkt und nichts vertragen kann. Der Teufel hat mich zu diesem
Regiment gebracht; als mich mein Compagnie-Chef neulich zum Offizier
vorschlug, fragte mich der Oberst, ob ich beabsichtige, im 68.
Reserveoffizier
zu werden, ich verneinte das und sagte, ich würde mich
nach dem Feldzug ins 88ziger versetzen lassen. Aus Wuth hierüber sagte er:
Sie sind noch nicht lange genug Vicefeldwebel (was übrigens richtig) und
müssen noch einen Monat warten. Wenn ich aber in einem Monat vorgeschlagen
werden sollte, weiss ich auch nicht, ob ich es annehmen soll, denn ich muss
mich erst erkundigen, ob die Versetzung leicht ist. Der einzig nette Mensch
ist mein Hauptmann, der besser durch und durch ist und nicht zu dieser
gemeinen Offiziersgesellschaft, die Branntwein trinkt wie die Leute, gehört
und den armen Vorgesetzten immer in den Haaren liegt. Nach der Strapaze von
vorgestern wurden wir gestern früh 5 Uhr wieder alarmiert, mussten wieder
nach Queleu, um die Gefangenen zu transportieren. Ich mit meinem Zuge bekam
das 32. Linienregiment zu führen. Du kannst Dir denken, wie stolz ich mich
als französischer Regimentscommandeur fühlte. Ich schloss gleich mit einem
alten biederen Unteroffizier Freundschaft, der lehrte mich ihre Commandos
und ich schmetterte dieselben in die Luft, dass es eine Freude war und die
armen Kerle sich alle selbst freuten. Der alte Sergeant major schien Spass
an mir zu haben, er sagte: Der Fehler bei uns war der Mangel an Disciplin,
hätte wir Offiziere gehabt, die mit den Leuten umzugehen wissen wie Sie, es
wäre anders gewesen. Der echte französische Schmeichler, aber sein Urteil
hat mich doch gefreut, ich
glaube, die Kerls waren mit mir zufrieden, und
ich konnte es auch mit ihnen sein. wenn alle Stricke reissen, werde ich
französischer Offizier, durch etwas habe ich die Kerls alle für mich
gewonnen, Es existiert nämlich die Vorschrift, man solle auf dem Marsch von
Zeit zu Zeit commandieren à terre, worauf sich die ganze Gesellschaft zur
Erde werfen muss, wer es nicht thut, soll erschossen werden. Es ist diese
Anordnung getroffen, damit, wenn die Kerle weglaufen wollen, immer nur diese
in der Schusslinie sind, die armen Kerls natürlich müssen es als
Erniedrigung auffassen, so scheint es mir auch, deshalb erklärte ich ihnen
beim Abmarsch, ich würde dieses Manöver nicht machen, ich hielte es für eine
Erniedrigung. Der Soldat aber soll sich nicht erniedrigen, dagegen erwarte
ich von ihnen, dass keiner weglaufe. Das gefiel den Kerls, und ich habe
meine 800 Mann ganz vergnügt in Ars Laquenexy abgeliefert [eine Wegstrecke
von etwa 6 km]. Der ganze Transport sah eigentlich aus wie eine Satire,
diese 800 meistens forschen Kerls flankiert von unseren elenden
abgetriebenen Musketieren. Auch gestern Abend kamen wir hier in unserem
neuen Quartier erst spät an und waren doch seit 2 Tegen stets auf den
Beinen, ohne während dieser Zeit etwas Warmes zu essen bekommen zu haben.
Jetzt sollen wir hier, glaube ich, 2 Ruhetage haben, oder,heisst es, sollen
wir vor Lille zu liegen kommen. Also dasselbe in Grün Dreck und Langeweile,
Mein armer Bursch, ein biederer, prächtiger Kerl, an den man sich
unwillkürlich während des Feldzugs anschliesst, hat auch die Ruhr und ging
heute ins Lazareth, was mir recht leid gethan. Der Verkehr auf den Strassen
ist ein sehr lebhafter, auch die Dörfer bevölkern sich wieder, frohe
Gesichter junger Mädchen kreuzen hin und her, auch ich hatte schon geglaubt,
es gäbe hier nur alte Weiber. Grüsse Alle herzlichst. Gib Franziska diesen
Brief zu lesen, ich bin zu müde, auch ihr zu schreiben.
Franz.
Basse Bens, 1ten Nov,
1870
Es scheint, als wolle
sich das Pariser Briefpapier nicht von meiner Person in Frankreich
beschreiben lassen, oder hat sich das Fatum [Schicksal] gegen mich
verschworen und will mir durch die Vorenthaltung der Unterhosen den
Rheumatismus auf den Hals schaffen, damit ich doch ein Andenken behalte an
das glorreiche Jahr 70. Sei wie ihm wolle, das Paket ist roch nicht
angelangt und ich kann Dir keinen Brief heute
schreiben, Ich habe heute
soviel Zeit und hätte gern etwas geschimpft auf Gott und die Welt, Il a'y a
rien faire. Morgen sollen wir in weitere Ruhequartiere nach Pontoy. Es
scheint, als ob man uns etwas verschnaufen lassen wolle, was wir übrigens
auch verdienen. Wohin Prinz Fr.Karl gehen wird, ist unbestimmt, vor Paris
gewiss nicht. Er ist zu stolz und wird wohl
was allein unternehmen wollen. Uebrigens glaube ich, der Friede steht vor
der Thür. Was meint Onkel Fritz ? Der Onkel Alex gedenkt, den Winter in
Walluf zu bleiben. Bitte grüsse Alle herzlichst. In den nächsten Tagen
erhalte ich mal auf einen Tag Urlaub, um Metz zu besehen.
Herzlichst
Franz.
Man merkt im November,
die Heiligen haben Frost mitgebracht. Hat Herr Hoffmann noch keine
Liebesgaben-Sendung an die Wallufer Krieger abgehen lassen, so soll er es
nicht versäumen. Alte Hemden thun es auch, denn die armen Kerle haben
wollene Sachen zu nöthig.
Bosse Bens, 1ten Nov.70
Nachm.
Obige Correspondenzkarte
hatte ich kaum beendet, als Dein lieber Brief anlangte. Die Angabe E.M, hat
insofern ihre Richtigkeit, als ich von Coblenz aus ihn bat, für Rock und
Hose, welche mir damals anschaffte, die Zahlung bei Emanuel Sueskind in
Vorschuss (da ich ja noch mit ihm in Rechnung stand) zu übernehmen. Ob er
das gethan, weiss ich nicht, da den Brief, den er mir in den Karpfen
geschrieben haben will, nicht erhalten. Derselbe wird wohl nach meiner
Abreise angekommen sein. Im Trubel damals vergass ich Dir das zu sagen, es
war ein Rock, welchen ich vor dem in Mainz bestellten mir angeschafft
hatte. Bei E.M. ist mein Paletot, Regenschirm, ein Anzug, Stiefel und
ziemlich meine Wäsche, alles in einem Paket, lass Dir das schicken. Aus
meiner heutigen Karte siehst Du, dass wir fürs Erste hier bleiben. Wenn wir
ausrücken, sollen wir zur Belagerung von Lille, wie wenigstens verlautet.
Meinen langen Brief aus Courcelles hast Du wohl erhalten, ebenso den gestern
geschriebenen. Grüsse Alle.
Dein Franz.
Augry, 2ten Nov. 1870
Liebe Mama !
Statt nach Pontoy,
sind wir heute nach Augny marschiert, und sollen hier fürs Erste bleiben,
vielleicht 3 Tage, um dann nach dem Norden gegen Bourbacki zu ziehen. Viele
Gerüchte ! Ich denke, bis dahin kommt Friedensahnung. Grüsse Alle
herzlichst. Briefe hast wohl erhalten. Wie habt Ihr den Feiertag verlebt ?
Herzlichst
Franz.
Augny, 3ten November
1870
Liebe Mama !
Spät
Abends vom Gefangenen-Transport zurückgekommen, will ich Dir doch heute noch
ein paar Worte schreiben, da ich nicht weiss, wann wieder dazu komme. Ich
musste heute wieder Gefangene, und zwar die Garde, lauter stolze Kerle, nach
Ars Lequenexy führen. Dieses Ars: Wir sehen eine grosse Ebene, bedeckt mit
französischen Zelten, es wimmelt dort von französischen Uniformen aller Art
und Farben. Hier und da sieht man einen biederen Landwehrmann als Posten
hin- und her gehen. Keiner denkt daran zu entwischen, denn da sie bei uns Zu
essen bekommen, fühlen sie sich sehr gehoben. Sie werden per Bahn nach
Deutschland gebracht. Morgen ist ein grosser Tag für uns. Unser ganzes Corps
wird mit klingendem Spiel und flatternden Fahnen durch Metz durchziehen, um
in der Richtung nach Norden Quartier zu beziehen. Die letzten Tage waren für
uns riesig schwer, nie sind wir so müde geworden als seit der Uebergabe.
Meine letzten Karten habt Ihr erhalten. Küsse Franziska.- Sehr müde, es ist
bereits 10 Uhr. Liege hier in einem famosen, eleganten Schloss. Habe Zimmer
für mich. Flackerndes Kaminfeuer, Bett aber ohne Wäsche. Kurz, bliebe gern
vorerst hier. Geht aber nicht.
Herzlichst
Franz
.
Jessy, 4ten Nov. 1870
Heute beim herrlichsten Wetter, am Schlachtfeld unserer Heldenthaten vorbei
(Frescaty), in Metz eingerückt, famoses Gefühl, als Sieger einzuziehen.
Stadt bietet sehr buntes Bild, durchmarschiert. Hier sehr gutes Quartier.
Morgen habe Urlaub, werde mal in Metz gut leben, In einigen Tagen gehts
weiter nach Norden Reims gegen Bourbacki. Hoffe, Du schickst bald Geld, Nach
Besuch in Metz mehr.
Grüsse Alle herzlichst,
Franz.
Jessy bei Metz, 6ten
Nov.1670
Meine liebe Mama
In meiner letzten Karte teilte ich Dir mit,
dass wir feierlichst unter klingendem Spiel in Metz Parademarsch gemacht
haben. Es ist doch ein herrliches Gefühl, das einem alle ertragenen
Strapazen versüsst, so als Sieger in eine Stadt einzuziehen und besonders in
eine Festung wie Metz, die ihren jungfräulichen Gürtel bisher nie geöffnet.
Ob die Kraft unserer Waffen die Uebergabe bewirkt, ob diplomatische Künste
mitgespielt, ob, wie alle Franzosen natürlich behaupten, Bazaine ein
gemeiner Ischariot [Judas, Verräter], wage ich mit meinem dummen
Unterthanen-Verstand nicht zu ermitteln, soviel steht aber fest, ein
preussischer General mit einer Armee von 173.000 Mann hätte sich in gleichem
Falle nicht einschliessen und aushungern lassen, er wäre durchgebrochen,
wenn er auch die Hälfte seiner Armee eingebüsst hätte. Ein schreckliches
Gefühl muss es für all die französischen Offiziere gewesen sein, in Metz den
Einzug all unserer Corps mitansehen zu müssen,
Täglich sind ihrer 7000
nach Deutschland befördert worden, und jetzt werden sie wohl bereits unsere
Festungen bevölkern. Ich hatte Gelegenheit, einen alten französischen Arzt,
einen sehr vernünftigen Mann, und einen alten Colonel zu sprechen, die
sagten: Preussen hat uns in der Wörther-Schlacht besiegt, unsere Soldaten
sind ebenso gut als die preussischen, aber unsere Generale sind Ignorants.
Das scheint mir die richtige Ansicht. Dass die Uebergabe einen
entscheidenden Einfluss auf den ganzen Krieg bewirken werde, war
vorauszusehen und hat sich bereits als richtig bewiesen, denn offiziell wird
uns bereits die Annahme eines 21tägigen Waffenstillstandes gemeldet; dass
aus diesem der Friede resultieren muss, ist nicht zu bezweifeln, denn
Bismarck ist zu klug, sich einen Waffenstilstand und somit Frankreich die
Gelegenheit, sich zu erholen aufoctroyieren zu lassen, wenn er keine
Garantie seiner Zwecke in der Tasche hat. Ich behalte doch recht. Paris wird
nicht beschossen, und wir sind Weihnachten zu Haus, Unser Corps sollte, wie
schon mitgeteilt, am 7. Dieses nach der Richtung Reims abmarschieren, man
glaubt, dass dieses infolge des Waffenstillstandes werde abgeändert werden
und wir hier bei Metz bleiben. Das mag sein wie es will, die schwersten
Strapazen haben wir als überstanden zu betrachten und liegen wir auch, wie
Paulo sagt, " chez die francais" ganz warm und gut beim gemüthlichen
Kaminfeuer, denn diese Dörfer waren bisher von Einquartierung verschont.
Gestern hatte ich mir Urlaub nach Metz genommen und habe den Tag über einmal
gefühlt, wie es den Menschen unter Menschen zu Muthe ist; ich habe genossen
das irdische Glück. Gestern früh um 6 Uhr morgens wurde unser edles
Packpferd an die Compagniekarre gespannt und wir, ein H.v.Platen und ich,
setzten uns auf und fuhren in sausender Carriere auf der federlosen Karre
gen Metz. Der Morgen war kalt und hell, der dicke Gaul lief prächtig, und
wir waren sehr lustig und inmitten der lieblichen Moselberge voll der
friedlichsten Gefühle. An den Krieg erinnerte nichts mehr als hier und da
ein abgebranntes Haus und ganz in der Nähe von der Stadt die verödeten
Promenaden, wo Pferde, Adler und andere Ueberreste die Stelle bezeichneten,
wo die französischen Truppen bivouaciert hatten. Metzer Arbeiter, unter
Aufsicht unserer Armee-Gendarmen, waren schon so früh morgens beschäftigt,
diese letzten Gräuel zu entfernen. Rollend fuhren wir ein durch
die Porte
de France, vorüber an dem schulternden Musketier, der stolz im Gefühl des
Sieges in seinen schmutzigen Mantel gehüllt dastand. Wir stiegen ab und
gingen durch die volksbelebten Gassen, welche alle in einen Markt verwandelt
waren, wo alles die längst entbehrten Lebensgenüsse kaufte, nach dem Hotel
de l' Europe, um dort zu frühstücken, und zwar welche Ehre, unter demselben
Dache mit den Grossen des Tages: von Kummer und Henkel von Donnersmark. Der
letztere Name macht dem armen Pöbel viel zu schaffen, an allen Strassenecken
hängen Plakate, unterzeichnet mit diesem verteufelten Namen, alle zermartern
sich die Gaumen und keiner kann ihn aussprechen. Nach dem Frühstück gingen
wir nach der Kaserne, wo tausende von Geschützen, Mitrailleusen und Gewehren
aufgetürmt sind. Frankreich wird lange Zeit und vieles Geld brauchen, seine
Armee wieder feldtüchtig zu machen. Von hier gingen wir in die Cathedrale,
welche ein prächtiges, majestätisches Gebäude, dessen Bauart ich aber keinen
besonderen Geschmack abgewinnen kann. Dann bummelten wir durch die ganze
Stadt durch, überall dasselbe; viel Getreibe von Uniformen, französischen
und preussischen. Hier schlendert ein nachlässiger Zuave [rekrutiert aus
algerischen Franzosen (keine Araber) in orientalischen Uniformen] in rothen
Hosen, dort flaniert ein gestiefelter Leutnant der Garde. Hier galoppieren
Ordonanzen und Stäbe; dort rasseln Trainkolonnen vorbei, kurz, es ist ein
tolles Treiben. Für zuletzt hatten wir uns die berühmte Esplanade
aufgespart, einen grossen Platz mit Rasen und Alleen und einer herrlichen
Aussicht, wie ich sie noch selten gesehen habe, auf den St. Quentin und das
Moselthal. Aber wie sieht diese gepriesene Esplanade jetzt aus, sie ist ein
grosses Zeltlager auf der einen Seite, auf der andern eine Stadt, gebaut aus
Eisenbahnwaggons, und all diese Zelte und Waggons sind angefüllt mit
französischen Kranken und Verwundeten. Geschäftig arbeiten die Aerzte. An
der äussersten Ecke der Esplanade ist die Statue des Marschall Ney mit der
Unterschrift: "Dem Tapfersten der Tapferen". Wie zum Hohn trägt er noch die
französische Fahne in der Hand, dann dicht nebenan entfaltet der
Preussen-Adler seine mächtigen Fittiche, und auf St. Quentin und Queleu weht
die schwarzweisse [preußische] Fahne. Armes Kaiserreich, arme Garde,
Dir bleibt gar nicht mehr der Trost, sagen zu können: "tout est perdu, hors
de l'honneur,"[alles ist verloren außer der Ehre] denn aus Deinem stolzen
Wahlspruch: "la garde meurt et ne se rend pas" [Die Garde stirbt, aber sie
ergibt sich nicht] ist das grosse Gegentheil geworden Tempora mutant
[tempora mutantur - die Zeiten ändern sich] Als wir alles Sehenswerthe
angesehen, trat die Sorge für den Körper in den Vordergrund, und ein Bad
ward herrlicher Genuss. Hierauf übergab ich mich dem französischen coiffeur,
und neu gewaschen, neu gekämmt gings zum zweiten Frühstück, dann wurde
wieder gebummelt. Am Abend im Hotel du Nord fein zu Mittag gegessen, und
dann gings, wie ganz natürlich, am Abend mit einem kleinen Affen beladen auf
dem holprigen Compagniekarren wieder zum Thor hinaus, und bald war 1ch süss
entschlafen und träumte von Kämpfen und Siegen, von Metzer Pasteten und
gutem Champagner und dachte im Stillen, mit wie ganz andern Gefühlen man
doch eine Stadt betrachtet, wenn man sie als bummelnder Tourist besucht,
oder als cernierthabender Sieger in dieselbe einzieht. Gern hätte ich Euch
etwas von den berühmten Metzer Confitüren geschickt, die Post nahm aber noch
keine Pakete an, Metzer Spitzen waren mit leider zu theuer, und so erhältst
Du einliegend die einzige Photographie, welche zu haben war, Einen famosen
Guiden d.französischen Soldaten in Deutschland habe ich auch für Euch
gekauft, er ist aber zu gross für diesen Brief. Er wird Onkel Fritz
amüsieren. Dieser Brief ist Franziska und Wilhelm mitzuteilen und als an sie
geschrieben zu betrachten. Geld hast Du mir wohl geschickt, auch die Stiefel
etc, hoffe heute endlich zu erhalten. Bitte grüsse Alle herzlichst.
