Alexander Ruhe:  1904 -1933 - Sechs Hinrichtungen im alten Frankfurt. März 2022

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

Frankfurt war kein guter Ort für Henker. Während in anderen europäischen Großstädten manchmal täglich Hinrichtungen stattfanden, kam Frankfurt gerade mal auf zwei Hinrichtungen pro Jahr im Schnitt der Jahrhunderte. Aber die Zeiten wurden noch humaner. Nachdem man 1799 den Töpfer Benkert, der seine ganze Familie ermordet hatte, auf dem Rossmarkt vor Publikum mit dem Schwert enthauptet hatte, wurden in Frankfurt von da an alle zum Tode Verurteilten zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in den Marmorbrüchen an der Lahn begnadigt (z.B. 1857 Michael Keller). Mit diesem Humanismus war Schluss, als 1866 Preußen Frankfurt eroberte. Preußisches Recht und Gesetz und - vor Allem - preußische Richter zogen nun in Frankfurt ein. Zwar wurden auch jetzt noch Mörder zu lebenslänglicher Haft begnadigt (z.B. 1872 der Raubmörder Völker), als aber 1885 der Anarchist Julius Lieske den Frankfurter Polizeikommissar Rumpff ermordete, statuierte Preußen ein Exempel! Obwohl schon sehr schnell Zweifel aufgekommen waren, ob es Lieske überhaupt gewesen sei oder ob er nur die Lebensgewohnheiten Rumpffs für den wahren Täter ausspioniert habe, wurde er schnell zum Tode verurteilt und hingerichtet. Allerdings nicht in Frankfurt, sondern in der Haftanstalt in Kassel. Schon bald reiste ein Schausteller mit dem Richtblock und mit der Axt, mit der Lieske enthauptet worden war durch Deutschland und präsentierte sie einem sich gruselnden Publikum.

1904 dann wurde es aber auch für Frankfurt ernst: Der Klavierhändler Lichtenstein war in seinem Laden an der Hauptwache, etwa dort wo sich heute die Nassauische Sparkasse befindet, ermordet worden. Über eine Pressekampagne - und die könnte der Grund dafür gewesen sein, warum sich Frankfurts Presse ganz besonders auf diesen Fall stürzte - wurden Bruno Groß und Friedrich Stafforst als Täter ermittelt.

Obwohl zumindest Groß hartnäckig leugnete ein Mörder zu sein und auch Stafforst nur durch Schlafentzug zu einem Geständnis gebracht worden war und außerdem durchaus auch ein Verdacht gegen die Frau des Opfers bestand und auch noch in Heidelberg der "über und über tätowierte" Johann Jahn ein Geständnis abgelegt hatte, wurden die Beiden aufgrund eines reinen Indizienprozesses zum Tode verurteilt. Zum ersten Mal in der Rechtsgeschichte hatten die Aussagen eines Gerichtsmediziners und Fingerabdrücke den Ausschlag gegeben. Dieser Gerichtsmediziner, Dr. Popp, wurde durch diesen Fall für die nächsten Jahrzehnte zum Popstar der deutschen Justiz und Stafforst und Groß wurden am 12.November 1904 im Frauenhof der Haftanstalt Preungesheim exekutiert. Um die Beiden von einem vorzeitigen Selbstmord abzuhalten, waren sie monatelang in ihren Zellen derart festgekettet worden, dass sie sich nachts an einen Wärter wenden mussten, wenn sie sich im Schlaf umdrehen wollten; die zum Tode Verurteilten vom Selbstmord abhalten, eine Grausamkeit, über die auch britische Zeitungen ihren Lesern berichteten.

 Um 7.43h läutete das Armesünderglöckchen für Stafforst und schon vier Minuten später auch für Groß und das, obwohl sich das Beil des Scharfrichters Engelhardt aus Magdeburg derart im Richtklotz verkeilt hatte, dass es mit einem Hammer wieder freigeschlagen werden musste, bevor man es für Groß benutzen konnte. Das Hinrichten mit dem Beil ging schnell! Unter den zwei dutzend bestellten Zeugen waren auch drei Gemeinderatsmitglieder aus Preungesheim - die hatten sich ihre Amtsführung bei ihrer Wahl sicherlich auch anders vorgestellt. Nach ihrer Enthauptung wurden Stafforst und Groß in Särge gelegt und auf einem Karren zum Preungesheimer Friedhof gebrach. Der Karren zog eine Blutspur vom Gefängnis bis zum Friedhof, wo die beiden an der Außenmauer des Kirchhofs bestattet wurden, ich nehme an dort, wo viel später das Ehrenmal für die vielen Hinrichtungsopfer der Nazis errichtet wurde.

