Der Frankfurter
Vorsitzende des sozialdemokratischen Wahlvereins und Parteilokal-Wirt Hugo
Hiller war in noch jungen Jahren im Bürgerstift an der Schwindsucht
gestorben und wurde am 22.Juli 1885 (nicht 1883 wie man
fälschlich oft lesen kann) auf dem Hauptfriedhof beerdigt. 300-400 Menschen
(die sozialdemokratische Presse schrieb von 1000) gaben ihm vom
Krankenhaus aus das letzte Geleit. Der Trauerzug ging über den Oederweg zum
Friedhof, am Oederweg gesellten sich Polizisten zum Zug.
43 Polizisten (38 zu Fuß im und 5 zu Pferde vor dem Friedhof) unter Polizeikommissar Meyer sollten für die Einhaltung des Sozialistengesetzes sorgen – d.h. keine Fahnen, keine Reden usw., weitere 10 Polizisten lagen auf dem Hof des Stadtkommandanten in der Hochstraße in Reserve. (Polizeirat v. Hake war nur in Zivil anwesend. Hake war als Ersatz für den einige Monate zuvor ermordeten Rumpff aus Berlin nach Frankfurt gekommen. Er war Leiter der politischen Polizei und erst am Morgen vor der Beerdigung war seine Beförderung zum Polizeirat bekannt gegeben worden).
Es ist am Grabe gesungen worden. Als der
Mainzer Sozialdemokrat, der Schneider Joseph Leyendecker doch zu einer
Rede ansetzte, versuchte Meyer ihn zu überschreien, was aber nicht gelang. Dann
zogen die Polizisten ihre Säbel und prügelten mit der flachen Seite der Säbel
auf die Trauergäste ein. Es gab mehr als 35 Verletzte, darunter Frauen und
Kinder und der Parteiagitator und Wirt Emil Fleischmann. Der Schneider
Heinrich Berthold war ins offene Grab gestoßen worden.
Die Lage des Grabes: (
Augenzeugenbericht der Friedhofsverwaltung)
„... welches geradeaus
vom Portal, links von dem nach den Grüften führenden Hauptwege, gleich hinter
dem ersten Boskett [beschnittene Buschgruppe] etwa 100 Schritt von dem
Hauptportale liegt.“
In Folge dieses
Polizeieinsatzes ging ein Aufschrei des Entsetzens über diese "wahrhaft
entsetzlichen Szenen" durch die deutsche und auch die europäische
Presse. Der Frankfurter Journalist F.A. Müller-Rentz
(der Lauscher an der Wand am Haus Alten-Limpurg 1830-1903 und ansonsten
eher als Gegner der Sozialisten bekannt) schrieb einen Artikel mit dem Titel:
„Die Schmach Frankfurts“ (Demokratische Blätter, Berlin), der in einigen
deutschen Blättern nachgedruckt wurde. Für diesen Artikel wurde er mit einer
Beleidigungsklage bedacht. In Hillers Lokal wurde eine Meldestelle für
Augenzeugenberichte eingerichtet und eine ganze Woche lang wurden
Erlebnisprotokolle aufgenommen – die SPD (die damals allerdings noch nicht so
hieß) schlachtete diesen Vorfall natürlich propagandistisch aus.
Für Hillers Grabstein wurde nun Geld gesammelt, selbst aus den USA kam welches.
Der Polizeikommissar
Meyer (geb. 03.Feb.1843 Kreis Teltow) war verantwortlich für den
Hauptfriedhof, der in seinem Revier lag. Schon am 16.April 1879 (Meyer:
„Stürmisches Begräbnis“) und am 10.Dez. 1883 (Begräbnis Döll) hatten
Begräbnisse von Sozialdemokraten unter seiner Polizeiaufsicht stattgefunden.
Nach Dölls Begräbnis, bei dem er von den Trauergästen ausgelacht worden war,
erhielt er eine schriftliche Abmahnung („Missbilligung“), weil er nicht scharf
genug durchgegriffen hatte. Er wurde am 01.August vom Dienst suspendiert und am
17.März 1886 wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Amt zu drei Monaten
Gefängnis verurteilt. Meyer eilte daraufhin nach Bad Ems, zu einer
Kaiser-Audienz und wurde vom Kaiser begnadigt, erhielt sogar 700,- Mark
Aufwandsentschädigung und dürfte wieder für die Frankfurter Polizei arbeiten
(als Kommissar der Kriminalpolizei bearbeitete er 1892 dem Fall des Millionendiebstahls in der Rothschildbank).
Auch die anderen verurteilten Polizisten wurden begnadigt. Der einzige, der ins
Gefängnis kam, war Leyendecker, der bekam einen Monat, den er auch absaß.
