Alexander Ruhe:  1920 - Die blaue und die grüne Polizei - Hooligans stürmen das Frankfurter Rathaus. November 2022

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

Gewaltbereite Hooligans, die man damals allerdings noch nicht so genannt hat, hatte es in Frankfurt schon lange gegeben. Ganz besonders gewalttätige Entladungen, wie der Batzenbierkrawall von 1873, oder der Hungerkrawall von 1919, sind sogar in die Geschichte eingegangen, aber jahrzehntelang gab es auch fast alljährlich in der Sylvesternacht Kämpfe zwischen der Frankfurter Polizei und Randalierern, gab es auch Angriffe auf die Feuerwehr im Einsatz - es brauchte damals also gar nicht des Fußballs für Gewaltexzesse.

In den ersten beiden Jahren nach dem Weltkrieg war die Arbeitslosigkeit ein großes Problem. Viele aus dem Krieg heimgekehrte Soldaten hatten keine Arbeit mehr gefunden, eine funktionierende staatliche Arbeitslosenversorgung gab es nicht und das hieß in den Zeiten der Inflation, dass die Familien von Arbeitslosen hungern mussten. An die Organisationsformen der Arbeiterbewegung gewöhnt, schlossen sich die Arbeitslosen zu einer Art Arbeitslosengewerkschaft zusammen. Es gab Versammlungen und Demonstrationen. Eine solche Arbeitslosendemonstration sollte am 01.September 1920 zum Römer, dem Rathaus Frankfurts führen. 1000 Arbeitslose, darunter auch viele Frauen, zogen, angeführt von einer roten Fahne, über die große Eschenheimer, Zeil und Hasengasse zum Römer. Die Führer der Arbeitslosen forderten vom Rat der Stadt Frankfurt angehört zu werden und eine Delegation der Arbeitslosen wurde zu Gesprächen hereingelassen.

Mittlerweile war aber ein zweiter Demonstrationszug auf dem Römer eingetroffen und auch diese Arbeitslosen wollten eine Abordnung in den Römer schicken, das aber wurde den Herren im Rat zuviel und die Vertreter des zweiten Zuges durften nicht hinein ins Rathaus. Jetzt stürmten aus der friedlichen Demonstration heraus ein paar hundert junger Männer (eine andere Zeitung sagt "50") das Römer Portal in der Braubachstraße - da, wo heute der Eingang zum Standesamt ist, lag damals der Eingang zum Römer, nicht auf dem Römerberg wie heute - und brachen es auf. Im Römer wurden sie von mit Gewehren bewaffneten Polizisten erwartet, die das Feuer eröffneten. Auch aus der Demonstrantenmenge heraus wurde auf den Römer geschossen und es gab viele Schwerverletzte und sechs Tote.

In Panik zerstreute sich die Menge, sammelte sich aber in kleineren Trupps wieder und versammelte sich erneut im Schumanntheater am Hauptbahnhof zu einer Protestversammung, in der verbittert auf die "grüne" Polizei geschimpft wurde und man zog zurück zum Römer.

Überall in der Stadt gab es jetzt Krawalle, ein Waffenladen in der Kaiserstraße wurde - samt Kasse - geplündert, auch die Schaufensterscheiben von Messer Dotzert ausgeräumt. Hooligans stoppten  Straßenbahnen und zogen zwei Polizisten, die damit gefahren waren heraus und verprügelten diese, man versuchte auch - erfolglos -  das Polizeirevier am Geistpförtchen, in dem man ein Waffenlager vermutete zu stürmen. Die ganzen Proteste dauerten bis tief in die Nacht und die Betriebsräte der Frankfurter Unternehmen riefen zum Generalstreik auf. Die von Eberts SPD  dominierten Gewerkschaften blockten das allerdings wieder ab. Die 16 bis 20 Jahre alten Rädelsführer wurden verhaftet und weggesperrt und alles war wieder gut. Dieser Kampfeinsatz wurde zur Beweisführung der Sinnhaftigkeit der neu eingeführten grünen Polizei herangezogen. Die "blaue Polizei" - in blauen Uniformen gekleidete Schutzleute hatten nämlich den Römer verteidigt, die fliegende, die "grüne Polizei", militärisch geschulte Bürgerkriegs-Kampftruppen in grüner Uniform, hatte dann in Hundertschaft den Römer gestürmt.

Überall in Deutschland hatte es im Sommer 1920 Arbeitslosenkrawalle gegeben, die Frankfurter Unruhen gehören aber zu den blutigsten.

Zehn Jahre später hat man diese Hooligans dann bei den Saaltruppen der KPD und in den Schlägertrupps der SA wiedergefunden.

 

 

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