Diese im Jahr 1900 gelaufene Ansichtskarte trägt den Titel "Raubmörderzelle 17 in Preungesheim" (die Kreideschrift auf dem Fensterrahmen), wer auch immer hier abgebildet ist, hingerichtet wurden diese Beiden nicht.

 

 

 

 

 

 

1910 hatte der Zeugfeldwebel (ein Verwaltungsangestellter in der Armee) Ernst Müller in Hanau seine Verlobte ermordet. Diese hatte erfahren, dass er mit fünf anderen Frauen schon mehrere Kinder hatte und wollte von ihm nichts mehr wissen. Müller unternahm einen - erfolglosen - Versuch einige seiner Kinder zu vergiften, aber als seine Braut sich auch dadurch nicht beschwichtigen ließ, erschoss er sie auf offener Straße. Müller wurde vor dem neugeschaffenen Kriegsgericht in Frankfurt zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt, aber die deutsche Armee als Ankläger legte Revision ein und jetzt wurde er zum Tode verurteilt.

Müller, der es bei seinem Prozess regelrecht darauf anlegte, hingerichtet zu werden und nicht ins Gefängnis zu müssen, weigerte sich, ein Gnadengesuch an den Kaiser zu richten. Er blieb noch einige Zeit im Gerichtsgefängnis in der Hammelgasse, denn zuvor fand trotz des schon gefällten Todesurteils ein Prozess wegen Landesverrats gegen ihn statt. Als Mörder hatte er noch seine maßgeschneiderte Uniform tragen dürfen, als Landesverräter aber bekam er eine Gefängniskluft. Aber dann, einen Tag vor seiner geplanten Hinrichtung, Scharfrichter Gröpler und seine Gehilfen waren schon in Frankfurt, reichte Müller auf Bitten seines Vaters doch ein Gnadengesuch ein und der Scharfrichter reiste wieder ab. Der Zeitpunkt für dieses Gesuch war günstig gewählt, denn obwohl der Kaiser Müller nicht begnadigte, er schrieb: "Ich habe mich nicht bewogen gefühlt, von meinem Begnadigungsrecht Gebrauch zu machen.", der Kaiser war gerade auf Besuch, bei der Verwandtschaft in Kronberg und Königstein, also ganz in der Nähe Frankfurts und solange der Kaiser hier Urlaub machte, blieb Müller verschont. Aber kaum war Kaiser Wilhelm wieder in Berlin, wurde es ernst. Scharfrichter Carl Gröpler "ein Mann von untersetzter Gestalt und blondem Schnurbart" kam wieder nach Frankfurt. Gröpler war der Assistent Engelhardts gewesen, der 1904 Groß und Stafforst enthauptet hatte und auch er hatte in der Zwischenzeit schon einige Delinquenten enthauptet, Müller sollte sein 44. werden.

Am 17.August weckte man mitten in der Nacht den Preungesheimer Totengräber, der musste neben den Gräbern der beiden Lichtenstein-Mörder ein weiteres Grab für Müller ausheben. Außerdem eilten Polizisten durch die ganze Stadt, um die ca. 50 Zeugen der Hinrichtung aus dem Schlaf zu holen. Für die Zeugen galt die Pflicht einen Gehrock mit Zylinder zu tragen.

Um sechs Uhr am Morgen läutete dann das Armesünderglöckchen für Müller und man führte ihn in den Frauenhof, auf dem der Richtblock stand. Müller hatte man vorher den Kragen seines Hemdes herausgeschnitten, so dass der Kopf frei lag. Der Scharfrichter verwendete ein recht martialisches Beil. Die fast 12 Kilo schwere Klinge war rasiermesserscharf geschliffen, der schwarze Schaft war beschriftet; auf der eine Seite stand in goldener Schrift "Justitia" auf der anderen "memento mori". Kaum hatte Müller den Gefängnishof betreten, schnallten ihn die Gehilfen des Scharfrichters blitzschnell auf dem Richtblock fest und Gröpler schlug Müllers Kopf ab, der in die Hobelspäne unter dem Holzblock fiel. Die Enthauptung war so schnell vor sich gegangen, dass einige, die sich vorgenommen hatten, die Augen während des Schlages zu schließen, gar nicht dazu gekommen waren.

Vor einer sehr zahlreichen Zuschauerschaft wurde Müllers Leichnam im Anschluß auf dem Preungesheimer Friedhof bestattet.