Franz.
Auch die Karte, in welcher ich von dem Rock schrieb, hast Du
erhalten.
Jarny, den 7ten Nov.
1870
Liebe Mama !
Meinen
Brief, worin ich Dir meine Metzer Erlebnisse beschrieben, nebst Photographie
der Cathedrale hast Du wohl erhalten. Gleich nachdem denselben abgeschickt,
machte mich auf den Weg nach dem St.Quentin, um dieses Ruhmeswerk, das
lebhaft an Ehrenbreitstein erinnert, zu besehen. Ich habe mir dort einen
Chassepot und einen Säbel [ jetzt hat er zwei davon] mitgenommen, welche,
wie ich hoffe, mitbringe. Heute früh sind wir abmarschiert, um, wie man
sagt, nach Paris zu marschieren. Das wäre herrlich. Auf jeden Fall haben wir
12 Marschtage. Heute marschierten wir einen ganzen Tag auf classischem
Boden, Gravelotte und Rezonville. Unzählige Holzkreuze bezeichnen die
Stellen, wo unsere armen Kameraden begraben sind. Sie müssen gerächt werden.
Morgen gehts weiter. Postverbindung jetzt schlecht. Paket noch nicht
erhalten.
Herzlichst an Alle.
Franz.
Kathedrale von Metz 1870
Etain, [70km nördlich
von Metz] den 6ten Nov.1870
Dep.Meuse
Meine liebe Mama!
Es ist
wirklich richtig, wir marschieren in der Richtung auf Paris, und wenn ich
auch noch nicht zu hoffen wage, in Paris einzuziehen, so werden wir doch auf
alle Fälle in Reims Champagner trinken. Für heute liegen wir in einem sehr
netten Landstädtchen, wo die Leute sehr freundlich sind, ich im Quartier bei
einem Herrn Ganod. Morgen gehen wir nach Verdun. Es ist merkwürdig, wo wir
uns nur zeigen, öffnen auf diesen blossen Anblick hin die Festungen ihre
Thore. Heute früh hat sich Verdun ergeben, morgen halten wir dort unsern
feierlichen Einzug, und wird uns dadurch ein grosser Umweg erspart. Gestern
und vorgestern schrieb ich Dir. Den langen Brief über Metz hast Da
hoffentlich erhalten. Von Euch bin lange ohne Nachricht. Erhielt vorgestern
Brief von Franziska, bitte danke ihr recht sehr. Ich schreibe ihr nicht, da
auf dem Marsch zu wenig Zeit habe, zwei Briefe zu schreiben, doch die an
Dich sind immer auch für sie und Wilhelm bestimmt. Auf die letzter Deiner
Pakete werde wohl lange warten müssen. Wir marschieren hier mit allen
möglichen Marschsicherungen, machen auch Jagd auf Franctireurs, und die
armen Bewohner hier sind doch so harmlos wie nur denkbar, Nur General von
Manteuffel [der Frankfurt-Quäler von 1866] befehligt jetzt unsere Armee, und
der hat sich das Eiserne Kreuz noch nicht verdient. Das Marschwetter ist
famos, bis jetzt die Quartiere auch, aber es steht uns noch der schlimme
Argonnenwald und die öde Champagne bevor, ehe wir zu Aegyptens Fleischtöpfen
gelangen.
Grüsse an Alle.
Franz.
Consenvoye, den 9ten
Nov. 1870
Liebe Mama !
Wir haben veränderte Marschrouten, bin leider
nicht durch Verdun marschiert, haben es lieber liegen lassen, über die Höhe
von Maasscheide herüber sind wir jetzt im Maasthal. Neben mir sitzt ein
armer alter Bauer und halt das Oellicht, bei dessen dunkler Flamme ich
aufschreibe. Vor mir ein flackernder Kamin. Ich liege bei zwei guten alten
Leutchen, die aber sehr arm, es ist schrecklich, von so armen Leuten etwas
verlangen zu müssen, man sioht, sio haben selbst nichts, thun ihr
Möglichstes, und unsere Leute sind doch auch auf sie allein angewiesen,
Immer mehr sehe ich es ein, wie sehr die arme Bevölkerung mehr leidet als
wir. Unser Bataillon ist seit Gestorn Bowachung des Stabes der Armee
(Manteuffel), und liogen wir immer mit diesem am selben Ort. Morgen werden
wir wohl in Laon einmarschieren, so profitirt wenigstens mein Bauer, Ich
hoffe, bald mal wieder einen Brief von Euch zu bekommen. Wahrscheinlich
gehts morgen bis Clermont. Grüsse Alle.
Franz.
Verry [Véry], 10ten Nov.1870
Liebe Mama !
Heute hat das Los uns
zu barmherzigen Schwestern verschlagen [Schwestern von St. Charles]. Gutes
Quartier. Immer wieder Regen. Deinen lieben Brief habe gestern erhalten.
Dadurch, dass beim Commando attachiert sind, bekommen wir regelmässig die
Post, deshalb bitte ich auch baldmöglichst Geld zu schicken. Wir marschieren
morgen durch die Argonnen.
Grüsse Alle. Wie lange es noch bis zum Frieden
dauert, weiss Gott.
Franz.
Verry, 10ten Nov.1870
Lieber Wilhelm
Soeben
erhalte ich Deinen lieben Brief nebst Kladderadatsch, und trotz Müdigkeit
kann ich nicht anders, als einige Zeilen noch schreiben. Der
Waffenstillstand war also wieder Ente. Offengestanden ist es mir jetzt ganz
angenehm, wenn wir auf unsern Durchzügen durch Frankreich nicht aufgehalten,
und ich auch den Endmoment des ganzen Dramas, den Einzug in Paris, mitmachen
kann. Wir sind soweit marschiert, so wollen wir auch weiter. Morgen gehts
durch die Argonnen, und übermorgen soll Ruhetag sein (wir marschieren in
forcierten Märschen), dann schreibe ich
längeren Brief. In den letzten Tagen schrieb ich einen an Euch und Mama
zusammen, weil auf dem Marsch zu wenig Zeit, zwei Briefe zu schreiben.
Paket, Stiefel und leider auch die guten Cigarren habe noch nicht bekommen.
Heute liege hier im Quartier bei Nonnen, die höchst gelungen sind; überhaupt
sind hier in der Gegend die Quartiere gut, besonders für uns, da wir dem
Generalcommando attachiert sind.
Herzlichst Franz.
Servon, den 11ten
Nov.1870
in den Argonnen
Meine liebe Mama !
Meinen Kindern und Enkeln
werde ich einst mit halbgeschlossenen Augen vom heutigen Tage erzählen, und
werde ihnen sagen: Jungens, wenn ihr auch viel erlebt, so etwas erlebt ihr
nie. Niemals werde ich den heutigen Marsch durch den 5 Stunden langen
Argonnerwald vergessen. In Strömen floss der Regen, und auf unwegsamen
Pfaden stolperte unser armes Bataillon umher. Die Kerle fielen natür1ich
wieder wie die Fliegen, und es war ein Jammer, zuzusehen. Wir hatten grosse
Mühe, die Bande zusammen zu halten, umso mehr Mühe, da wir selbst kaum
krauchen konnten. Man hatte nach der Capitulation von Metz, während welcher
ein so enormer Prozentsatz unsere Leute erkrankt war, gehofft, durch den
Vormarsch würden sie in der frischen Luft wieder gesunden. Da dieser Marsch
aber ein forcirter und es wieder regnete, stellten wir täglich ein
bedeutendes Contirgent fürs Lazareth. Wie erbärmlich besonders das
Offiziercorps dieses edelen Regiments ist, davon gibt unser Bataillon ein
getreues Bild, denn wir, die wir in
keinem Gefecht gewesen, haben ausser
unserem Compagnie-Chef im ganzen Bataillon nur noch einen Linienoffizier
[Offizier, der schon während des Friedens vor dem Krieg in der Armee war]
Alle übrigen Stellen sind von Reserveoffizieren und Vicefeldwebeln besetzt.
Die Linienoffiziere sind im Lazareth, diese Herren spielen im Frieden die
Eleganten, und wenn dann die Pflicht ruft, dann lassen sie uns die Arbeit,
jeder hat dann eine Stelle, wo ihm der Schuh drückt. Auch wir haben oft
genug Schmerzen und möchten ausspannen, aber ich würde mich vor mir schämen,
wollte ich mich durch jede Unpässlichkeit einschüchtern lassen. Und doch
wäre mir das nicht einmal so übel zu nehmen, denn ich bin kein Berufssoldat,
thut aber ein Linienoffizier es, geht dieser nicht den Leuten mit gutem
Beispiel voran und hält aus bis zum letzten Augenblick, so verdient er
Peitschenhiebe, denn er ist ehrlos, Daher kommt es auch, dass dieses
Regiment so verschrieen. Die Offiziere verstehen nichts als sich betrinken
wie die Droschkenkutscher. Doch
was ereifre ich mich, ich kann nicht helfen und die, der ich mein Leid
klage, noch weniger, und sitze ich hier doch ganz gemüthlich in einer
Bauernstube am Kamin, die Füsse in Holzschuhen steckend, neben mir ein
gutes, altes Mütterchen von 80 Jahren, welches meine Handschuhe flickt und
mir vorjammert von Krieg und Kriegsgefahr und sich nicht genug freuen kenn,
dass sie, mich ins Quartier bekommen hat, den sie ihren fils [Sohn] nennt.
Moin souper, bestehend in Milchsuppe, pomme de terre frites und Apfelwein,
ist verzehrt, und ich denke nach über Gott und die Welt und über das
Geschick der armen Menschen hier, die ihr Möglichstes thun, einem alles zu
Gefallen zu machen, die von Herzen gut sind und doch so arm, dass sie selbst
fast vor Hunger sterben, und von solch armen Menschen soll man Nahrung
verlangen. Unsere Leute natürlich sind darauf angewiesen, und muss man auch
bei diesen darauf sehen, dass sie nicht matt werden. Bei mir wenigstens ist
es aber moralisch unmöglich, von solchen Leuten, die ärger sind als ich,
umsonst Nahrung zu nehmen. Lieber werfe ich ihnen den letzten Thaler hin,
deshalb möchte ich auch gerade hier auf dem Marsch nicht gern ohne Geld
sein, möchte nicht, dass es mir ausginge, Viele brauchen keinen Heller, aber
das ist nicht meine Sache, ich will lieber zahlen und das Bewusstsein haben,
dass nicht der Fluch, sondern freundliche Wünsche der Armen hier mir folgen.
Viele glauben, hier als Herren auftreten zu müssen, sie suchen eine Bravour
darin, hier in Feindesland die Menschen zu quälen und zu requiriren, aber
das ist infam. Gerade hier muss man erst recht das Unglück ehren. Aber ich
merke immer mehr, wie sehr ein Krieg die Menschen, besonders die sogenannten
Gebildeten, resp. Verbildeten, verwirrt. Ich bin noch immer mit den Leuten
fertig geworden, immer that es ihnen leid, wenn ich ging, und sie wünschten,
mich immer als Einquartierung zu behalten, auch mein Zug war immer gut
einquartiert. Meine Leute waren zufrieden, auch die Einwohner. Von andern
Leuten kamen täglich Klagen, das sind die Heldenthaten vieler Herren. Auch
hier mein altes Mütterchen sagte mir heute früh gleich als ich in ihr Zimmer
kam, um dort Leute meines Zuges einzuquartieren, ich solle doch selbst
bleiben, Das that ich dann auch, denn es war ärmlich bei ihr. Grossen Effect
machte ihr die Kaputze von Franziska, ich hatte sie über den Kopf gezogen,
und als ich ihr nachher, da sie mich vorm Kamin installirt hatte, erklärte,
meine Schwester habe sie mir gemacht, betrachtete sie dieselbe mit einer
gewissen Ehrfurcht und sagte: o quelle bonne soeur, que Dieu la
récompense, Doch es wird spät, Gute Nacht ! Morgen ist Ruhetag und ich
schlafe aus, dann gehts weiter nach Paris. Bitte schicke mir das Geld nur
doch jetzt, die Postverbindung ist wieder hergestellt. Grüsse Alle
herzlichst.
Franz.
Gestern mein Quartier bei den Nonnen war brillant,
selbst sie waren mit mir zufrieden.
den 12/11.
Eben ist Gelegenheit zur
Post. Ich höre leider, dass unsre Pakete alle in Remilly geblieben sind. Wir
werden sie nicht so bald bekommen, und muss ich mir deshalb in Reims wohl
Stiefel kaufen. Schicke deshalb bald Geld. Briefe, auch Geldbriefe, werden
an uns pünktlich befördert, nur nicht Pakete. Ich freue mich recht, nach
Reims zu kommen. Mein altes Mütterchen, die arme Babette, lässt Dich
grüssen, sie meint, ich müsse eine gute Mutter haben. Was ich gestern
geschrieben, habe ich weiter nicht durchgelesen, ich war etwas aufgeregt.
Franz.
Servon, den 12ten
Nov.1870
Mein lieber Wilhelm,
Franziska!
Gestern schrieb ich einen kl. Brief als Antwort auf den langen
Brief Wilhelms und auch auf den neulich von Franziska erhaltenen. Von Mama
habt Ihr wohl die ganze Zeit Nachricht erhalten. Die Träume von
Waffenstillstand und Frieden scheinen zu Wasser geworden zu sein, und ist
das übrigens Jetzt garnicht unangenehm, ich möchte gern in Paris einziehen.
Fürs Erste marschieren wir nun morgen weiter über Sommepy und Mourmelon le
grand nach Reims, wo wir einige Tage bleiben sollen, wir können da mal
wieder leben an der Wiege des Champagner. Bitte veranlasst doch Mama, dass
sie mir jetzt Geld schickt, denn die Postverbindung ist wieder hergestellt
und in Reims, trotzdem es Champagnerland, wird dieser doch nicht, wie einst
Milch und Honig, in den Rinnsteinen fliessen. Der Marsch von übermorgen wird
interessant, da wir das Lager von Chalons berühren. Pakete werden uns leider
nicht mehr geschickt. Der Tornister war das letzte, das vor Thorschluss
erhielt. Sollte die Post wieder eröffnet sein, schickt mir bitte eine Mütze.
Der Baschlick [Schalkapuze] von Franziska macht überall, wohin ich komme,
grossen Eindruck auf die Frauen seiner sorgfältigen Arbeit wegen, alle
beneiden mich um so eine Schwester. Die Gegend hier im Allgemeinen ist eine
möglichst traurige, die Menschen sind arm. Besonders unbegreiflich scheint
aber, wie der Argonnenwald, ähnlich dem Urwald, in so einer im Ganzen doch
civilisirten Gegend so lange bleiben konnte, Die Beschreibung des Tages in
Metz habt Ihr wohl bekommen, es war sehr interessant dies bunte, bewegte
Treiben, und Wilhelm hat übel daran gethan, nicht Metz und Strassburg zu
besuchen. Was sagen denn eigentlich jetzt Eure Zeitungen ? Die Coelner-und
Kreuz-Zeitung, welche ich vom 7. gelesen, sagen nichts Neues, nur sprechen
sie als Gerücht von der Einberufung unseres Parlaments in Versailles, das
wäre doch zu gelungen. Franziska scheint immer noch dieselbe gute Patriotin
zu sein und bei jeder Veranlassung in Feuer und Flammen zugerathon. Das ist
recht. Dass aber alte Herrn wie der Ex Senator Bernus [Frankfurter Senator,
1866 von den Preußen verhaftet, dann in die Schweiz ausgewandert] ihre
Ansicht überhaupt nicht über das Niveau ihrer privaten Bequemlichkeiten
erheben können, ist selbstverständlich. Der Winter scheint jetzt ernstlich
kommen zu wollen, übrigens ist der Schnee und Wind besser als Regen. Gib
Hohü einen herzlichen Kuss. Grüsse alle Bekannten. Gestern habe ich, da in
hiesiger Gegend Kaffee Mythe, den Extrakt angebrochen, er ist famos, auch
rauche jetzt Euren Taback, denn Cigarren sind Vorurtheil, Schreibt bald.
