Alexander Ruhe: 1902 - die ersten Arbeitslosen-Demonstationen in Frankfurt. März 2016
Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Nachdem man im Frankfurt der 1880er und 90er Jahre nichts anderes kannte als Wachstum und Aufschwung, sah das mit Beginn des 20. Jahrhunderts schon etwas düsterer aus.
Eine Wirtschaftskrise, die auch durch die Aufrüstung Deutschlands und die dadurch bedingten Steuererhöhungen angefeuert worden war, sorgte erstmals für eine höhere Zahl an Arbeitslosen. Ein Arbeitslosengeld, wie wir es heute kennen, gab es damals noch nicht und viele der Frankfurter Arbeiter waren nur geringqualifizierte Tagelöhner, die in den Wintermonaten hauptsächlich von Jobs wie Kohle tragen, Schnee schippen und Holz hacken lebten - alles Arbeiten, an denen die krisengeschüttelten Frankfurter Geschäftsleute nun lieber sparten, zudem der Winter 1901/02 ungewöhnlich mild war und es so auch nur wenig Schnee zu schippen gab. Die Frankfurter Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Adickes machte es sich einfach, es wies die hilfesuchenden Arbeitslosen an, sich am Sandhof zu Notstandsarbeiten des Armenamtes zu melden - da konnte man zwar ein bißchen Geld verdienen, verlor aber als Almosenempfänger auf Lebenszeit sein Wahlrecht. Der Winter war ungewöhnlich mild, dafür aber auch ungewöhnlich düster, das drückte die angespannte Stimmung noch zusätzlich. Auf dem Rossmarkt wurde damals an jedem Nachmittag eine kostenlose, Stellenanzeigen enthaltende, Ausgabe des"Arbeitsmarktes" verteilt und dort formierte sich am 09.Januar 1902 auch spontan, die erste Arbeitslosen-Demonstration der Frankfurter Geschichte. Nach "Arbeit", nach "Freiheit" aber auch schon mal nach "Freibier" rufend zogen die etwa 1000 Arbeitslosen durch die Altstadt zum Römer, argwöhnisch begleitet von der unvorbereiteten Polizei.
Unvorbereitet überrascht worden zu sein, das war für die Frankfurter Polizeioberen unerträglich und als sich am Nachmittag des folgenden Tages wieder eine Arbeitslosen-Demonstration formierte, sah die Situation schon ganz anders aus und ein großes Polizeiaufgebot riegelte die gesamte Altstadt ab und verhinderte auch in den folgenden Tagen jegliche Demonstration. Aber die Situation verschärfte sich noch weiter, der Wiesbadener Regierungspräsident Dr. Wentzel (1850-1916) war nach Frankfurt gekommen und griff forsch in das Geschehen ein. Als am 14.Januar wieder 1000 Demonstranten durch die Stadt ziehen wollten prügelten Hunderttschaften von Polizisten mit den flachen Seiten ihrer Säbel auf die Arbeitslosen ein, auch eine große Zahl von Zivilpolizisten, damals noch "Geheimschutzleute" genannt, beteiligeten sich, mit Ochsenziemern bewaffnet an der Prügelei und die - nach dem Batzenbier-Krawall von 1873 erstmals aufgestellte - berittene Polizei, ritt, säbelschwingend, rücksichtslos in die Menschenmenge hinein. Eine Große Zahl von Demonstranten wurde verhaftet und es wurde gedroht, sie wegen Landfriedensbruch vor Gericht zu stellen (was dann aber tatsächlich nur ganz vereinzelt geschah), obwohl, und da waren die Frankfurter Zeitungen sich einig, die Arbeitslosen ausnahmslos friedfertig geblieben waren.
In Frankfurts Zeitungen waren die sozialen Verhältnisse in der Stadt nun für einige Tage Thema, aber dann kamen schon bald auch andere Themen und die Arbeitslosen waren wieder vergessen.