Aber Müller war gerade tot, da warteten schon zwei weitere potentielle Delinquenten auf ihre Aburteilung in Preungesheim. Es waren dies zwei Wanderarbeiter, die - schon seit längerem arbeitslos - Hunger litten und sich verschworen hatten, den Nächstbesten, der ihnen begegnen würde, umzubringen und zu berauben. Gesagt, getan brachten die Beiden am 07.Dezember 1910 an der Mainzer Landstraße in der Nähe der (erst später errichteten) Friedrich -Ebert-Siedlung im Gallus den Vertreter Wilhelm Biener mit einem Hammer um. In seinen Taschen hatten die Mörder gerade einmal acht Mark gefunden. Acht Mark waren mit 2,5 Gramm Gold zwar mehr wert, als man heute vielleicht denken würde, aber schon damals waren die Zeitungsleser darüber schockiert, dass jemand für derart wenig Geld ermordet worden war.

Monatelang tappte die Polizei im Dunkeln, bis man aus Würzburg Gerüchte über eine Beteiligung von Johann Pöllmann hörte, der dort mit seiner Tat angegeben hatte. Man schickte einen Polizeikommissar ins Frankenland, der in Nürnberg fündig wurde und Pöllmann dort verhaftete. Pöllmann war aber halsstarrig und gestand nichts. Man wusste aber, dass er mit dem "Berliner Max" zusammen gesehen worden war, wie dieser Max aber richtig hieß, blieb unbekannt - erst einmal! Denn wieder zog ein Frankfurter Polizist ins Frankenland und durchforstete dort Polizeiakten und die Übernachtungsbücher von Arbeiterasylen und wurde fündig, beim "Berliner Max" handelte es sich um Max Löffler, der dann auch in Berlin verhaftet werden konnte.

Löffler gestand unter Tränen sofort alles und auch Pöllmann brach in sich zusammen und beging einen Selbstmordversuch. Dieser Selbstmordversuch und Löffler Labilität hatten zur Folge, dass die Beiden von nun an ihre Zeit  in ihren "Schwerstverbrecherzellen" in Preungesheim gefesselt und angekettet verbringen mussten. Die Schwerstverbrecherzellen waren rund und hatten nicht den üblichen Holzboden, sondern einen Bodenbelag aus Zement. In diesem Boden waren Bett, Stuhl und Tisch fest montiert. In der Mitte der Zelle befand sich eine Verankerung für die Fusskette und über dem Bett eine Eisenstange an der Nachts die Handfesseln befestigt wurden. Die Handfesseln bestanden aus zwei Handreifen, die mit einer Eisenstange befestigt waren, alle Eisenteile waren lederumwickelt. die ganze Nacht über brannte in der Zelle das Licht. Pöllmann saß dabei in der Zelle, in der zuvor schon der Lichtensteinmörder Stafforst gesessen hatte.

Einer der Anwälte der Beiden war der spätere Polizeipräsident und Professor, der Sozialdemokrat Dr.Hugo Sinzheimer, der später auch den Mörder Hopf verteidigte. Vor Gericht trat auch wieder der Gerichtsmediziner Dr. Popp auf, der am präparierten eingeschlagenen Schädel des Opfers vor Gericht den Tathergang vorführte. So war das auch schon mit dem eingeschlagenen Schädel des Klavierhändlers Lichtenstein gehalten worden, weshalb wohl auch die Leiche Bieners ohne Kopf beerdigt worden sein wird - bei Lichtenstein war das jedenfalls so. Der Berliner Max wurde wegen Totschlags zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, die er auch sofort antrat aber Pöllmann ließ Revision einlegen und als auch die erfolglos geblieben war, bat er darum, dass ihm seine Fesseln abgenommen würden, damit er ein Gnadengesuch an den Kaiser schreiben könne. Mit einem Gefängnisaufseher links und einem rechts, schrieb er nun - nach der monatelangen Fesselung recht unbeholfen sein Gnadengesuch, in dem er auch von seiner schwierigen Jugend schrieb, aber der Kaiser entsprach diesem Gesuch nicht.

Am 10.Februar 1912 war es dann soweit. Wieder kam der Scharfrichter Gröpler aus Magdeburg und wieder fand die Enthauptung im Frauenhof des Gefängnisses statt. Und wieder sollte ein Grab in der Mörderecke des Friedhofs ausgehoben werden, aber die Universität Marburg machte von ihrem Zugriffrecht auf den Leichnam Gebrauch und beanspruchte ihn für ihre Anatomie. Ganz kurzfristig musste jetzt noch ein Zinksarg in Auftrag gegeben werden, der in der Nacht des Hinrichtungstages - bei strömendem Regen - ins Gefängnis geliefert wurde. Pöllmann hatte auf die Henkersmahlzeit verzichtet und sich dafür eine große Packung Zigaretten geben lassen. Wieder standen ca. 50 Zeugen auf dem Gefängnishof, der Scharfrichter rief: "Pöllmann komm!" und einige Sekunden später lag dessen Kopf auf dem Boden. Gröpler kassierte seine 300,-Mark Honorar, der Leichnam Pöllmanns kam in seinen Sarg, dieser wurde zugelötet und auch diese Hinrichtung war vorbei. Wie üblich wurde die Frankfurter Bevölkerung durch rote Plakate, die sofort überall in der Stadt aufgehängt wurden, über die Exekution informiert.