Nächstens aus Reims mehr.
Euer Franz.
Sommepy, in der Champagne. 13ten Nov. 1870
Es ist bisher ein ödes,
langweiliges, eintöniges Land diese Champagne, Die Felder sind sehr gut
bestellt, aber die einzige belebende Staffage der unabsehbaren Felder bilden
unsere schwarzen Colonnen und hin und wieder eine vereinzelte Windmühle. Das
Land ist aber reich, und verlebe ich meinen Sonntag hier gang gemüthlich bei
einem jungen Ehepaar, In Reims, wohin übermorgen kommen, sollen Ruhe haben.
Meinen langen Brief hast Du wohl erhalten. Grüsse an Alle.
Franz.
Selles, 14ten Nov. 1870
Meine liebe Mama!
Heute ist das Bild der Champagne bereits ein anderes und angenehmeres als
Dir gestern beschrieben. Unsere Marschroute ist verändert worden, wir haben
Mourmelon nicht berührt, sind aber über Pontfaverger, Bétheniville hierher
marschiert, eine sehr industrielle Gegend, reiche Bauern, eine Menge
Schafherden, welche die Nähe des Reimser Wollmarktes kennzeichnen. Das
dachte ich nicht, als ich bei
Samboraz Wolle zupfte, die aus Reims
bezogen, dass einst noch als biederer Sieger dort einziehen würde. Bin heute
im Quartier bei einem reichen Bauern, der niedliche, braunäugige Töchter
hat; es thut einem wohl, in schöne Augen zu sehen, wenn man immer seine
Musketiere anbrüllen muss. Die Leute hier sind alle nett und friedlich.
Morgen gibts Champagner.
Dein Franz.
Reims, don 16ten
Nov.1870
Liebe Mama
Beim
champagnergetränkten Frühstück schreibe ich Dir diese Zeilen. Eben habe ich
ein Glas Champagner auf Euer Aller spezielles Wohl getrunken. Wir haben
heute Ruhetag, ich Urlaub, da wir nicht in Reims selbst, sondern in Loire
nebenan liegen. Morgen langen Brief. Ich glaube, wir werden nach der von der
Tann'schen dunklen Affaire nicht länger hier ruhen, sondern morgen weiter
rücken, und zwar nicht nach Paris, wie ich denke, sondern auf Umwegen zur
Loire. Beifolgend eine Ansicht von Reims, in nächsten Brief mehr.
Herzlichst an Alle.
Franz.
Chassemy, in der
Picardie. den 18ten Nov. 1870
Meine liebe Mama !
Das ist die wahre
Romantik militärischen Daseins, dieser stetig dauernde Wechsel von Freud und
Leid, von Ueberfluss und Mangel. Gestern noch in Reims beim schäumenden
Champagner, heute in den erbärmlichsten, ärmsten Quartieren in einem Neste
der Picardie, Aus Reims schrieb ich Dir einige Zeilen nebst Photographie.
Ich war nur auf Urlaub dahin gegangen, denn mit bekanntem Pech lagen wir
nicht in der Stadt selbst, sondern in einem Dorf in der Nähe, Loire. Doch
habe ich mich an dem Ruhetag prächtig amüsiert. Mein Hauswirth, ein
behäbiger Bauer, hatte mich nach Reims gefahren und mir alles Sehenswerthe
gezeigt, ich lud ihn als Revanche zum Frühstück ein. Die Stadt selbst ist
Coeln sehr ähnlich, nur weniger schmutzig. Der Dom ist ein Prachtwerk, und
besonders die reiche Facade mit ihrer mannigfachen Ornamentik wunderschön.
Sehenswerth ist auch der Are de triomphe aus alter Römerzeit, Von beiden
erhältst Du beifolgend Photographie, Einigermassen verbittert wurde mir der
Tag in Reims durch die Nachricht der von der Tarn'schen Affaire, welche die
Franzosen natürlich wieder in den Himmel erhob und ihnen alle Sorgen benahm.
Natürlich hat sich die Geschichte weniger bedeutend herausgestellt und ist
auch unser Marsch nicht dadurch alteriert worden. Es ist wahr und richtig,
wir marschieren auf Paris und werden aller Voraussicht nach auch noch zu
thun bekommen. Gestern konnte ich Dir meinen Tagesbericht nicht schicken,
ich war zur Bedeckung der Colonne mit meinem Zuge commandiert und kam müde
und matt erst 8 Uhr abends in unserem Quartier Baslieux les Fisme an. Briefe
schrieb Dir jeden Tag, ob Du dieselben erhalten, weiss ich nicht, ich
expediere auf die mannigfaltigste Art durch Husaren, Ordonanzen und
Postillone. Franziska grüsse herzlichst, ebenso alle andern. - Heor ist die
Gegend wieder schlecht, und bald sind wir vor Paris, Von Euch habe lange
keine Nachricht.
Dein Franz.
Pommiers, den 19ten Nov.1870
Dep.der Aisne.
Liebe Mama
Gestern
Abend erhielt ich Deinen langen Brief vom 13ten, Herzlichen Dank und die
besten Grüsse für Alle, welche sich so freundlich nach mir erkundigen, Tante
Tottenborn, Graf Leiningen und Lina. Du siehst, dass die Briefe mich
verhältnismässig schnell erreichen, zudem beziehen wir nächstens
Standquartiere in Compiegne, und bitte deshalb doch Geld zu schicken. Heute
marschierten wir über die Aisne auf von unseren Pionieren konstruierten
Brücken über Loire hierher. Man merkte schon gleich die Nähe der belagert
gewesenen Festung, sie macht ihren Einfluss stundenweit durch Verwüstung und
Schrecken geltend. Loison [sicherlich ein Übertragungsfehler und gemeint ist
die Festung Soissons, ganz in der Nähe von Pommiers] ist eine alte, kleine
Stadt mit dem in Frankreich üblichen Dome; ihre faubourgs [Vororte] sind aus
strategischen Rücksichten von der Besatzung verwüstet worden. Die Gegend
wird wieder schlechter. Die reichen Betten der Champagne haben aufgehört,
Grüsse bitte Alle, besonders auch Franziska und Wilhelm, ich wiederhole,
dass die an Dich gerichteten Briefe auch für sie sind, Bitte schicke mir
doch bei Gelegenheit eine gute Karte Von Paris und dem Süden, meine ist zu
Ende;
womöglich Generalstabs-Karte. Herzliche Grüsse an Alle.
Franz.
Attichy, 20ten
Nov.1870
in der Picardie.
Meine liebe Mama !
Gestern schrieb ich Dir einige Zeilen aus Pommiers, ich trug dieselben dann
selbst nach Loison zur Post, um mir die Stadt etwas anzusehen, welche in
einigen Theilen besonders stark mitgenommen ist. Der militärischen Ehre
wegen hat man sie 2 Tage zu lange gehalten. In Pommiers hatte ich einen
gelungenen Hauswirth, nämlich einen natürlichen Sohn des Eugen Beuharnais
[Stiefsohn Napoleon des I., war als Herzog Frankfurts vorgesehen gewesen],
welcher von diesem nicht anerkannt, hier unter dem Namen Juppin wohnt und
verheirathet ist mit einer jungen, hübschen St.Petersburger Schauspielerin;
er hat eine gewisse Aehnlichkeit mit den Napoleoniden, besonders erinnern
die berühmte Nase und die kurzen Beinchen an seinen erlauchten Vetter. Er
ist übrigens interessant, und seine Frau sehr geistreich, sie luden uns zum
Diner ein (Kapitain und ich, wir liegen meistens zusammen), und wir
verbrachten einen sehr netten Abend. Selbst musiziert wurde, sie sang
russisch, er die Marseillaise und ein Husarenoffizier famoser Barriton,
deutsche, schwäbische Lieder. Du kannst Dir meine Freude denken !Heute liegt
unsere ganze Compagnie hier in einer Zuckerfabrik, wir im Hause des
Besitzers, ein netter Mann mit zwei reizenden Kindern, mit welchen ich den
ganzen Tag spiele, resp. wenn ich nicht mit dem franctirenden gegenüber
auszusetzenden Posten zu thun habe, denn ich habe die jour. Les extremes se
touchont. Bald Kind, bald rauher Krieger. Je näher wir kommen, umso strenger
die Vorsichtsmassregeln; man vermuthet in den kaiserlichen Forsten grössere
Banden. Der politische Horizont klärt sich scheints immer nicht, scheusslich
ist Bazaine's Benehmen. Russland imponiert mir.- Bitte schicke bald das
Gewünschte, Geld und Karte. Herzliche Grusse an Alle, besonders Wilhelm und
Franziska, welchen dieser Brief mitzuteilen ist, Ich hoffe, Da erhältst
meine täglichen Berichte.
Herzlichst Franz.
Beaucourt, den 21ten
Nov.1870
Liebe Mama !
Heute früh abmarschiert,trafen dio Husaren
unsrer Avantgarde kurz hinter Montdidier auf die Vorposten einer in der
Bildung begriffenen Armee von 6- 7 Bataillonen, welche sich aber, sobald sie
uns in Gefechtsordnung anrücken sah, zurückzog. Es scheinen das
Franctireurs-Bataillone zu sein, welche wohl immer sich vor uns zurückziehen
werden, oder wenigstens erst standhalten, bis sie vollständig formirt.
Infolgedessen werden wohl langsam vorrücken. Heute kamen erst 8 Uhr ins
Quartier; bin sehr müde, und doch habe noch Ronde [?]. Herzlichst an Alle.
Franz.
Baugy, den 22ten
Nov.1870
[10 km nordwestlich von Compiegne]
Liebe Franziska !
Soeben erhalte ich Deinen lieben langen Brief, und muss Dir wiederholen,
ängstige Dich nicht um mich, Unkraut vergeht nicht, zudem befinde ich mich
auch hier angesichts des Feindes in einem herrlichen Schloss und Park bei
weissem Burgunder und anderen Genüssen, höchst schlau, freilich steht uns in
den nächsten Tagen die kalte Feldwache bevor, aber das schadet auch nichts.
Paris scheint nun doch nicht dem 68. Regiment zu besonderer Auszeichnung
aufgespart zu sein; wir sollen Bourbacki schlagen, doch scheint es mir
zweifelhaft, ob dessen Armee nicht überhaupt Vorurtheil und Einbildung,
obschon mein edler Wirth, der Herr Vicomte, behauptet, es stände nicht weit
von uns eine Riesenarmee und Frankreich sei nicht zu schlagen, nicht zu
vernichten, und Paris lange nicht der letzte Stein, der zu überspringen, so
glaube ich doch, es kann nicht mehr lange dauern, und will die Güte unseres
Königs in diesem Augenblick nicht gerechtertigt erscheinen. Man sagt, er
hätte Paris lange bombardieren sollen und nicht der Weltstadt wegen seine
Truppen länger der unangenehmen Cernierung aussetzen. Ob Bismarck hierin
seine besonderen Interessen, oder ob noch nicht genug Belagerungsgeschütz
vor Paris, kann ich nicht beurtheilen, auf jeden Fall glaube ich aber würde,
Paris erst genommen, der Krieg fürs Erste beendet sein. Denn die Provinzen
bedürfen zu sehr des Friedens. Wenn Bazaine's Hartköpfigkeit wegen aus
diesem Kriege nicht mal die deutsche Einigkeit resultieren sollte, würde ich
es ganz gerechtfertigt finden, wenn man in einer andern kategorischen Weise
gegen dieses vorginge, Dass der junge Kalle überhaupt für das 8.Corps keine
Begeisterung hat, begreife ich nicht, im Gegentheil sind in demselben die
33ger, Königshusaren und 8.Jäger. Man würde dem General von Goeben gewiss
nie das schlechteste Corps gegeben haben, nur unser Corps ist so gesegnet
mit dummen Chefs (mit Ausnahme d.H. Strubberg) und elenden Soldaten. Mama
zeigt Dir wahrscheinlich alle Briefe, sie sind ebenso gut für Dich
geschrieben. Küsse Hohü und den kleinen Willy [Willy 1870-1954, Hohü
war wohl Sophie Wilhelmi 1868-1920], dem grossen einen herzlichon Händedruck und Dank für
Kladderadatsch. Das ist recht, dass Ihr für Weihnachten arbeitet. Wir werden
uns wohl unsern Weihnachtsbaum mit Obst verzieren müssen und in der
Sylvesternacht Apfelwein trinken auf Deutschlands Wohl und ein Prosit der
Hartköpfigkeit seiner Glieder.
Herzlichst Franz.
Baugy, den 22ten Nov.
1870
Meine liebe Mama !
Im
eleganten Revier der vielgenannten Stadt Compiegne und ihren prächtigen
Forsten haben wir bei unserem gestrigen Durchmarsche zwar vereinzelte
Fasanen, nirgends aber Franctireurs gefunden, in den herrlichen breiten
Strassen und Parkanlagen, die bis jetzt kein Geräusch kannten als das
parfümierte Gezwitscher Pariser Schönen und den Jagdhornklang vereint mit
dem Gebell der Meute, ertönte gestern "horriblement" das rohe Zwiegespräch
der rheinischen Musketiere, In die Stadt selbst zogen wie gewöhnlich ein,
unter den Klängen des Preussenliedes. Compiegne ist reizend gelegen und
besonders von der nördlichen Höhe aus, wo Baugy unser Quartier, ist die
Perspektive eine prächtige; es war ein komisches Bild, gestern diese langen
Colonnen in den langen breiten Strassen marschieren zu sehen, ich konnte das
so recht beobachten, da ich den Vortrupp führte, also zuerst auf der Höhe
war und das ganze Treiben hinter mir überschauen konnte. Arme Creaturen des
Kaiserreichs ! Armes Frankreich ! Wir sind nun an dem erster Ziele, das uns
abgesteckt war, angelangt, haben heute Ruhetag, sollen aber morgen in wieder
veränderten Marschrouten auf Amiens zu weitermarschieren; man vermuthet,
hier in der Gegend auf Streifcorps der Bourbacki'schon Armeen zu stossen,
und erwartet diesen von Montdidier aus. Mit meinem hiesigen Quartier habe
ich ein riesiges Glück gehabt. Als wir gestern hier ankamen, war es uns
höchst traurig zu Muthe, denn das Dorf ist ein höchst erbärmliches, nur
liegt in seinem Rayon ein Schloss, welches aber leider mit dem rothen Kreuz
bezeichnet, respektirt und nicht belegt werden durfte. Die Compagnie war
untergebracht, nur der Capitain und ich tummelten noch ohne Obdach auf der
Strasse, da kam uns der Gedanke, zu probieren ob uns der Besitzer des
Schlosses nicht doch aufnehmen würde. Da ich französisch spreche und er
nicht, detachierte mich der Capitain, und durch Höflichkeit erlangte ich von
Viconte de Tocqueville, dass er uns in seinem Schlosse aufnahm, wo wir denn
famos untergebracht sind, denn das rothe Kreuz hatte er nur als Etiquette
gebraucht, seine Kranken beschränkten sich auf zwei bereits gesundete
französische Soldaten, welche in einem Unterflügel liegen, er hatte uns so
eigentlich hinters Licht geführt und die Convention missbraucht, aber wir
unterliessen die Meldung, da er so sehr achtungswerth und anständig. Denn
achtungswerth ist es schon allein, dass er hier geblieben, um seiner
Bevölkerung als Schutz zu dienen, da doch alle anderen Gutsbesitzer feige
geflohen und alles stehen gelassen. Es scheint diese Familie eine echt alt
französische mit famoser patriotischer Gesinnung, besonders die Dame vom
Hause hat mir imponiert. Gleich als ich im Schlosse ankam und mir mein
Zimmer angewiesen, hörte ich im Nebenzimmer 4händig spielen. Die Thür war
auf. Die Künstlerinnen waren zwei kleine Mädchen von 10 und 12 Jahren, die
Enkel der alten Dame; ich schloss natürlich gleich Freundschaft mit ihnen,
und kam mir ungefähr so vor wie in den Zeiten, da Tante Nathalie mit ihrem
Daumen und ich mit einem Finger die Schweizer Familie dechiffrirten; sie
waren sehr vergnügt und ich nicht weniger. Kaum merkte aber die alte Dame,
dass ich mit ihren Enkeln sei, so kam sofort die Ordre durch einen
Bedienten, die Kinder hätten sich zu ihrer Bonne zu verfügen. Sie wollte
nicht, dass die Kinder ihres Sohnes, der französischer Offizier, mit einem
Feinde desselben spielten. Dagegen War nichts zu sagen. Als aber nachher
unsere Koffer ankamen, zogen wir die neuen Röcke an und machten der gnädigen
Frau Marquise unsere Aufwartung und schlossen Friede mit ihr (er ist ein
Herr, der mit den naivsten politischen Principien und Ansichten begabt
[Edouard de T. 1800-1874]), sie aber ist eine Frau, die ich nie vergessen
werde, etwas exaltirt,aber würdig und wirklich patriotisch, drei Söhne hat
sie in der französischen Armee. Gegen uns war sie sehr freundlich und legte
uns ihre patriotischen Gofühle dar, mit uns essen wollten aber Beide nicht,
denn sie sagten, sie könnten es nicht übers Herz bringen, mit denen zu
essen, welche vielleicht morgen ihrem Sohne im Felde entgegen stehen würden.
