Alexander Ruhe: 1907 - Die wandernde Eibe des Doktor Senckenberg und die Nitribitt. Juni 2024

                                           Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

 

Zu Anfang des 20.Jahrhunderts war das ehrwürdige Senckenberg Stift an seine Grenzen geraten, man brauchte mehr Platz. Man hatte schon das Bürgerhospital verlegt, das Naturkundemuseum und die Bibliothek sollten in Bockenheim, als Nukleus einer neu zu schaffenden Universität neu errichtet werden und auch der Botanische Garten wurde verlegt, neben den Palmengarten. Mit den kleineren Pflanzen war das kein Problem, schwieriger wurde der Umzug für die mächtige Eibe, die neben der Bibliothek stand. Fällen wollte man sie nicht und in Berlin und auch in London hatte es zuvor einige spektakuläre Baum-Umzüge gegeben und die wollte Frankfurt nun toppen - die Senckenberg-Eibe sollte nicht nur um ein paar dutzend Meter, sondern um 3,5 Kilometer umziehen und das hatte es zuvor noch nie gegeben!

Die Eibe neben der Bibliothek in noch unbeschnittenem Zustand, im Hintergrund der Eschenheimer Turm

Man hatte einen Baumumzugsspezialisten aus England kommen lassen, der bestätigte, dass die Eibe den Umzug wohl überstehen würde und man schritt zur Tat! Schon 1905 wurde ein Graben um den Baum gezogen und die Wurzel gekappt, so dass der Baum neue Wurzeln im Innenraum eines 4x4x2m großen Blockes bilden konnte. Man hatte berechnet, dass der Baum-Umzug drei bis vier Tage dauern und 8000,-Mark (mehr als 2,7 Kilo Gold) kosten würde. Da die Senckenbergische Stiftung diesen großen Betrag nicht über ihren Krankenhausfond stemmen wollte, war Geld dafür gesammelt worden.

Tatsächlich hat der Umzug dann aber nicht drei Tage, sondern mehr als drei Wochen gedauert - besonders Richtungsänderungen, mit den auf Balken laufenden Stämmen aus hartem Hickory-Holz hatten sich als extrem zeitaufwendig erwiesen, außerdem waren Straßenbahnschienen und -Oberleitungen ein Problem ,der Baum blieb auch an anderen Bäumen oder an Balkonen hängen. Auf Rädern hätte man den 45 Tonnen schweren Baum nicht transportieren können, dann wäre er wohl in die Kanalisation eingebrochen und auch die Straßenbahn war für ein solches Gewicht nicht ausgelegt, zudem man die Eibe dann hätte kippen müssen, man wollte sie nämlich aufrecht transportienen, um sie möglichst wenig zu schädigen, nachdem man sie schon gekappt, beschnitten und hochgebunden hatte und der Baum war 12 Meter hoch. Und so schaffte der Baum gerade einmal 200 Meter am Tag und dass auch nicht an allen Tagen. Mit der Zeit, die man für das Einfassen und dann auch für das Wiedereinpflanzen des Baumes gebraucht hatte, war man mehr als sechs Wochen beschäftigt und obwohl die ausführende Firma, Phillipp Holzmann, auf die Personalkosten ihrer Arbeiter verzichtet hatte, hatte der Umzug am Ende 30.000,-Mark gekostet, also gut dreimal so viel, wie geplant, aber so macht man das in Frankfurt bis heute.

Zum mühsamen Umzug des Baumes dichtete damals der große Kabaretist seiner Zeit, Adam Müller, das "Millerche":

"Und die Dampfwalz hört mer puste,

Keuche, zerre,zische, huste,

Es ist was Gott, der reinste Mord,

Er will vom alten Platz net fort!

Und des liewe Bublikum

steht vor Staune drum erum."

Die Eibe hat den Umzug ganz gut überstanden. 1960 ist sie dann gleich noch einmal umgezogen, vom Botanischen Garten, in den Palmengarten, allerdings diesmal weit weniger spektakulär, man hat einfach nur den Zaun des Palmengartens ein bisschen ausgedehnt, so dass die Eibe nun auf der anderen Seite stand. 1907 hatte man geschätzt, dass die Eibe 250 bis 300 Jahre alt sei und vor oder kurz nach dem 30.Jährigen Krieg gepflanzt worden sei. Dann ist sie heute wohl ca. 400 Jahre alt. 1907 hatte sie "in Brusthöhe" einen Umfang von 2,25 Metern und einen Durchmesser von ca. 70cm und heute (von mir gemessen) einen Umfang von 2,77 m und einen Durchmesser von 88 cm. Sie scheint also wieder ganz gut angewachsen zu sein, auch wenn sie heute nicht mehr ganz so stattlich erscheint, wie auf den Bildern von damals, auch ist sie an mehreren Stellen mit Baumzement geflickt.

Die Eibe am 24.Juni 2024 im Palmengarten

Die nächsten Jahre ist auf der Fläche des ehemaligen Senckenberg-Stiftes erst einmal nicht viel passiert; die Häuser standen leer. Dann ist 1914 der Vergnügungspalast "Groß Frankfurt" auf der dem Eschenheimer Turm zugewandten Ecke entstanden (die Straßenbahn auf dem Bild fährt - ungefähr - da vorbei, wo zuvor die Eibe stand).

Dieses Etablissement ist im Krieg zerstört worden und wurde dann Anfang der 1950er Jahre durch einen der ersten Eigentumswohnungsblöcke Deutschlands ersetzt, in den dann die Prostituierte Rosemarie Nitribitt in den dritten Stock zog und 50 Jahre nach dem Umzug der Eibe an (fast) derselben Stelle, an der sich die Baumkrone befand, ermordet wurde.

 

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