Meyer am 15.Juli 1886
vor Gericht: : „ ich wusste, dass eine Verhaftung Leyendeckers nichts nutzen
würde ... .Ich hatte alte Bekannte vor mir und wusste, was ich zu erwarten
hatte. Die Leute, einer staatsfeindlichen Partei angehörend, hatten den festen
Willen und den Vorsatz mir Widerstand zu leisten.“
Dem Polizeirat von
Hake wurde vor Gericht und in der
Presse vorgeworfen, diese Affäre bewusst provoziert zu haben, um den kleinen
Belagerungszustand für Frankfurt beantragen zu können. (Hatte er Anfang
Februar getan, war abgelehnt worden).
Für die Frankfurter Polizeikräfte erging in der Folge des Friedhofskrawalls ein Tagesbefehl folgenden Inhalts:
"Eine wesentliche Aufgabe des königlichen Polizeipräsidiums und seiner Exekutiv-Beamten besteht darin, den berechtigten Interessen der Bürger- und Einwohnerschaft nützlich und förderlich zu sein. ... ." Jeder Polizist sei für seine Taten verantwortlich, außer - natürlich - wenn sie ihm befohlen worden seien.
Am 16.Dez. 1886 wurde der kleine Belagerungszustand über Frankfurt, Hanau, Höchst und den Obertaunuskreis verhängt. Die Parteilokal-Wirte Fleischmann (Wirtschaft in der Papageigasse 1) und Heinrich Prinz (1844-1909, Albusgasse, dann Heiligkreuzgasse 8, Großvater von Johanna Kirchner, Urgroßvater von Rudi Arndt) wurden ausgewiesen, (laut Polizei gab es 1886 zwölf SPD-Parteilokale in Ffm)
insgesamt 48
Sozialdemokraten mussten Frankfurt verlassen. Fleischmann ging nach Karlsruhe,
Prinz nach Darmstadt. Beide kehrten erst nach Ende des Sozialistengesetztes
zurück, solange führten ihre Frauen die Wirtschaften
Hiller hatte vor 1878
wohl in Höchst gewohnt. Im ersten Frankfurter Geheimbundprozess 1879/80 wurde
er zu einer Woche Gefängnis verurteilt . Hiller war Ziseleur und erst im Mai 85
Wirt geworden. Am 14.Jan. 85 war H. im Zusammenhang mit der Ermordung des
Polizeirates Rumpff für einen Tag verhaftet worden.
Bis zur nächsten großen sozialdemokratischen Beerdigung, bis zur „kleinen Friedhofsaffäre“ sollten zwölf Jahre vergehen. Am Morgen des 22.Februar 1897 traf sich eine Trauergemeinde von ca. 1000, vornehmlich weiblichen, Trauergästen zur Beerdigung von Adolfine Trompeter (*1857), einer „wackeren Frau“ und Gemahlin eines sozialdemokratischen Funktionärs. Anders als andere Frauen der von der "Weihnachtsausweisung 1886" betroffenen Sozialdemokraten, hatte sie ihren Mann auf dessen Ausweisungs-Odyssee durch etliche Städte und Länder begleitet, sie war deshalb in sozialdemokratischen Kreisen hoch angesehen. Aber wieder, wie schon bei Hillers Beerdigung, brach der anwesende Polizei-Kommissar (diesmal nicht mehr Meyer, sondern Kommissar von Dossow) die Beerdigung ab, nachdem zu einer Trauerrede angesetzt worden war. Der großen Menge von Leuten wurde aber diesmal genug Zeit gelassen, sich zu entfernen, so dass eine Widerholung der Vorfälle von 1885 ausblieb, obwohl von Dossow es durchaus auf eine Eskalation abgesehen zu haben schien.
.Dummerweise hatte zeitgleich die Bestattung des Mitglieds der Stadtverordneten-Versammlung, des Bankiers Phillipp Bonn, stattgefunden, so dass auch reihenweise Mitglieder der StVV auf dem Friedhof anwesend waren - unter anderen auch Leopold Sonnemann, Herausgeber der Frankfurter Zeitung, so dass der Vorfall auch diesmal wieder Wellen schlug. Kommissar v. Dossow erhielt vom Polizeipräsidenten eine "Missbilligung".
Schon am 18.September 1875 wäre es beinahe auf dem Hauptfriedhof zu einem Polizei-Exzess gekommen, als 1000 Frankfurter Demokraten und auch Sozialdemokraten der Toten der Kämpfe von 1848 gedachten, aber damals wurde der Polizeikommissar, der einem Redner das Wort abschnitt nicht ausgelacht und alles ging noch einmal gut.