Kurz, es ist eine edle Frau, und ich bin fest überzeugt, wären alle
Franzosen wie sie und nicht das corrumpirte Volk, der Krieg wäre nicht
möglich gewesen oder wenigstens der Ausgang kein so vernichtender, gänzlich
deprimirender für das arme Frankreich. Der Name Tocqueville ist Onkel Fritz
gewiss bekannt, denn ein Bruder des jetzigen Alex de T. ist einer der
bekanntesten franz. politischen Schriftsteller, der besonders ein berühmtes
Werk über die Demokraten Nord-Amerikas geschrieben und auch 48 ein paar Tage
Minister war. Dass wir famos hier aufgehoben, kannst Du Dir denken, auch
haben die Leute jetzt gesehen, dass wir nicht Barbaren sind. Hast Du Geld
für mich abgeschickt ? Grüsse Alle herzlichst. Wilhelm und Franziska diesen
Brief mitzutheilen. Bitte gratuliere Emma zum 2ten Dezember. Schreibe bald.
Dein Franz.
Compiegne, den 23ten
Nov.1870
Liebe Mama I
Auf Urlaub schreibe ich Dir meinen heutigen
Bericht im Postbureau zu Compiègne. Ich habe im Schlosse des Kaiserreichs
geschwärmt, alle Zimmer der Majestäten durch laufen, auf den Stufen
gestanden, wo Fürstin Metternich so oft gespielt. Morgen gehts weiter.
Zuavenarmee soll decimiert sein (offiziell ! tant mieux ! [um so
besser]) und Paris auch. Grüsse. Nächstens mehr.
Franz.
Cuvilly, den 24ten Nov.1870
Meine liebe Mama
Statt weiter zu marschieren, wie ich es vermuthet, hatten wir gestern noch
einen Ruhetag in unserem Schlosse, und ich benutzte den Ruhetag, die Zeit
zwischen Frühstück und Mittagessen mir Urlaub nach Compiègne geben zu lassen
um dort das so oft gerannte historische Schloss der Napoleoniden, in dem so
mancher Roman des Kaiserreichs gespielt, anzusehen. Es war Corpsbefehl, es
solle den Soldaten der Armee möglichst Gelegenheit gegeben werden, das
Innere des Schlosses zu besichtigen, und so wanderten denn Tausende von
Musketieren mit benagelten Schuhen in den eleganten Sälen umher, rekelten
sich auf den wollüstigen Stühlen und Tabourets [Hockern], bespiegelten sich
in den grossen Spiegeln des Boudoirs der Kaiserin und einige dehnten ihre
schmutzigen Glieder unter dem seidenen Baldachin des Kaiserbettes. Armes
Kaiserreich ! Armes Frankreich ! Die ganze Einrichtung des Schlosses ist in
der kalten, todten, goldprangenden Manier des ersten Kaiserreichs, steif und
überladen, aber doch reich und raffiriert. Die Eintheilurg des Ganzen in
Serien ist höchst interessant, übrigens haben wir uns gründlich in den
Reihen kleiner Zimmer verlaufen. Am meisten hat mich interessiert das
Boudoir der Kaiserin, dessen Wände Spiegel, die Bibliothek des Kaisers, wo
man überall die Spuren seines Studiums entdecken konnte und wo ich mich
nicht enthalten konnte, mir als Andenken einen recht alten Band
französischer Philosophie ex libris imporatoris in die Tasche zu stecken;
ein ähnlicher unschuldiger Diebstahl wurde ungefähr von jedem übrigens
verübt, vom General abwärts und vom Musketier aufwärts. Auch auf der kleinen
Schlossbühne habe ich gestanden, wo die Fürstin Metternich so oft im in
coquetten Schäferspielen brillirte, Die Generalitäten waren natürlich im
Schloss einquartiert und speisten von kaiserlichen Tischen. Herrlich ist der
Park mit seinen lauschigen Bosquets, schüchternen Nymphen und lüsternen
Faunen, die wohl sehr häufig mit der Umgebung harmoniert haben mögen. Ausser
dem Schloss ist noch sehenswerth das Hotel de ville und die Kirche St,
Jacques im dorischen Styl. Sonst ist die Stadt möglichst langweilig und
erinnert mit ihren breiten menschenleeren Strassen an Darmstadt, nur ist
dieses schöner und aristocratischer. Prächtig ist auch das Schloss
Pierrefonds im ächten Styl des Mittelalters, der Zeiten Trouvers und
Troubadour, Das Schloss sollte jetzt renoviert werden, nur in einzelnen
Sälen fertig, ist die Anlage magnifique. Heute hatten wir einen kleinen
Tagemarsch, bin bei einem Bauern im Quartier, welcher es gerechtfertigt
erscheinen lässt, dass man den Picarden Dummheit vorwirft. Morgen
wahrscheinlich Ruhe. Die Armee soll sich hier erst sammeln, um dann nach
Amiens vorzugehen. Mit Paris ist es also nichts. Wir marschieren nach
Norden, bis dass das Meer uns Grenzen setzt. Man erwartet ja wohl bald die
Uebergebe von Paris ? Tant mieux, Bitte schicke Geld im Brief, kommt an, und
eine Karte.
Grüsse Alle herzlichst,
Franziska und Wilhelm besonders.
Franz.
Beifolgend Photographien.
Thezy, den 26.Nov. 1870
Liebe Mama !
Heute ist unsere Avantgarde
endlich bei Pierrefonds auf den Feind gestossen. Unsere 6te Comp.wurde
vorgeschickt, und ich mit meinem Schützenzug, der sich famos gehalten, kam
zuerst ins Feuer. Diese Franctireurs schiessen gut. Viele brave Kerls und
sind
todt und verwundet. Der Reserveleutnant Frohwein unserer Comp., ein
biederer, ehrlicher Kerl, ist durch die Brust geschossen. Der arme Kerl ist
verlobt und schien von seiner Braut so sehr geliebt.zu sein. Friede seiner
Asche Auch der Capitain ist leicht am Kopf verwundet. Unsere Comp. hat 34
Verwundete und Todte. Ich bin mit meinem Zuge von Anfang bis zu Ende im
dichtesten Feuer gewesen, aber Unkraut vergeht nicht, ich bin vollständig
unverwundet und fühle mich möglichst schlau hier im Quartiere. Grüsse Alle
herzlichst. Mit Gott gehts morgen weiter und hole der Teufel die
Franctireurs. Glück auf I
Franz.
Boves, den 27ten
Nov.1870
Abends 11 Uhr.
Heute Morgen haben wir
unsern gefallenen 0ffizier begraben, u.a.auch den Hauptmann, der mit seiner
Frau im Karpfen mit uns ass. Arme junge Frau. Dann gings weiter zur
Schlacht. Unser Corps hat glänzend gesiegt. Wie spielend nahmen das Dorf
Boves, wo wir jetzt liegen. Ich hatte wieder Glück. Morgen gehts weiter.
Adieu Ich hoffe, morgen Abend in Amiens. Grüsse Alle.
Boves, den 28.Nov.1870
Liebe Mama
Unser
gestriger Sieg in der Schlacht bei Amiens war grösser als wir vermuthet, die
ganze Armee ist zersprengt. Unsere 10 Dlv. bereits in Amiens, wir sollen
morgen nach. Ich habe viel Glück gehabt und mich gut gehalten, das kann ohne
Rühmen behaupten, es ist ein Wunder, dass vorgestern keinen Schuss bokommen,
Viele arme Kerls meines Zugs sind geblieben. Der Anblick ist schrecklich.
Grüsse Alle herzlichst.
Franz.
Boves, den 29ten
Nov,1870
Ich hoffe, Du hast meine
verschiedenen Karten erhalten. Ich habe in der Schlacht bei Amiens
mitgekämpft, bin heiter und wohl. Die Kerle flohen, es war ein wahrer Spass.
Grüsse Alle. Gratuliere Emme.
Herzlichst Franz.
Waly, den 30ten Nov.1870
Meine liebe Mama !
Ich
weiss nicht, ob Du meine verschiedenen Briefe nebst Photographien aus
Compiègne erhalten hast, auch besonders die verschiedenen Karten der letzten
ereignisreichen, für mich ewig urvergesslichen Tage.
Wohl wissend, dass
Du in den Zeitungen lesen würdest, dass wir engagiert gewesen, und Dich um
mich ängstigen würdest, habe ich an den zwei Gefechtstagen eine Menge Karten
an Dich expediert, jeder Ordonanz, die vorbeiritt, gab ich eine mit, doch
ist es zweifelhaft, ob dieselben zu Dir gelangt sind. Nun kurz, das Faktum
ist, wir haben tapfer mitgefochten, besonders unsere Comp. hat sich sogar
ausgezeichnet, auch ich habe meine Schuldigkeit gethan und merkwürdiger
Weise bin ich ganz unverwundet Am Morgen des 26ten marschierten wir von
Beaucourt ab, unsere Comp. in der Avantgarde und ich mit meinem Schützenzug
als Vortrupp, wir marschierten bis gegen 9 Uhr, de stiessen die flankirenden
Husaren auf feindliche Vorposten, sofort wurde Halt gemacht, geladen,
Gefechtsstellung geladenen und weitermarschiert, wir immer voran. Bei
Balocourt hatte der Feind eine Thalschlucht jenseits der Höhe, vor welcher
wir uns befanden, besetzt, und nun hiess es, auf die Höhe im dichtesten
Kugelregen losgehen. Der Schützenzug schwärmen ! Und nun ging ich als Führer
der Schützenlinie vor, hinter mir nur die Compagnie. Das Bataillon hatte
Halt gemacht. Der Kapitain hoch zu Ross voranreitend. Es war ein sonderbares
Gefühl, das man so im Vorgehen empfand, die Kugeln sausten einem um den
Kopf, man hörte und sah die armen Leute fallen, aber man hat eben gar keine
Zeit, irgend einen Gedanken zu fassen, man hat vollauf zu thun, die Leute
zusammen zu halten. Auf der Höhe angekommen, legten sich die Schützen nieder
und nach und nach schwärmte die Compagnie aus, Viele wurden verwundet. Der
schrecklichste Moment war, als unser edler Hauptmann getroffen wurde, das
Pferd wer ihm schon unterm Leibe weggeschossen, er war zu Fuss in der
Schützenlinie, erhielt einen Streifschuss an den Kopf, der ihn vollständig
betäubte, da ging er auf mich zu, schüttelte mir die Hand und bat, ihn um
Gottes Willen nicht in Feindeshand zu lassen. Siedend heiss schoss mir in
diesem Moment das Blut zum Herzen, ich glaube, ich hätte mich eher in Stücke
gehn lassen, als ihn zurückgelassen. Zum Glück erholte er sich aber bald
nachher und konnte zurückgeführt werden. Zwei Stunden lagen wir im
dichtesten Kugelregen, ich, Wetter und Frohwein immer aufrechtstehend,
famose Zielpunkte. Der arme Frohwein bekam einen Schuss durch die Brust und
starb vor unseren Augen, den Namen seiner Braut auf den Lippen. Wir Beide
kamen aber merkwürdiger Weise ohne Wunde davon. Auf einmal erhielten wir den
Befehl zurückzugehen, da wir eigentlich schon zu weit vorgegangen waren, was
nicht in der Intention lag, heute mehr Truppen zu engagieren. Geschlossen
gingen wir zurück im Kreuzfeuer und verloren jetzt noch viele. Es waren
schreckliche, grosse Momente, gewürzt mit einem theatralischen Pathos, der
erzählt, lächerlich erscheint, der aber, ins Leben übersetzt, wunderbar
schauerlich und unvergesslich wird, Der Divisionscommandeur sprach uns seine
persönliche Anerkennung aus. Ich hätte selbst nicht geglaubt, dass unsere
Kerls so gut
vorgehen würden. An Abend kamen wir ins Quartier nach Thezy,
wo wir am andern Morgen unter feierlichen Klängen unsere drei Offiziere (des
Bataillons) begruben. Ein franz. Geistlicher sprach den Segen, profanirte
aber mehr die hehre Feier durch sein gefühlloses Herplappern der Litaneien.
In solchen Momenten lernt ein jeder seinen Herrgott in sich selbst kennen,
da bedarf es nicht dieses überflüssigen Firnisses. Selbst der Schlechteste
wird unwillkürlich gut, man vergisst allen Hass, alle Verachtung, und ich
habe wohl im Leben nie jemand wärmer die Hand gedrückt als unserem
Bataillonscommandeur, da er sie uns dankend schüttelte, und doch ist
derselbe sonst der gemeinste Kerl unter der Sonne. So ist aber das arme,
schwache Menschenherz. Nach der Beerdigung marschierten wir weiter, mein
Hauptmann konnte zum Glück bei dem Trupp bleiben, wenn auch mit verbundenem
Kopf. Unter seiner Führung stürmten wir auf dem linken Flügel der Armee
(Aufstellung unseres ersten Corps, dann wir, dann 16.Div.) eine alte Ruine
und drangen dann im Dorf Boves ein, unsere Leute hielten sich brav, doch war
das Feuer lange nicht so stark als am ersten Tage. Ich freue mich umsomehr,
bei dieser Comp. gestanden zu haben, da andere unseres Reg. sich herzlich
blamiert haben. Am Abend lagen wir müde und matt in Boves im Quartier. Am
28. zog ich auf Feldwache. Ich war a meinem Leidwesen nach der Schlacht zur
7ten Comp. versetzt, da diese ihre Offiziere verloren hat, und bin nun in
dieser nächst dem Kapitain der einzige Offizier. Gestern marschierten wir
bis hierher, und werden nun auf Rouen losgehen; wir haben Fühlung mit der
Pariser Armee und werden durch die Schwenkung auf Rouen zu die Trümmer der
Bourbacki'schen Armee von Süden zu trennen suchen. Dann wird, hoffe ich, die
Arbeit gethan sein. Es ist ein Glück, dass unser Reg. wenigstens noch zur
Action gekommen; es wird jetzt noch eiserne Kreuze regnen, auch ich bin
natürlich eingegeben, ich kenn sagen, mit Recht, ob ich es .aber bekomme,
ist zweifelhaft. Soviel kann ich ohne Ueberhebung sagen, ich habe es so gut
verdient wie einer, aber die Herren Linienoffiziere gehen selbstredend im
Bericht des Regimentscommandeurs vor. Nun ich habe das Bewusstsein, meine
Schuldigkeit gethan zu haben, und bin mit heilen Knochen davongekommen, des
ist genug ! Im ganzen hat das Reg. 6 tote Offiziere und 6 verwundete. Ich
hoffe sehr, nächstens in Rouen einige Tage bleiben zu dürfen, um mir dort
meine Wäsche kaufen zu können, meine ist furchtbar derangirt, ich habe wohl
bis dahin auch Geld von Dir. Die franz. Soldaten dieser Armee haben sich
schlecht geschlagen, sind feige davongelaufen, obschon sie gut schossen.
Bewaffnet waren sie meistens mit alten Tabatiere-Gewehren [ein altes
Vorderlader-Gewehr, das zum Hinterlader umgebaut wurde, mit riesigem
Kaliber], die einem sehr schwer heilbare Wunden geben, viele aber auch mit
englischen Remington-Gewehren, die ganz ausgezeichnet. Viole der Gefangenen
hatten in ihrem Tornister einen Ciril-Anzug mit einer Genfer
Conventions-Binde, viele hatten sich auch schon in Krankenträger equipiert
und wurden so gefangen. Ein solcher Abusus gegen das Völkerrecht ist
unerhört, und verdienen solche Kerls kaum das Hängen. Es ist doch in der
franz. Nation neben vielen Edlen auch viel Degeneration, die beide bei uns
nicht möglich. Wir halten die Mittelstrasse, Bitte schreibe bald. Ich sehne
mich nach Nachrichten. Grüsse Alle herzlichst. Franz.