1912 hatte der Arbeiter Georg Josef Koch aus Bergen am Wäldchestag im Stadtwald seine 15jährige Tochter ermordet und im Wald verscharrt. Koch hatte ein inzestuöses  Verhältnis zu ihr und wollte dies vertuschen. Heute gehört Bergen zu Frankfurt, damals aber nicht und so wurde der Kinderschänder Koch 1913 in Hanau und nicht in Frankfurt hingerichtet. Auch hier hatte Gerichtsmediziner Dr.Popp den Tatort untersucht.

Auf den Mörder Karl Hopf, dessen Geschichte ich schon für meine Hörbuch-CD von 2009 bearbeitet hatte (siehe ganz unten), wurde man 1913 aufmerksam. Um Karl Hopf herum wurde auffällig häufig gestorben.

Der Säbelfechtweltmeister, Schaubudenbesitzer (auf Jahrmärkten zeigte er in einer Bude Bilder von nackten Frauen) und Bernhardinerzüchter Karl Hopf war ausgebildeter Drogist und da ihm für das Ausleben seiner perversen Hobbys, für die er willige aber auch teuere Prostituierte brauchte seine Einkünfte aus dem Frankfurter Schumanntheater und aus seiner Hundezucht nicht ausreichten - und in beiden Gebieten war er ein Spitzenverdiener - fing er an reich zu heiraten, auf seine Frauen hohe Lebensversicherungen abzuschließen und diese dann langsam zu vergiften. Manche seiner Kinder und seiner Schwiegereltern gleich mit. Bei seiner dritten Frau fiel das Ganze dann auf und Frankfurts Star-Gerichtsmediziner Dr. Popp überführte den Star-Artisten Hopf. An der Asche seiner Mordopfer fand der Gerichtsmediziner noch Spuren von Arsen. Und Hopf brach zusammen und gestand alles.

Am 23.März 1914 war es soweit. Wieder kam Gröpler in die Stadt und wieder fiel der Kopf unter dem Beil. Zwölf Sekunden nachdem der Staatsanwalt das Urteil verlesen hatte, lag der Kopf am Boden. Hopf hatte seine letzte Stunde damit verbracht zu rauchen und seiner dritten Frau einen bösen Brief zu schreiben, in dem er ihr die Schuld an all seinem Unglück zuwies. Schon 1906 hatte ein Journalist in seiner Zeitung behauptet, Hopf sei ein Giftmörder, woraufhin Hopf ihn verklagt hatte und 150,-Mark Schadensersatz und ein paar zusätzliche Jahre zum Morden erhielt.

Auch Hopfs Leichnam erhielt kein Frankfurter Grab, sondern auch er landete in der Marburger Anatomie.

 

                                    

Kurz nach Hopfs Hinrichtung begann der erste Weltkrieg, in dessen Folge der Kaiser und sein Reich fielen und in Deutschland die Republik ausgerufen wurde. In der Republik gab es zwar noch die Todesstrafe, aber in etwa 90% der Fälle wurden die Täter zu lebenslanger Haft begnadigt. Trotzdem wurden auch in der Weimarer Republik etwa 180 Todesurteile vollstreckt aber keines davon in Frankfurt.

Im Dezember 1932 hatte der 19 jährige und geistig minderbemittelte Willy Knirsch in der Bornheimer Wohnung seiner Großmutter einen Geldbriefträger erschossen und dessen Geldtasche mit 2800,-Mark geraubt. Schon am 14.Januar 1933, also noch vor Hitlers Machtergreifung wurde Knirsch in Frankfurt zum Tode verurteilt. Knirsch stellte ein Gnadengesuch, aber der neue preußische Ministerpräsident, Hermann Göring, begnadigte niemanden und so wurde der Jugendliche Knirsch am 22.August 1933 als erster von Hunderten während der Nazi-Zeit in Preungesheim enthauptet und zwar immer noch mit dem Beil. Ob der Scharfrichter wieder Gröpler war, habe ich nicht herausgefunden, er hätte es aber sein können, denn bis 1935 hat er als Scharfrichter fungiert.

Hörbuch vom gleichen Autor

 

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