Alexander Ruhe :  1872 – Raubmord in der Goldenen Luft. Oktober 2014

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

Am Montag, dem 29.Januar 1872 war Kassier-Tag. Die Kassierer des Viehhofes klapperten die Wirtschaften der Frankfurter Altstadt ab, um dort von den Metzgern  das Geld für das gelieferte Schlachtvieh zu erheben, so auch der 67 Jahre alte Kassierer Hamburger, genannt „das Julchen“. Von seiner letzten Station, dem Wirtshaus „Mietze“ ging es zum Zählen und Abrechnen in „die Goldene Luft“ (etwa da, wo sich heute das kleine Kraftwerk an der Kurt-Schumacher-Straße befindet). In seinen Taschen trug er 2000 Gulden mit sich, das Geld für elf Ochsen, nach Umtauschkurs von 1875, als die Mark eingeführt wurde, waren das 3420,- Mark, das Jahresgehalt eines mittleren Beamten.

Um von der Allerheiligenstraße in den Schankraum der goldenen Luft zu kommen, musste Hamburger noch durch einen kurzen, dunklen Flur – in dem schon sein Mörder auf ihn wartete. Erst mal merkte man nichts, die anderen Kassierer saßen schon drinnen und zählten Geld, so konnte der Täter, der Hamburger mit einem Beil in den Kopf geschlagen hatte, mit dem Geld entkommen zumindest mit knapp 600 Gulden in Silber, das Papiergeld und das Gold ließ er am Tatort zurück.

Hamburger wurde schwer verwundet gefunden. Man päppelte ihn noch mit Bouillon mit Ei, aber nichts wollte helfen und so starb er fünf Tage später ohne noch einmal ein Wort gesagt zu haben.

Verdächtige gab es viele; man hatte einen sich auffällig verhaltenden Mann in grünem Kittel gesehen und so verhaftete man alle, die mit einem grünen Kittel gesehen worden waren und dass waren nicht wenige.

So auch den 32 Jahre alten H. Völker. Völker, der erst einige Monate zuvor aus dem Zuchthaus entlassen worden war, war sogar im grünen Kittel in „der Mietze“ gesehen worden, das reichte ! Außerdem lebte Völker mit einer Geliebten zusammen – mit einer Frau, die mehr als 25 Jahre älter war als er – das machte ihn noch viel verdächtiger.

Völker stritt alles ab, aber der beste Mann der Frankfurter Polizei verhörte ihn, Polizeikommissar Rumpff. Dieser konfrontierte ihn auch mit Hamburgers Leiche, aber Völker gab nichts zu. Auch die 175 Gulden, die man im Bett seiner Geliebten in einem Strumpf versteckt gefunden hatte, stammten nicht aus dem Raub, aber der mittellose Völker hatte kurz nach dem Überfall Schulden bezahlt und zusammen mit dem grünen Kittel reichte das den Geschworenen, denen Völker am 30.April im Leinwandhaus gegenüber stand – „Schuldig“ lautete das Urteil. In den Zeitungen war berichtet worden, Hamburger stamme aus Offenbach, da wären natürlich mildernde Umstände zu bedenken gewesen, aber vor Gericht stellte sich das als Irrtum heraus, Hamburger stammte aus Bergen und so wurde Völker zum Tode verurteilt.

Als Völker die Geschworenen schon nach wenigen Minuten in den Gerichtssaal zurückkehren sah, sagte er zu seinem Anwalt, Paul Reinganum Junior: „Jetzt geh’n der Katz die Haare aus!“ und so war es dann ja auch.

Völker war jetzt sauer. Er ließ verlautbaren, er wolle kein Gnadengesuch stellen, sonder er wolle „unschuldiges Blut fließen sehen“. Ein paar Tage stellte er dann doch ein Gesuch an den Kaiser, der ihn auch begnadigte – zu lebenslanger Haft und dabei hatte sich schon ein Abdecker gefunden, der – für 500 Gulden Honorar – die Enthauptung hätte übernehmen wollen, seit 1849 war das Frankfurter Henkersamt nämlich verwaist.

Lebenslänglich, so lange wollte Völker aber nicht bleiben, schon eine Woche nach der Begnadigung, vorher hatte er noch den Mord gestanden, floh er aus dem Gerichtsgefängnis in der Hammelgasse.

Am Abend des 16.Augusts 1872 bat er den Aufseher, sich an der Pumpe im Hof Wasser holen zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde. Er schlich sich mit seinem Wasserkrug zurück zu seiner Zelle, in die er auch den Krug stellte, sie aber dann von außen verriegelte. Als der Aufseher die Zelle später verschlossen vorfand, nahm er an, ein anderer Schließer habe Völker wieder eingesperrt, war zufrieden und ging nach Hause. Als es dunkel geworden war, seilte sich Völker, mit einem aus dem Seegras aus der Füllung seiner Matratze geflochtenem Seil und seinem Bettlaken über die Mauer ab und entkam.

Man setzte zwar eine Belohnung von 100 Talern auf seine Ergreifung aus (Merke: die preußische Obrigkeit rechnete in preußischen Talern, die Frankfurter Viehhändler aber in Frankfurter Gulden. 1 Taler = 1 ¾ Gulden), und in ganz Deutschland wurden auch Verdächtige mit verkrüppelten Fingern verhaftet, denn Völkers kleiner Finger war verkrüppelt, aber von Völker hörte man erst mal nichts mehr. Mit falschen Papieren war es ihm gelungen unter dem Namen „Schappel“, als Schiffsknecht an der Brücke in Köln Arbeit zu finden (in einer anderen Zeitung konnte man lesen, er habe als Scharpel in einem Berkwerk in Moers gearbeitet, als er verhaftet wurde). Aber er hatte Pech; er wurde erkannt und am Freitag, den 13., dem 13.März 1874 rückte er wieder in die Konstablerwache ein.

 

Einen anderen Artikel lesen