Gratuliere Emma zu
ihrem Geburtstage, Ich liege hier in einem alten, sehr romantischen, in der
Revolution halb verwüsteten Schloss des Fürsten Salm-Salm.
Guizancourt, den 1ten
Dez.70
Liebe Mama !
Ich
hoffe, Du hast meinen gestrigen Schlachtenbericht erhalten, gleich nach
Abgang desselben erhielt ich Deinen lieben langen Brief nebst 100 Frs.,
wofür herzlichst danke. Für den besonderen Gruss von Onkel Alex, der lieben
Riloto und Paulo schönsten Dank, Heute erhielten wir die Nachricht, dass die
Loire-Armee auch glänzend besiegt; dies und die heutige Losung und
Feldgeschrei , Steck ein Anton" (Variante des bekannten geflügelten Wortes "
Anton steck den Degen ein" [zeitgenössisches Theaterstück, von D.Kalisch,
der Degen mit sexueller Konnotation]) lassen schliessen, dass die Geschichte
nun doch bald zu Ende. Vorläufig suchen wir nach Franctireurs und gehen
gegen Rouen. "A Rouen, Rouen, sur un petit cheval blanc", sang Grossmama mir
oft vor in den seeligen Zeiten der Frau Trot, und Rouen sing ich mir jeden
Morgen auf dem Marsche, wenn ich vor der Comp. her döse, vor, und denke an
Euch. Heute bin ich wieder zurück zur 6ten Comp., da Wetter, mein threuer
Waffengefährte, zur Intendantur nach Amiens abcommandiert ist. Einliegend
Bourbacki. Bitte hebe alle Photographien für mich auf. Tausend Grüsse an
Alle.
Franz.
General Bourbaki 1816-94
Compuis, den 2ten Dez.
1870
Meine liebe Mama !
In meinem gestrigen Briefe zeigte ich Dir den
Empfang Deines Geldbriefes an und schickte Dir zugleich Photographie des
Helden Bourbacki. Heute sind wir bis hierher marschiert. Die Losung des
"Anton steck den Degen ein" scheint, wenn nicht illusorisch, doch etwas
verfrüht zu sein, denn es steht uns auf alle Falle noch ein kleines
Kesseltreiben bevor. Die Loirearmee ist von Prinz Friedrich Karl und uns
zwischen zwei Feuer genommen, bald wird der Fuchs wohl heraus müssen. Am
Ende soll also das Bombardement Paris doch noch beginnen, wird sich die
Stadt nicht vorher ergeben ? Heute der Napoleontag scheint ohne Sang und
Klang vergehen zu wollen. Unser heutiges Quartier für die ganze Compagnie
ist ein elegantes Etablissement, ein von einem Privatmann dem Staate
geschenktes Haus für Greise und Waisen, welches aber, da ganz neu, nur
schwach besetzt ist. Seit dem Dez. ist die Kälte recht sibirisch geworden,
doch marschiert es sich bei diesem Wetter gut. Ich vergass Dir neulich
mitzutheilen, dass mir einen franz. Offiziersdegen erobert, mit welchem
jetzt stolz einher stolziere [dann hat Franz jetzt wohl drei Degen].Grüsse
Alle herzlichst, besonders Franziska und Wilhelm. Dein letzter Brief ist von
altem Datum, und sehne ich mich recht nach neuen Nachrichten. Emmas heutigen
Geburtstag habt Ihr wohl auch ohne Sang und Klang gefeiert, und Weihnachten
wird, wenn nicht bis dahin Friede, ebenso vergehen.
Herzlichst Franz.
Luzy, den 4ten Dez.1870
Meine liebe Mama !
Gestern hatten wir einen forcirten Marsch über Promery nach La Perte St.
Simpson durch die Normandie, welche ein prächtiges, fruchtbares Land,
das für uns nur den Mangel hat, dass in ihm zwar überall grosse Gehöfte,
nirgends aber Dörfer zu finden, sodass unsere Märsche immer grösser sind.
Wir waren gestern früh um 7 Uhr ausmarschiert und kamen erst um 10 Uhr
abends ins Quartier resp. Feldwache, und noch dazu ganz unnöthiger Weise,
denn nach der Schlacht bei Amiens, welche wir als Avantgarde mitgemacht,
Armeereserve geworden, hatten wir uns höchstens gegen unsere eigenen Corps
zu schützen. Aber das ist eben das Talent unserer hohen Chefs im Regiment;
ist Gefahr wirklich vorhanden, lassen sie jede Comp.für sich agieren (und
das ist ein Glück), ist aber keine Gefahr da, fühlen sie sich sicher, dann
entwerfen sie grossartige strategische Pläne und ermüden die armen Leute
unnöthiger Weise bis zum Tode. Heute ist ein siegreiches Gefecht von der 29.
Brigade geschlagen worden. Morgen kommen wir wieder, hoffe ich, zum gros der
Armee; vor Rouen werden wir wohl noch einen Zusammenstoss haben. Heute liege
ich hier beim Pastor, der, abgerechnet die den Franzosen angebornen naiven
politischen Anschauungen, ein sehr würdiger Herr ist. Ich habe beim Diner
mit ihm einer guten Flasche Chablis den Hals gebrochen, und wir sind gute
Freunde. Grüsse Alle herzlichst. Seit vorgestern ist es grimmig kalt, und
war der gestrige angestrengte Marsch einer unserer schlimmsten Tage.
Franz.
St. Jacques près Rouen
Seine inferieure, den 6.Dez.1870
Meine liebe Mama !
Gestern und vorgestern immer in Gefechtsbereitschaft in der Normandie
vorrückend, sind wir nicht zur Action gekommen. Der Feind hat sich nur bei
Buchy der 16. Div. gestellt und ausserden Rouen uns ohne Schwertstreich
überlassen, sich nach dem Herault zurückziehend, man glaubt, dass er sich
auch dort nicht halten wird. Morgen ziehen wir mit klingendem Spiel in Rouen
ein. Durch unseren Vormarsch sind wir jetzt ohne Zeitung und Briefe. Wie
steht es jetzt in der Welt ? Grüsse Alle. Nächstens mehr.
Franz.
Sotteville, den 7ten
Dez.1870
meine liebe Mama !
Heute früh hatte ich die grosse Freude, einen Brief von Dir und einen von
Wilhelm und Franziska zu erhalten, nach langer Zeit die ersten Nachrichten.
Du kannst Dir denken, wie sehr ich sie verschlang. Du lobst mich, dass ich
Dir so häufig schreibe; man neckt mich hier immer, wenn ich täglich meinen
Bericht schreibe, und meint, ich müsse gewiss verlobt sein; das ist nun
gerade nicht der Fall. Heute früh wurde uns die Nachricht zutheil, wir
würden nach Rouen marschieren und dort Ruhetag haben. Du kennst Dir denken,
wie wir uns freuten, wieder in eine Stadt zu kommen aus Reinlichkeit und
anderen Rücksichten. Aber mit des Geschickes Mächten, ist kein ewiger Bund
zu flechten. Wir marschierten durch Rouen, das sich wunderhübsch zwischen
hohen Bergen zu beiden Seiten der Seine ausdehnt, durch und bis hierher,
einem Neste auf der Rouen-Pariser Strasse, Gott weiss, was man jetzt mit uns
vor hat, soviel ist gewiss, wir sind jetzt wieder in der Avantgarde. Bei
Amiens waren wir es auch, und bei Rouen Reserve, so wechselt das immer.
Unbegreiflich ist es, dass der Feind sich vor Rouen nicht gehalten, da die
umliegenden weit hinaus beherrschenden Höhen die brillantesten
Vertheidigungs-Positionen bilden. Denke Wilhelm für seinen lieben Brief. Am
nächsten Ruhetag mehr. Photographie konnte in Rouen natürlich nicht kaufen,
da wir nur durchmarschierten. Tante bitte ich schönstens zu gratulieren. Das
alte Walluf hat schon manchen zarten Roman in seinen ehrwürdigen Hallen
abspielen sehen. Die Einwohner Rouens haben mir durch ihr gesetztes
Auftreten und ihr in geringer Anzahl Vorhandensein imponiert, das zeigt,
dass sie noch Franzosen mit französischem Gefühl sind. Franz werde auch
nächstens schreiben, er soll nur fleissig Nachricht geben, Grüsse Alle
herzlichst.
Franz.
Rouen, den 9ten Dez.
1870
Meine liebe Mama !
Zu
früh hatte ich gefürchtet, wir würden an Rouen vorbeimarschieren, umsonst
geflucht, dass unser Reg. immer das Pech habe, die grossen Städte nur im
Fluge zu sehen. Nach Sotteville waren wir am ersten Tage (von dort schrieb
ich Dir) nur marschiert, um Rouen nach aussen hin zu decken und Verbindung
zu halten, da die Normandie noch nicht von uns occupirt war, jetzt sind
fliegende Corps nach allen Richtungen geschickt und sind gestern
hierher zurückmarschiert und sollen, wie es verlautet, bis zum Eintreffen
der Landwehr-Garnison bleiben, es wäre uns das sehr für einige Zeit zu
wünschen, besonders in einer schönen Stadt wie Rouen. Die Stadt hat ganz den
Charakter einer Seestadt, zu beiden Seiten der hier breiten Seine dehnt sie
sich aus, mit mächtigen eleganten Tüirmen geziert wie alle Städte
Frankreichs, der Quai und die Boulevards müssen in friedlichen Zeiten ein
reizendes Bild abgeben, jetzt sieht man zwischen Rouener Schönen nur den
steif eingefrorenen Leutnant umher marschieren, denn mag
man uns für noch
so nett halten, steif sehen wir doch aus in unseren Hosen mit dem gleich
schenklichen Dreieck. Einliegend erhältst Du einige Photographien. Die
Statue ist vor dem Hotel d' Angleterre, wo der General wie der Leutnant
Austern um die Wette isst, bis keine mehr da sind. Es ist das eine doppelte
Ehre, den Clavot in unsere Hände zu bekommen. Auf der Seine fahren lustig
die kleinen Dampfer, Verbindung haltend zwischen uns und den Pariser
Vorposten. Da auf Frieden keine Hoffnung zu sein scheint, hoffe ich, wir
bleiben fürs Erste hier, dem einen rechten Feind haben wir doch nicht mehr
vor uns, und des zwecklose im Schmutz liegen ist langweilig. Sehr gut ist
unsere hiesige Ruhe für meine Wäsche, die in einem desolaten Zustande; ich
muss Strümpfe, (baumwollene), Hemden, Unterhosen, Alles haben. Letztere habe
ich mir schon angeschafft, auch Stiefel, eine Menge nöthige Kleinigkeiten,
sodass Du gewiss bald mal so gut bist, mir wieder ein wenig Geld zu
schicken. Wenn man Pakete schicken kann, bitte ich um Hemden (weisse),
Strümpfe (nicht wollene), Cigarren, welche nicht zu haben, eine Halsbinde
(Militair). Ich bin einquartiert bei einem reichen Kaufmann von echtem
Schrot und Korn, einem reichen Fabrikbesitzer, Herrn Gardian de Kerville,
Passage du Pont No.7, der keine Ideale kennt als Handeln, dem partout alles
einerlei, der Friede wünscht, auf dass er mehr verdiene. Nun er hat mir ein
sehr elegantes Zimmer eingeräumt und verpflegt mich, wenn ich bei ihm esse,
sehr gut, deshalb sei ihm sein flauer Patriotismus verziehen. Das sind die
rechten Krämerseelen. - Bitte grüsse Alle herzlichst und schreibe bald.
Heute werde ich genau die Stadt besehen, dann mehr.
Franz.
Auch
Handschuhe bitte mir zu schicken.
Schloss Vavat, den 4ten
Dez.70
Seino inferieure
Meine liebe Mama !
Wir hatten gehofft, uns in Rouen häuslich niederzulassen, da kam vorgestern
plötzlich der Befehl, das 1. Corps verbleibe in Rouen, wir aber marschierten
gen Dieppe; auch gut, des Ränzel gepackt, auf zum Ocean ! Wir hatten uns in
dem schönen Rouen prächtig amüsiert und marschierten leichtfüssig dem Meere
zu, am ersten Tag nach Maloney. Wer bei einem alten Pastoren, der sich durch
grossen Geist und möglichst schmutzige Hände auszeichnete, im Quartier. Ich
verhandelte mit ihm über Krone und Papst. Heute früh marschierten wir
weiter, und auf dem Marsche erhielten wir auf einmal Gegenbefehl. Dieppe sei
schon genügend durch eine Brigade besetzt, und so war es nichts mit dem
Meere, wir marschieren rückwärts, sollen nach Amiens oder Lille und sitzen
heute in einem hehren Ahnensaale am Kamin, wo einst gewiss normannische
Recken sich gewärmt. Ich habe mein Nachtlager im Boudoir der gnädigen Prau
aufgeschlagen, auf ihrem Schreibtisch schreibe Dieses und habe ihr eben ein
Entschuldigungswort, dass ich ihr Papier gebraucht, aufgeschrieben.
Einliegend noch einige Photographien, Erinnerungen an Rouen und Jeanne
d'Arc. Es schwirren ja auch wieder Waffenstillstandsträume in der Luft ?
Grüsse Alle.
Franz.
Der Schlossbesitzer heisst Delavigne. Sehr in
Eile, ich hatte noch nicht Zeit, dem Wilhelm zu antworten, es geschieht am
nächsten Ruhetag. Sowohl Dieppe als Havre sind von uns besetzt, die
Manteuffel'sche Armee ist aufgelöst, wir operiren jetzt nur als Corps.
Jeanne d'Arc Denkmal Rouen
Forges les Eaux, den 13.Dez.70
Mein lieber Wilhelm !
Du und Franziska dürft es mir nicht übel nehmen, wenn ich Euch in der
letzten Zeit weniger häufig schreibe. Es sind aber jetzt nicht mehr die
ruhigen Zeiten von Frescaty und Tournebride, wo man weiter nichts zu thun
hatte, als beim Sausen der Granaten Briefe zu schreiben und zu träumen von
der Heimat schönen Fluren, das letztere steht einem zwar auch jetzt auf dem
Marsche frei, aber da dieser oft ein forcierter, kommt man meistens
hundemüde im Quartier an, und habe ich dann genug zu thun, meinen täglichen
kurzen Bericht an Mama zu beenden, welcher übrigens auch immer für Euch ist.
Mama theilt Euch ja, wie ich aus ihren Briefen ersehe, pünktlich mit. In
Rouen wollte ich an Euch schreiben, ich kam aber nicht dazu, da man dort die
moralische Verpflichtung hatte, möglichst gut zu leben und die Stadt zu
besehen, zu durchlaufen an allen Ecken und Enden, das habe ich denn auch
redlich gethan und mich in der herrlichen Stadt famos amüsiert. Sowohl was
Naturschönheit als städtische Schönheit angeht, habe ich bis jetzt wenig
Bemerkenswertheres gesehen. Der Quai Bonaparte [Quai Napoleon, nicht
Bonaparte, später Quai de Paris] ist den Pariser Boulevards würdig an die
Seite zu stellen, und mit der Seinebrücke und ihrer herrlichen Aussicht kann
ich höchstens die Coblenzer Eisenbahnbrücke und die Züricher mit ihrem Blick
auf die Alpen vergleichen. Uebrigens mag auch meine günstige Ansicht von
Rouen daher kommen, dass ich in derselben nicht als Tourist, sondern als
Sieger einrückte, das ist doch ein ganz anderes Gefühl; dasselbe drängte
sich mir schon bei Metz und Reims auf. Gern wäre ich noch länger in Rouen
geblieben, um mir die durch Jeanne d' Arc berühmten Kirchen und Thürne im
Innern anzusehen, aber leider marschierten wir am dritten Tag weiter, um
nach Dieppe zu gehen, welches man stark besetzt glaubte, auf halbem
Wege aber erhielten wir Contreordre, denn Dieppe war garnicht besetzt und
langst in unseren Händen, nach Havre war schon die 17.Division detachiert,
und so werden wir das Meer nicht zu sehen bekommen und marschieren zurück
nach Amiens, um von dort vielleicht nach Lille weiter zu gehen, da sich dort
Theile der Nordarmee wieder gesammelt haben sollen. Auf jeden Fall ist
nichts Bedeutendes mehr zu erwarten, da die Armee Manteuffel aufgelöst und
wir nur noch als Division in uns operiren. Ich finde es zwar vom
französischen Volk recht schön und gut, dass es sich bis zum letzten
Blutstropfen vertheidigt, nur will es mir erscheinen, es musse bei einem
solchen Vertheidigen des Vaterlandes auch einer leitenden Idee bedürfen,
welche vernünftig genug sein müsste, einzusehen, dass mit Leuten, welche
keine Gewehre halten können, eher geschadet als genutzt werden kann. Paris
scheint doch länger als man erwartet bei Hundesalami und Rattenragout
ausharren zu wollen. Aber ewig kann das auch nicht mehr dauern. Wunderbar
erscheint mir nur, wenn Geschütz genug vorhanden, die grosse unbegreifliche
Milde unseres Königs, welcher Paris nicht bombardiert und die
Cernierungs-Truppen in Schnee verkommen lässt. Wir befinden uns in den
verschiedenen normannischen Schlössern für gewöhnlich ganz wohl, aber dieses
ewige Nachlaufen hinter einem meistens imaginären Feinde wird nachgerade
auch langweilig. Ich hoffe, das neue Jahr bringt uns den Frieden. Wie es in
der Welt aussieht, davon haben wir keine Ahnung, denn seit 8 Tagen haben wir
keine Zeitung mehr zu Gesicht bekommen und die Nachrichten per Parole-Befehl
sind zwar sohr officiell, aber daher umso spärlicher. Dein Kladderadatsch
war das letzte, was ich gelesen. Weihnachton steht vor der Thür, und unser
Weihnachtsbaum wird wohl dieses Jahr nicht in den Urwäldern der Heimath
gewachsen sein. Gern wäre ich bei Euch gewesen und hätte mich gefreut an den
strahlenden Augen der lieben Hohü beim Kerzenglanz und en der unschuldigen
Freude, dem lebhaften Händeausstrecken nach den Schätzen des Baumes, wie es
der edle Willy wohl machen wird. Aber das kann nicht sein, und man muss sich
glücklich schätzen, dass einem das für künftige Jahre bleibt, während so so
viele, viele, in Frankreichs kalter Erde ruhen, deren arme Kleinen
vielleicht auch ungeduldig die Händchen ausstrecken nach dem kahlen
Weihnachtsaum, den die trauernde Mutter vergass zu schmücken."Ja, grosser
Aristophanes des Himmels, schaurig gross, unbegreiflich gewaltig sind Deine
Entschliessungen, Deine Geschicke; der Mensch ist gar zu klein und muss
gehorchen", so würde Heine sagen, wenn der überhaupt in den Krieg gezogen
wäre. Seid recht vergnügt die Feiertage, und Du Franziska besonders, sei
gesund und mache im neuen Jahr keine dummen Krankheitsgeschichten mehr.
Grüsse mir Alle, Kalle, Thurneyssen etc.
Herzlichst
Euer Franz.
Forges les Eaux, den
13.Dez.70
Seine inferieure
Meine liebe Mama!
Wir haben Ruhetag.
Forges ist ein Mineralbad, dessen Thermen wenn möglich eine noch geringere
Heilkraft als die Schlangenbads zu haben scheinen, wenigstens ist die
Speculetion der englischen Gesellschaft, welche hier ein Badehaus
errichtete, als eine sehr verfehlte zu betrachten. Ich liege hier bei einer
alten Jungfer - Tante Nannchen, wie sie leibt und lebt, welche aber, ausser
dass sie mich an meine gute Tante erinnert und Besitzerin zweier Katzen aus
der ist, auch gar keine angenehme Eigenschafften aufzuweisen hat sie ist
geizig, und jeden zu verzehrenden Bissen muss man ihr wohl aus der Nase
ziehen. Ich habe alles angewandt, ihr zu gefallen, habe ihre alten Katzen
gestreichelt, ihr gesagt, der Grund, dass sie noch nicht verheirathet, liege
nur darin, dass an dem kleinen Orte kein Mann, der ihrer würdig, kämen erst
die Fremden mehr - ihr Geschäft ist, chambres garnis zu vermiethen - sie
würde gewiss bald unter Hymens Joch glücklich seufzen. Sie wurde freundlich,
wurde weich und warm, aber der Aufschwang ihrer zarten Gefühle gipfelte sich
in einem alten harten Huhn; was war zu machen, weiter konnte ich nicht
gehen, denn wenngleich Monate schon aus Deutschland weg, habe ich doch das
Wort Mephistos noch nicht vergessen: , Die ist im Stand, den Teufel selbst
beim Wort zu nehmen", Ich ass also mein zähes Huhn und gedachte unseres
biederen Divisionspredigers, welcher uns heute früh noch Geduld gepredigt
hatte. Ja Geduld mass man haben, die bringen einem die Herren Franzosen mit
ihrem ewigen vor uns herlaufen bei. Geduld müssen wir auch vor Paris haben.
Fürs Erste gehen wir jetzt nach Amiens. Meine verschiedenen Briefe und
Photographien aus Rouen hast Du, denke ich, erhalten, geschrieben habe ich
wenigstens durchschnittlich jeden Tag. Schade, dass Du mir Jetzt keine
Wäsche nach Rouen schicken konntest, vielleicht gehts nach Amiens, denn die
meinige fängt an zu leiden unter den Lasten des Krieges und zugrunde zu
gehen vor Schmutz und Alter. In den nächsten Tagen hoffe ich Briefe von Dir
zu erhalten, die Verbindung ist jetzt möglichst schlecht. wie ist die
Weinlese ausgefallen, und was macht Onkel Fritz ? Wie denkt der jetzt über
Russland ? Die Sympathien des nordischen Kaisers sind entschieden für unsere
Waffen, das documentiert er durch die Verleihung des Georgeordens an jede
Brigade. Macht Ihr Vorbereitungen für Weihnachten ? Kinder habt Ihr diesmal
genug, und Paulo ist für den Christbaum noch im richtigen Alter [geb.1862].
Will er mir nicht wieder mal schreiben ? Ich beschütz seine pauvres Prançais
immer noch wo ich kann, nur dann nicht, wenn sie mir sie schmeichelnd und
kriechend entgegenkommen, dann verdienen keine Milde. Tante Luise bitte ich,
Madame Dedekind und Sima zu grüssen. Wie seid Ihr eigentlich jetzt in Walluf
eingerichtet ? Wo wohnt Onkel Alex ? Hat Grossmama schon ihren Winterschlaf
angetreten ?, gib ihr einen herzlichsten Kuss. Seelig ist wohl Vikely, dass
sie ihre Freundinnen und Tante Nathalie, dass sie thren Paulo bei sich hat,
nur schade, dass der Grund ein so trüber. Wie sehr die arme Tante Nathalie
sich den Lauf der Ereignisse zu Herzen nimmt, weiss ich, bitte sage ihr, wie
ich den innigsten Antheil an Frankreichs Schicksal nehme, und dass ich aus
Erfahrung gesehen, wie ein grosser Theil des gebildeten Volkes würdig das
Unglück zu tragen weiss und wirklich noch Patriotismus besitzt. Friede !
Friede ! Danach schreit Alles und bald muss er doch kommen. Grüsse Alle
herzlichst.
Franz.
Spricht man wieder von Waffenstillstand ? Dass
unsere Forderungen jetzt geschärft sein müssen, ist selbstverständlich, wir
müssen uns sichern für die Zukunft. Die Furcht vor einem Bürgerkrieg nach
dem Frieden ist hier allgemein. Die Sympathien sind für den Comte de Paris.
Moliens, den 14ten
Dez.1870
Meine liebe Mama!
Gestern schrieb Dir sowohl als Wilhelm einen langen, möglichst geistreichen
Brief in der Ruhe, welche uns gegönnt, ich hoffe, beide kommen an, leider
ist in der letzten Zeit die Postverbindung etwas schlecht. Was sie mit uns
vorhaben, weiss Gott. Heute ist unsere Marschroute wieder verändert, wir
gehen nicht nach Amiens, sondern wahrscheinlich über Compiegne nach la
Ferté. Einige Offiziere, die heute von Amiens kamen, sprachen viel von
Waffenstillstand, wenn er nur kommen wollte. Vor Orleans scheinen ja
bedeutende Gefechte gewesen zu sein. Und unser König soll Kaiser werden !
Ohne Zeitungen sind wir die reinen Barbaren, oder richtiger, politischen
Kinder, kommt nicht bald ein Waffenstillstand, so muss man sich mal auf
einige Tage nach der Heimath evacuiren lassen, wie einer unserer Doktoren es
gethan, Es regnet scheusslich. Herzliche Grüsse an Alle.
Franz.
Crèvecour, den 15ten
Dez.1870
Meine liebe Mama !
Seit dem 29ten Nov, bin ich ohne Nachrichten von Euch und kann nicht
glauben, dass Du solange nicht solltest geschrieben haben, muss also
annehmen, dass verschiedene Posten in Feindeshand gerathen, was nicht
unmöglich, da in letzter Zeit viel unsrer kleinen Etappen abgeschnitten
wurden, dies auch der Grund, weshalb wir auf la Ferté und Clamart
marschieren. Heute bin ich mit meinen Zuge im Alarmhaus, war nicht angenehm.
Herzlichst an Alle.
Franz.
Etelfay, den 17ten
Dez.1870
Meine liebe Mama !
Immer noch keine Nachrichten von Euch. Gestern lagen wir in einem kleinen
Neste zu zwei Bataillonen. Unsre Karte, welche im hiesigen Departement
höchst mangelhaft, und das Nest, welches ihr zufolge 680 Einwohner haben
sollte, hatte nur 80, Wir sind jetzt die reinen fliegenden Kolonnen, laufen
hinter den Franzosen her und können sie nicht erreichen. Es ermüdet das
unsere Truppen sehr, umsomehr, da wir uns immer durch Feldwachen sichern
müssen. Ich bin bis jetzt noch nicht aufgezogen, da jetzt viele Jüngere als
ich an der Reihe sind, morgen wird mich mein Schicksal aber doch wohl
fassen. Heute ruhe ich in den weichen Betten eines Dorfschullehrers, bei
dessen Anblick es mir klar geworden, woher es kommt, dass der grösste Theile
des französischen Landvolks bei brillanten Anlagen so naiv und unwissend.
Merkwürdig ist, dass hier überall die Frauen grösser scheinen als die Männer
und stets den Pantoffel regierend führen.
Grüsse Alle und schreibt oft.
Herzlichst Franz.
Roye, den 19ten Dez.1870
Meine liebe Mama!
Ich
bezweifle sehr, dass in der letzten Zeit meine Briefe ihre Adresse
erreichten, will aber doch meinen eingefangenen Fleiss nicht versäumen und
gewissenhaft schreiben. Den Sternen sei das Schicksal des Kaisers dann
anvertraut. Gestern musste ich wirklich auf Feldwache, hatte aber noch ein
leidliches Los gezogen, da dieselbe nicht im Freien, sondern in einem
verlassenen Gehöft aufgeschlagen war, Immerhin ist jetzt das Institut der
Feldwache kein sehr angenehmes, besonders dann nicht, wenn dieselben, wie es
jetzt geschieht, gegen unsere eigenen Truppen ausgestellt, und somit ein
nutzloses Abarbeiten der Kräfte ist. Ein solches penibles Sichern unserer
Vorgesetzten ist wunderbar und spricht nicht für ihren persönlichen Muth.
Cavallerie-Patrouillen sind bereits bis Clamart vorgesprengt und ist deshalb
bis Donnerstag geräumt; auch Amiens ist wieder in unseren Händen.
Infolgedessen haben wir die Marschroute verändert und gehen auf Compiègne.
Die Taktik der Herren Franzosen ist sehr einfach, sie ziehen sich immer
zurück und zwingen uns, ihren verhältnismässig geringen Abtheilungen
grössere nachzuschicken. Ich hoffe, dieses hin und her hetzen im schönen
Frankreich hört bald auf, irgendwo müssen wir sie doch endlich zu fassen
bekommen. Paris scheint ja bombardiert worden zu sein, wenigstens glaubten
wir in den letzten Tagen Kanonendonner zu hören, wir sind aber seit Wochen
vollständig ohne Nachrichten, man wird nicht die offiziellen Lügenprogramme
als wahr annehmen wollen, welche hier im Volk bekannt gemacht, und nach
welchen Paris entsetzt, der König, Bismarck gefangen und der Kronprinz todt
sei. Ja, meinen Kaiser, meinen Kaiser gefangen, und das glaubt das Volk
alles aufs Wort, ich mochte wissen, ob man unseren biedern Deutschen auch
mit Erfolg solche Enten vormachen könnte, Auch von Dir ganz ohne Nachricht,
sehne ich mich mit Recht nach Briefen, und hoffe sehr, wenigstens zu
Weihnachten noch einen zu erhalten. Grüsse Alle herzlichst.
TFranz.
Quartier heute sehr gut bei reichem Fabrikanten, Erholung und Feldwache.
Caix, den 20ten Dez.
1870
Meine liebe Mama !
Kaiserlich Königliche Armee ! Heute früh endlich nach langer Zeit ward uns
durch einen Kameraden des 28ten Reg. in Zeitungsblatt zutheil, welches die
Nachricht enthielt, unser guter, braver König habe die Kaiserkrone
acceptiert. Deutschland sei wieder ein grosses Ganzes. Wie mich diese
Nachricht glücklich gemacht, kannst Du Dir nicht denken, sie war, wie alle
solche Momente, herrlicher Ersatz für alle ertragenen Strapazen, Mühen und
Plagen. Eine solche Minute, sie entschädigt einem für Vieles, für Alles. Sie
bringt einem die süsse Ahnung schöner, besserer Zeiten, in denen das
Vaterland glücklich aufblühen und zehren wird von den Lorbeeren, entsprossen
aus deutschem Blut auf Frankreichs Erde. Und ebenso dämmert einem in solchen
Augenblicken die Gewissheit, seine Schuldigkeit gethan zu haben, und wenn
auch nur als armseliger Frontoffizier sein bescheiden Scherflein beigetragen
zu haben zum Ruhm und Glück des Vaterlandes, zur Demiühigung des Feindes.
Und dieses Bewusstsein, es macht einen stolz, es macht einen gross und hilft
dem armen Menschenherzen hinüber über die traurigen Gedanken, die es ja so
oft im Zwielicht überkommen, besonders jetzt, da zu Hause der Weihnachtsbaum
geschmückt wird zur ernst-fröhlichen Feier; Gedanken, die einen aber
umklammernd zusammenziehen am frischen Grabe der Kameraden. Gestern begruben
wir erst wieder einen armen Offizier vom 44.Reg., der am 17. verwundet, ganz
allein in Roye mit seinem Burschen zurückgeblieben und gestorben. Keiner
folgte seiner Leiche, der ihn gekannt, nur wir, die unbekannten Kameraden,
warfen die erste Erde auf sein Grab, und zu Hause trauert um ihn vielleicht
eine ganze Familie. Kein Wort wurde an seinem Grabe gesagt. Der älteste
Offizier, an dem es gewesen wäre, ihm die Leichenrede zu halten, hielt das
nicht für nöthig; da konnte ich nicht anders, gegen alle militärische
Etiquette wagte ich es, ihm den Scheidegruss aus kameradschaftlichem Herzen
zuzurufen, das zog mir zwar, weil ich eingegriffen in die Rechte des Majors,
einen Verweis zu, doch das ist Wurst, ein solcher militärischer Cursus macht
einen viel dickfelliger.- Die franz. Lügendepeschen über Siege sind wirklich
lächerlich. In der "gazette de Montdidier" stand
unterm 15ten grosser
Sieg bei Roye, die Preussen sind entwaffnet, und Factum war, dass 15 franz.
Dragoner den im Lazareth liegenden Preussen die Waffen abgenommen hatten.
Armes, leichtgläubiges Volk, wie werden Euch die Augen noch aufgehen. Vor
Paris und Orleans ist es ja wieder hart zugegangen und hat viel Opfer
gekostet. Unser Oberst ist seit heute vom Dienst dispensiert und, wie man
sagt, wegen fortgesetzter Trunkenheit vor ein Kriegsgericht gestellt. Der
Verlust ist zu ertragen. - Grüsse Alle herzlichst, schreibe oft.
Franz.
Longueil, den
22.Dez.1870
Meine liebe, gute Mama !
Gestern erhielt ich zwei Briefe von Dir, einen von Wilhelm und einen von
Franziska. Du kannst Dir meine Freude denken. Ich habe den ganzen Abend
damit zugebracht, die lieben Zeilen zu lesen und wieder zu lesen. Es freut
mich, dass meine Wische wenigstens pünktlich ankommen. Man erwartet heute
einen Zusammenstoss, doch scheinen sich die Herren wieder zurückziehen zu
wollen. Bis Jetzt hatten sie die Lomme-Linie besetzt, scheinen aber ihre
letzte Zuflucht in Lille und Arras suchen zu wollen. Aus Hem und Peronne
haben wir sie ausgeräuchert. In Amiens hatten sie sich kleine Scherzchen
erlaubt, welche aber schnell gelegt wurden. Wir sollen uns morgen nördlich
Amiens ziehen, heute marschierten wir über das Schlachtfeld vom 26. und
27.Nov. und konnten das Terrain nochmals genau besehen, sie hatten auch
starke Positionen. - Der arme Onkel Fritz ist doch wieder ganz gesund ? Dass
ich mich auch auf den Augenblick des Nachhausekommens freue, kannst Du
glauben. Grüsse Alle herzlichst, seid vergnügt, auch an den Feiertagen.
Franz.
Franziska und Wilhelm
herzlichsten, innigsten Dank für Briefe und die niedliche Photographie. Hohü
bitte ich einen besonderen Kuss zu geben, dass sie für Onkel Franz ein so
lieb Gesicht gemacht hat.
Frechencourt, den
23.Dez.1870
Grosse Schlacht. Das
heftigste Granatfeuer. N.O. von Amiens. Feind geschlagen. Grosse Verluste.
Graf Littichau schwer verwundet. Ich wohl. Ich hoffe, die Feiertage haben
wir die Arbeit vollendet und Ruhe. Waren von 2- 7 im Feuer,
Herzlichst an
Alle.
Franz.
en 25.Dez.1870
Meine liebe Mama
Zwei
schwere, ereignisreiche Tage liegen wieder hinter uns. Zwei Tage lang waren
wir im Gefecht und hatten bedauernswerthe Verluste. Mich besonders hat es
tief geschmerzt, dass mein guter, braver Compagnie-Chef Graf Lüttichau einen
Schuss durch den Leib an meiner Seite erhalten. Wir, resp. hauptsächlich
unsere Artillerie, hatten den Feind aus seinen Positionen verdrängt, was mir
eigentlich unbegreiflich, da dieselben brillant und wir viel zu schwach, um
sie zu nehmen, doch scheint er viel Verluste erlitten zu haben und hat sich
heute auf Abbeville, Arras zurückgezogen. Wir pilgern natürlich hinterher,
und hatten heute das schreckliche Vergnügen, über das mit Leichen übersäte
Schlachtfeld zu marschieren. Der Anblick war schrecklich, Die meisten der
Gefallenen waren junge Leute von 17 - 18 Jahren oder alte Soldaten bis in
die 60. Ich bewundere diese Spannkraft des französischen Nationalgefühls !
Wir haben nur immer wieder das Vergnügen nachzulaufen, schönes
Weihnachtsvergnügen. Auch Allen Prosit Neujahr. Eine Karte schickte ich
gestern, eine vorgestern. Nächstens längere Briefe, sind heute im Alarmhaus,
deshalb wenig Zeit.
Herzliche Grüsse an Alle.
Franz.
Premicourt Pas-de-Calais
, den 27ten Dez.1870
Meine liebe Franziska !
Obschon ich in meinem Brief an Mama gesagt, ich würde Dir heute nicht auch
noch schreiben können, habe ich doch noch Zeit gefunden, ein wenig mit Dir
zu plaudern. Weihnachten, das schöne Fest, das wir so oft in harmloser
Freude zusammen gefeiert, ist vorüber, und wie verschieden verbrachten wir
es dieses Jahr. Du, arme Kinder beglückend, umringt von Hohü und dem edlen
Thronfolger, ich inmitten rauher Musketiere, als einzige Gabe feindliche
Geschosse erhaltend. Ja, es waren schwere Tage für uns der 23. und 24., mich
persönlich beschützt zwar bis jetzt ein freundlicher Geist, aber sehen zu
müssen, wie die Edelsten und Besten gerade dem Kriege zum Opfer
fallen, das zerreisst einem das Herz und würde einen verzweifeln machen,
wäre man nicht so sehr von der Heiligkeit der Sache durchdrungen. Wir leben
jetzt in einer steten Aufregung, und ich kann mir denken, wie oft Du liebe,
gute Schwester an mich denkst. Aber ängstige Dich doch nicht so sehr, wir
wollen hoffen, mein Schutzgeist verlässt mich nicht, ausserdem schiessen
auch die Herren im Grunde genommen herzlich schlecht. Nur ihre Artillerie
ist gut, des muss man sagen, aber die Granaten machen mehr Lärm als sie
wirklich schaden. Dass es Dir immer noch nicht besser geht, ist ja
schrecklich. Nun der Winter wird ja vorübergehen, und eine Badekur wird Dir
gut thun. Die niedliche Photographie von Hohü hat mir grosse Freude gemacht,
gib dem lieben Mädel einen herzlichen Kuss. Der Kleine sieht sehr ernst und
gesetzt aus, wenn er schon weiss, wer der Onkel Franz ist, grüsse ihn von
demselben. Seit dem Briefe mit der Photographie bin ich wieder ohne
Nachricht von Euch, auch ohne Zeitungen. Wir bekommen beim Vormarsch nichts,
und dann später alles an einem Tage. Hast Du wirklich, wie Du vermuthet, die
Feiertage bei Dir zu Hause zubringen müssen, auf jeden Fall hast Du denn
aber Gesellschaft gehabt, besonders Deine treue Pflegerin Jon. Holm hat Dich
gewiss nicht vernachlässigt. Grüsse bitte die ganze Familie Kalle bestens.
Sage Wilhelm, ich würde den Sylvester-Abend lieber bei ihm vorbringen, ein
Glas No. 13 trinken und eine feine Havanna rauchen. Das geht nun freilich
nicht. Ich werde hier den Abend in einer Bauernhöhle in Glas steifen Grog
auf Euer Wohl trinken und mich zu Bett legen mit dem Bewusstsein, ein
grosses Jahr in der Geschichte Deutschlands miterlebt zu haben. Wir wollen
hoffen, dass dann im nächsten Jahre uns mehr Ruhe beschieden sei und wir die
Früchte unserer Siege in Frieden geniessen können. - Prosit Neujahr
Beschreibung der letzten Tage, siehe Mamas Brief.
Franz.
Frémicourt, den 27ten Dez.1870
Meine liebe, gute Mama !
Die schönen Weihnachtstage sind vorüber und dieses Fest, das von Kindheit
auf jedem Deutschen als das schönste eingeimpft ist, ist für uns Alle dieses
Jahr ein trauriges und trübes gewesen. Am 23. des Morgens marschierten wir
von Longeau aus östlich von Amiens gegen das Dorf Querrieu los [etwa 10 km
nordöstlich von Amiens], denn es war uns der Befehl geworden, dieses Dorf
sowie Frechencourt und St. Gratien sollten von unserer Division
(Kummer;
Goeben commandiert das Corps und Manteuffel, der in Rouen, hat mit uns
nichts mehr zu thun) genommen werden. Wir marschierten also auf einer das
Dorf Querrieu dominierenden Höhe unter dem Schutze unserer Batterie auf, und
es entwickelte sich vor uns ein herrliches Schlachtenbild, das aber durch
seinen schauerlichen Ernst ein sehr trauriges wurde. Auf der
gegenüberliegenden Höhe war eine feindliche Batterie aufgefahren, welche
genaues Ziel nahm; in und um unsere Batterie schlugen immerwährend die
Granaten ein. Links von uns stürmten die 33. und 65. das Dorf St.Gratien und
rechts galoppierte auf der Strasse eine unserer reitenden Batterien heran,
.um ,der anderen Ersatz zu bieten. Es war ein majestätischer Eindruck, der
Donner der vielen Geschütze und das Hurrah der stürmenden Soldaten. Als
unsere Batterie die feindliche Position etwas mürbe gemacht hatte, erhielten
auch wir den Auftrag, Querrieu zu nehmen. Wir gingen mit fliegenden Fahnen
vor, und zwar im tollsten Feuer, denn die Batterien nahmen jetzt natürlich
Ziel auf uns. Glücklicherweise verloren wir aber, da wir in stetigem
Vorgehen begriffen, wenige und kamen nach kurzem Gefecht ins Dorf, da es
nicht in der Absicht des Feindes lag, dieses zu halten, derselbe sich
vielmehr auf die dahinterliegenden Höhen zurückzog. Wir besetzten das Dorf,
und bis zum späten Abend dauerte das Feuer, und da es dunkel wurde, bewarfen
sie uns sogar mit Leuchtkugeln !, brillantes, vernichtendes Feuerwerk. Die 3
Stunden, welche wir hier wehrlos im Dorf standen, waren schrecklich, denn
ist man in Vorgehen begriffen, hat man Gelegenheit selbst zu schiessen, des
Gewehr zu gebrauchen, so hilft einem die Begeisterung, aber gegen die
unerbittlichen Granaten hilft kein Gott, gegen sie feuert man unnötigerweise
sein Gewehr los. Es gehört eine eiserne Disciplin dazu, in solchen Momenten
die Leute aufrecht zu halten, und man muss sich persönlich ungeheuer
zusammennehmen. Unsere Leute standen hinter einem Gebäude gedeckt, wir aber,
mein braver, tapferer Graf und ich, gingen natürlich, um ihnen Muth zu
machen, auf der offenen Strasse ruhig hin und her und unterhielten uns, bis
eine unglückselige Kugel angeflogen kam und ihn in den Unterleib traf. Es
hat mir nicht oft in Leben etwas einen grösseren Stich ins Herz gegeben, als
diese Verwundung meines braven, tapferen Kapitain. "Wenn ich nicht davon
komme, grüssen Sie meine Frau, und vor allem, halten Sie die Compagnie" rief
er mir noch zu, und sie trugen ihn weg. Ich war in dem Augenblick so
wüthend, dass ich am liebsten den feindlichen Berg hinaufgestürmt wäre und
jeden Kerl selbst erstochen hätte. Aber es galt, Kaltblütigkeit zu behalten,
denn ich hatte die Compagnie zurückzuführen. Den Berg zu stürmen, war uns
untersagt, denn es wäre das schwierig gewesen, weil Sümpfe uns von ihm
trennten und weil man auch kein zweites Spichern aufführen wollte [im August
1870 hatten deutsche Truppen bei Spichern, in der Nähe von Saarbrücken,
französische Artilleriestellungen, die auf Hügeln postiert waren, gestürmt
und dabei doppelt so hohe Verluste hinnehmen müssen, wie die Franzosen]. Als
um neun der Kanonendonner schwieg, gingen wir in ein in der Nähe liegendes
Schloss und bivouaclerten dort im Hofe. Ich besuchte den Graf Lüttichau
nochmals, ehe man ihn nach Amiens ins Lazareth brachte. Gott weiss, ob er
davon kommt, die Kugel sitzt im Becken und kann nicht herausgeschnitten
werden [Bernhard von Lüttichau 1836-93] und mass sich ruhig senken. Am 24ten
Morgens früh verschanzten wir uns in den Dörfern, schossen uns auf den
Vorposten etwas herum, bekamen auch einige Granaten. Doch geschah
nichts,
da Wir strikten Befehl hatten, nur die Stellung zu halten, aber nicht
vorzugehen, weil man erst die Ankunft der 14. Division, welche den Feind
umgehen sollte, erwartete. Am 25ten sollte dann die Entscheidung geschlagen
werden, Am Abend wurden wir von Vorposten abgelöst und gingen nach St.
Gratien ins Quartier, resp. in verwüstete, halb verbrannte Häuser. An etwas
zu essen war nicht zu denken,
wir hatten seit 2 Tagen nichts gehabt als
das wenige Brot, welches wir mithatten, war steinhart gefroren, denn es ist
bitter kalt. Dazu die Aussicht auf eine grosse Schlacht. Das war unser
Weihnachtsabend, und kannst Da Dir denken, dass ich nicht gerade heiter am
Feuer sass, besonders da ich allein war, zum erstenmal im Feldzuge ohne
meinen braven Kapitain. Ein junger Leutnant hat diesen Posten jetzt
bekommen, und ich bin einziger Offizier ausser ihm. Der Verlust an
Offizieren ist ganz unverhältnismässig gross. Wir haben wieder
4 tödtlich verwundete und 2 leicht
verwundete. Am 25ten morgens schon bereit vorzugehen, brachten Patrouillen
die Nachricht, der Feind habe sich abgezogen. Er hatte viel mehr verloren,
als wir geglaubt hatten, und der Rückzug war ein ungeordneter gewesen, des
sehen wir an den vielen Leichen, Marodeurs, die wir auf unserem Vormarsch
fanden. Selbst Verwundete lagen noch auf kalter Erde und waren fest ebenso
erstarrt als die Todten. Es ist schrecklich ! Wir marschierten weiter und
dankten Gott, dass er uns diesmal wieder beschützt, und dass wir wegkamen
aus den verwüsteten Dörfern des Schlachtfeldes. Ueberall begegneten uns
Bauernfamilien, welche mit Kind und Kegel geflüchtet waren vor dem Donner
der Geschützt, sie kehren zurück, aber leider viele zum Grabe ihrer Habe.
Wir marschierten bis Albert, und waren froh, dort zu essen und ein Bett zu
finden, und beschlossen den ersten Feiertag ganz vergnügt, ja sogar hatten
wir einen Christbaum ! Mein neuer Compagnie-Führer hatte von seiner
Schwester in einem Briefe einen Christbaum, nicht grösser als eine Hand, mit
kleinen Lichtern geschickt bekommen, den steckten wir an. Und so unscheinbar
er war, dies milde Bild nach all dem Greul der letzten Tage that uns
ungeheuer wohl. Wir sind beide, keine sentimentalen Kerle, aber uns beiden
liefen die Thränen die Wangen herunter, wir drückten uns stumm die Hand und
dachten der Heimat, unserer armen Kameraden in kalter Erde und derer, die an
den schönen Weihnachtstagen uns sonst bedacht und auch jetzt vielleicht ein
wenig unsrer gedachten. Gestern marschierten wir weiter bis hierher, einem
Dorfe in der Nahe von Bapaume, wo sich die Strasse nach Arras und Lille
zweigt. Die Franzosen sollen sich auf beide Festungen zurückgezogen haben.
Heute haben wir hier Ruhetag. Ich hoffe, das Nachlaufen hat bald ganz ein
Ende. Wir merken auf unseren Märschen jetzt sehr die Nähe der kalten
Seeluft, ich bin immer mit Franziskas Kaputze bewaffnet. Wird das Neujahr
keine Aenderung bringen, keinen Frieden ? Ich kann leider auch heute
Franziska nicht extra schreiben, um für die Photographie der Kinder zu
danken, denn trotz Ruhetag habe ich nicht Ruhe, musste heute früh im
nächsten Dorf requiriren und habe die Nacht Ronde. Ich bin froh, dass ich
diesen Brief zu Stande habe. Auch Grossmama nimmt mirs nicht übel, dass ihr
nicht zu Neujahr gratuliere, Meine Briefe sind aber für jeden von Euch, der
gut genug ist, Interesse an mir zu nehmen. An den beiden Gefechtstagen
schickte ich Dir Karten; hast Du sie erhalten ? Wie habt Ihr die Feiertage
verlebt ? Ich hoffe, bald höre ich von Euch. Onkel Fritz ein ganz besonderes
Prosit Neujahr, ich bitte ihn, am Sylvester ein Glas Grog auf mein Wohl zu
trinken. Ich trinke was ich habe auf Euer Aller. Grüsse Alle herzlichst,
besonders die Kinder, euch Franz. Hat er meinen Brief bekommen ? Franziska
innigen Kuss.
Herzlichst Franz.
Frémicourt, den 28ten
Dez.1870
Meine liebe Mama!-
Wir
haben bereits heute den zweiten Ruhetag hier und versenden nach Voraus nur
kleinere fliegende Kolonnen, woraus man entnehmen kann, dass es wohl nicht
in den höheren Interessen liegt, weiter vorzugehen, umsomehr, da
ausgesprochenes Ziel unserer Armee ist, nicht die Nordarmee vollständig zu
vernichten, sondern nur dieselbe von Paris abzuhalten. Man spricht allgemein
von Winter-Quartieren bei Amiens. Gestern schrieb ich Dir und Franziska zwei
lange Briefe. Ich hoffe, der Husarenoffizier, dem sie zu Besorgung
übergeben, hat dies nicht versäumt, und erhältst Du bald Nachricht.
Grüsse Alle herzlichst.
Franz.
Fremicourt, den 29ten
Dez. 70
Liebe Geschwister !
Bereits der dritte Tag, den wir unthätig hier liegen. Heute erhielt ich drei
Briefe von Buch nebst Cravatte, Handschuhen und 20 Frs. Ihr seid wirklich zu
lieb. Für alles, alles meinen herzlichsten Dank. Was aus uns jetzt werden
wird, ist mir unklar. Die Festung Péronne ist gestern und heute heftig
bombardiert worden, und wird, nach dem Schweigen der Geschütze zu urtheilen,
wohl heute capituliert haben, also haben wir dort nichts mehr zu thun.
Rücken wir wirklich noch vor und nehmen nicht bei Amiens Stellung, so wird
unser Weg wohl nach Arras führen, das Gewiss noch besetzt ist. Gestern ging
das Lügengerücht, Paris habe capituliert. Natürlich glaubten wir es nicht,
denn es nimmt nach und nach den Anschein, als werde die Geschichte noch ewig
lange dauern. Wir erhalten soeben die Nachricht, dass vom 14ten-21ten Januar
Pakete, enthaltend Bekleidungsstücke für Offiziere, angenommen werden.
Könntet Ihr wohl Mama bitten, mir dann durch Eure Vermittlung Unterhosen,
leinene, womöglich bunt, Hemden, Stiefel und Tuchhosen zu schicken. Wie sehr
sich Hohü zu Weihnachten gefreut haben mag, kann ich mir denken. Ich hoffe,
Ihr schickt mir nächstens eine Beschreibung der Feier. Ein Glück, dass
Franziska sich die Tage über besser fühlte. Waret Ihr bei der Bescheerung in
Walluf ? Meinen Brief mit der Beschreibung meines Christfestes habt Ihr
bekommen. Freundlichst geschickte Kugeln sind auch ein Christgeschenk. Mein
armer Graf Lüttichau liegt in Amiens, und soll es ihm nicht gut gehen. Die
arme Frau Bauer bedauere ich sehr. Herr Besser schreibt mir, Alfred sei ganz
traurig. Im übrigen leben die vor Paris ganz gut. Wenn morgen Ruhetag habe,
mehr. Heute bin ein wenig aufgeregt zum Schreiben.
Grüsse die Kinder
herzlichst.
Franz.
Frémicourt, den 30ten
Dez.1870
Meine liebe Mama !
Wir sitzen immer noch in
unthätiger Ruhe in diesem langweiligsten Bauerneste Nordfrankreichs. "Es
weht ein anderer Geist durch unser Haus". Dieser Spruch der alten
schottischen Ballade fällt mir peinigend immer und immer wieder ein in
diesen trüben Tagen der Ruhe. Es weht ein anderer Geist, ein fremder Geist
durch unser Haus seit mein tapferer, guter Graf verwundet. Die bunten
Wechselbilder des Krieges lassen jeden, auch den lautesten Schmerz und
Verlust, weniger dauernd wirken, sie rücken die Ereignisse des vergangenen
Tages mit hurtiger Geschwindigkeit in das Bereich grauer Vergangenheit -
,wie nachhaltende Accorde längst verklungener Sagen tönen sie uns in die
Gegenwart hinein. In diesen Tagen der faulen Ruhe aber, in ärmlicher
Bauernstube, am flackernden, rauchenden Kamin, da schmerzt die alte
Todeswunde, da tritt ein jeder Verlust der letzten Wochen greller vor das
Auge der Seele, da packt einen ein wilder Schmerz über das unbarmherzige
Schlachtenschicksal, das die Edelsten und Besten gerade verschlingt. Den
ganzen Feldzug waren wir jeden Tag zusammen gewesen und jetzt liegt der Arme
schwer verwundet in Amiens und ich sitze hier allein, sechs waren wir
ausgerückt aus Mainz und ich bin allein übriggeblieben. Der arme Frohwein
ist todt, der Graf verwundet, die übrigen krank im Lazareth. Dass mich das
alles nicht lustig stimmt, besonders wenn draussen Schnee und Sturm wüthen
und auf Holzschuhen klappernde Bauern einzige Gesellschaft sind, kannst Du
Dir wohl denken, denn mein Compagnie-Führer ist zwar ein herzensguter,
biederer Mann, aber es weht ein anderer Geist. Dass ich soviel wie möglich,
soviel es in meiner Kraft steht, den alten Geist aufrecht erhalten werde,
das habe ich Lüttichau in die Hard geschworen, und ich hoffe, unsere Kerle
haben soviel für "ihren Grafen", wie sie ihn nannten, übrig, dass sie mir,
kommt es nochmals zu Action, willig folgen. Im Lazareth hat Lütticheu das
eiserne Kreuz, das er seit Wochen mehr verdient als irgend einer, allen
Chicanen entgegen endlich von General Strubberg selbst bekommen. Die Thränen
sollen ihm bei der Ueberreichung aus den Augen gestürzt sein, es freut mich
innerlich, dass diese Anerkennung ihm zutheil geworden. Gott gebe, dass er
wieder gesund werde ! Deinen langen ausführlichen Brief, sowie drei von den
lieben Biebrichern, habe ich gestern erhalten, es war das meine Nachfeier
des Weihnachtsfestes. Also Ihr habt am heiligen Abend auch nicht lustig sein
können ? Was macht denn die gute Grossmama [evtl. Antoinette Friderica
Chamot 1789-1871] für Geschichten. Beruhigt hat mich, dass es ihr wieder gut
geht. Ihr werdet nun wohl am russischen Feste [die Großmutter wurde in Riga
geboren, die Mutter in St.Petersburg], - wo sonst der Baum nochmals zu
brilliren pflegte, zum letztenmale, um dann von uns hungrigen Wölfen unter
Tante Luisens strenger Aegide seines Schmuckes zu Gunsten unseres Magens
beraubt zu werden - , dieses Jahr die Hauptfeier halten, Franziskas Freude
bei der Bescheerung kann ich mir denken. Also der Rhein ist zugefroren und
die Jugend läuft Schlittschuhe, wie Vikely mir sagen lässt, läuft sie, das
sehr gnädige Fräulein, denn nicht mit ? Ist das der Fall und steht sie nur
als strenge Handhaberin der Kritik lachend am Ufer, so kann sie mir wohl
mittheilen, wer von den fleissigen Läufern am öftesten die Eisdecke küsst ?
Doddel ist ja seit langem par force Läufer. Paulo steht ihm wohl nicht nach,
und Mathilde mit angeborener Grazie läuft gewiss die elegantesten Figuren
und Achten. Emma, war zwar nach früheren Nachrichten gerade keine
Grönländerin in Betreff des Schlittschuhlaufens, doch ist seitdem bereits
eine lange Zeit vergangen. Also wer fällt am häufigsten ? schwer zu lösende
Frage. Ich überlasse die Antwort vollständig Vikely's strenger Kritik ! Ich
lief hier auch gerne Schlittschuhe auf Frankreichs eisigen Fluren, leider
steht mir aber nur der landesübliche Holzschuh zur Disposition, und auf
diesen mit den Dorfschönen Eisquadrillen zu tanzen, dazu ist die Zeit zu
ernst. Was mit uns werden soll, ist schwer ersichtlich, fürs Erste
beschränken wir uns, grössere Patrouillen nach Amiens, d.h. gegen Arras und
Cambrai zu schicken, welche mit der Meldung zurückkommen, nichts vom Feinde
gesehen zu haben, wir nehmen hier fürs Erste eine defensiv Stellung ein und
scheint es, als ob wir später nach Amiens und Umgegend zurück sollten, um
dort Winterquartiere zu beziehen. Es ist uns die Nachricht geworden, dass
vom 14ten - 21 ten Jan. für Offiziere und Militairbeamte Pakete mit
Bekleidungsstücken angenommen werden, und bitte ich Dich daher mir zu
schicken:
Hemden, leinene, bunte
Unterhosen
Taschentücher
Hohe Stiefel
1 Paar Bukskinhosen [aus
einem elastischen Wollstoff], recht dick
1 Mütze.
Bitte nichts anderes
als Bekleidungsstücke hineinzulegen, da der Befehl so lautet. Nimmt die Post
direkt nichts an, so schicke es unter meiner Adresse an das Ersatz-Bataillon
68 nach Coblenz. Die letzten Pakete aus Metz sind nicht angelangt, sondern
sie gehen an Euch zurück. Onkel Fritz bitte ich besonders zu grüssen, ich
hoffe, er ist wieder ganz gesund und schreibt nächstens einmal. Die
herzlichsten Grüsse an Alle, besonders die Jugend. Was macht Franz ? Habt
Ihr noch Nachrichten von Paul Jacot ? Schwedler ist ein früherer Bekannter
von mir, dem Du, wenn er sich für mich interessiert, meine Adresse geben
kannst. Nach Nachrichten von Herrn Besser scheint es der jungen Frau Bauer
schlecht zu gehen. Grüsse die Arme, wenn Du sie siehst. Alfred geht es gut.
Von Eugen weiss nichts, Ich glaube, er ist in Orleans. Franziska schreibt
von Wiesbadenern, die gefallen, der arme junge Haas war ein Schulkamerad von
mir. Prosit Neujahr !
Franz.
Besonderen Gruss auch Onkel Alex und
Tante Nathalie und Glückwunsch zum Neujahr.
Nachtrag
zu den
Kriegsbriefen aus dem Jahre 1870
von Franz Kniesling.
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Dies war der letzte Gruss,
den die treue, liebe Hand uns sandte, darauf folgten Tage der Angst und
bangen Sorge. Die Zeitungen brachten die Kunde von schweren Kämpfen bei
Bapaume, bei welchen wir grosse Verluste zu verzeichnen hatten, und es kam
keine beruhigende Karte wie nach den früheren Schlachten aus Feindesland.
Trübe Ahnungen und Befürchtungen quälten uns Tag und Nacht. Am 14ten Januar,
an einem Samstag, brachte uns die Morgenpost beifolgende erschütternde
Nachricht:
Coulmier, den 8.1.1871
Euer Wohlgeboren
theile ich
mit tiefem Bedauern mit, dass der beim 68sten Infanterie-Regiment
commandirte Vicefeldwebel Franz Kniesling in dem Gefecht bei Bapaume durch
eine feindliche Kugel, in den Kopf getroffen, den Heldentod für König und
Vaterland gestorben. Seine Begräbnisstätte ist der Kirchhof zu Bapaume. Das
Offizierscorps betrauert in ihm einen treuen, tapferen Kameraden, der in
seiner Pflichttreue Allen ein schönes Beispiel war und wegen seiner
Bescheidenheit allgemein geliebt wurde. Es ist demselben umso schwerer,
diesen schmerzlichen Verlust seinen Angehörigen mitzutheilen. Leider fehlt
mir die Adresse der Nächsten desselben. Da ich in Erfahrung gebracht, dess
Euer Wohlgeboren demselben nahestehen, so richte ich im Namen des
Offizierscorps die Bitte an Sie, unser tiefes, schmerzliches Gefühl und
Beileld den nächsten Angehörigen des Dahingeschiedenen auszudrücken
und denselben zu versichern, dass sein Name dem Regiment ein werther. und
theurer verbleiben wird.
Mit der grössten Hochachtung habe ich die Ehre
zu sein Euer Wohlgeboren
v. Olszewsky, Major.
Eclusier, den 5ten
Januar 1871
Hochzuverehrender
Landrath !
In der sicheren Voraussetzung, dass es für Sie und die
Bewohner von Gummersbach nicht ohne Interesse sein wird, habe ich die Ehre,
Ihnen die für unser Offizierscorps sehr traurige Nachricht mitzutheilen,
dass in der Schlacht bei Bapaume, am 3ten dieses Monats, am Dorf Taroseuil
der Vicefeldwebel Franz Kniesling durch einen Schuss in die Stirne getödtet
worden ist. Wir Alle hatten den jungen Marn sehr lieb gewonnen und werden
ihm ein ehrendes Andenken widmen. Das Gefecht am 2ten machte er bei meiner
Kompagnie (der 1sten), der er von Anfang der Mobilmachung angehörte, mit,
und wurde am Morgen des 3ten in die Kompagnie, bei der er geblieben ist,
versetzt. Indem ich Sie bitte etc. etc.
Bahn-Premierlieutenant und
Kompagnieführer.
Franz wer, ehe er
eingezogen wurde, in Gummersbach bei einem Bergwerke betheiligt und hatte
sich dort Freunde erworben, deshalb fühlte sich obiger Offizier gedrungen,
diesen Brief dorthin zu richten, wo die Todesnachricht mit wahrer Trauer
aufgenommen wurde.-.
Der Dahingeschiedene hatte es bei vielen
Gelegenheiten geäussert, ehe er von Mainz ausrückte, er finde es so hart, in
kalter, fremder Erde den langen Schlaf zu thun. Als der Waffenstillstand
eintrat, Anfang Februar, entschloss sich mein treuer Mann, Wilhelm Kalle,
und der gute Onkel Moos die gefährliche Reise nach Bapaume anzutreten, um
die Leiche des tapferen Helden in der Heimath zu betten. Mit vielen
Schwierigkeiten hatten die Lieben zu kämpfen. An einem sehr kalten,
freundlichen Sonntag Morgen in aller Frühe erlaubte der Maire
[Bürgermeister] ihnen, einige Stunden zu graben und ein Massengrab zu
öffnen. Ein Todtengräber war zugegen vielleicht der Mann, dessen Hand die
tödtliche Kugel gesandt; denn die ferme, die sie am 3ten nehmen mussten, war
mit franctireurs gefüllt und der Mann wusste zu guten Bescheid. Dem sei nun
wie es wolle, er half die Leiche finden, der zwölfte Todte zeigte seine Züge
- ganz braun, aber völlig kenntlich. Eine ganze Salve hatte ihn getroffen,
als er der Compagnie voraus, den Säbel hoch, Lieder singend (um die
Mannschaft anzufeuern), der ferme zustürmte. In kurzer Zeit war sie denn
genommen. Unter mühevoller Rückreise langten die lieben Herren am 14ten
Februar Abends in Walluf an. Zuletzt drohte noch ein Eisenbahnzusammenstoss
ihrem Leben verhängnisvoll zu werden. Aber der treue Gott beschützte sie,
und so kamen sie unversehrt in der Heimath an, von dem innigsten Danke
begrüsst. Wenn es den Dahingeschiedenen vergönnt ist, unser irdisches Thun
zu erkennen, so strömte gewiss treuer Segen auf die Häupter dieser wahren
Freunde ob dieser grossen Liebesthat.
Die Wallufer jungen Leute trugen
den theueren Sarg von der Bahn in die stille, traute Wallufer Kirche. so
feierten wir das Wiedersehen, von dem er so oft freudig geträumt und das die
Liebe im Geiste oft so schön ausgeschmückt.
Am 17ten Februar, Morgens 10 Uhr, fand in der Kirche ein Todtenamt vor dem Sarge statt, dann folgte das feierliche Begräbnis in die helmathliche Erde. Das ganze Dorf, Alt und Jung, alle Verwandten und Freunde gaben demlieben Verklärten das letzte Geleite. Eine Kompagnie Infanterie mit der Musik aus der Unteroffizierschule aus Biebrich eröffnete den traurigen Zug; nach der kirchlichen Einsegnung gaben die Soldaten dem todten Kameraden die Ehrensalve ins stille Grab.- Die Gemeinde gab ihm auf dem Friedhofe den Ehrenplatz, der immer dem Pfarrer gebührt, welcher aber gerne für seinen früheren Schüler darauf verzichtete. Da ruht er nun schon 25 Jahre auf dem geweihten Boden, beschattet von einer Trauerweide, unter dem Schutze des grossen Kirchhofkreuzes [ich habe das Grab auf dem Wallufer Friedhof gesucht und mich auch an die Friedhofsverwaltung gewandt, das Grab ist nicht mehr erhalten]. An der theueren Ruhestätte hält die Liebe treue Wacht und in den Herzen der Seinen wird die Erinnerung an den lieben, tapferen Menschen, guten, braven Patrioten ewig fortleben.
---
Einige Wochen später
ward vom Regimente sein Koffer gesandt, mit der Mittheilung, man habe der
Leiche die Uhr und einliegendes Notizbuch abgenommen und beigefügt. Das
unscheinbare, kleine Büchelchen brachte uns seine letzten Worte, in Eile auf
dem Marsche zum Tode geschrieben. Er hatte es in der Schlacht von Amiens
einem todten, französischen Offiziere abgenommen, in der Meinung, es
vielleicht durch Zufall der Familie zurückerstatten zu können. Als er am
3ten Morgens das Kommando erhielt, erhielt, die ferme [Einsiedlerhof],
angefüllt mit franetireurs, zu nehmen, da schrieb er im Gehen auf eine Seite
unter die französischen Notizen: "schaurig süsse Ahnung, mein Scherflein für
Vaterlands Grösse."
Mit diesem hehren Gedanken
im Herzen starb er den Heldentod.
Friede, süsser, trauter, sei mit ihm! -
Amen,
gez. Franziska Kalle.
In Frankreich ist der Krieg von 1870/71 noch viel präsenter, als bei uns in Deutschland und so stellten im Januar 2016 in historische Uniformen gekleidete junge Bapaumer, Mitglieder des Vereins La Cartouchiére (die Patronentasche) das französische Lager vom 03.Januar 1871 nach.
Aber auch im Rheingau ist das Thema "1870" wieder ein bißchen in den Blickpunkt gerückt, denn drei Wochen nach dem Erscheinen meines Artikels im Internet, hat eine Rheingauer Zeitung das Thema aufgegriffen und einen Artikel über Franz und seine Briefe erscheinen lassen.
Kriegerdenkmal in Eltville Februar 2024
Eltville war der Geburtsort
von Franz