Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, den der Staatsanwalt Dr. Adam Dorten (1880-1963) als Führer einer Geschütz-Batterie, u.a. vor Verdun, mitgemacht hatte, hatte dieser aus dem Krieg andere Schlüsse gezogen, als die meisten Anderen. Weder neigte er dem Sozialismus zu, noch dachte er, dass alles einfach so weiter gehen solle, wie zuvor. Er, der konservative Rheinländer, erkannte im Militärstaat Preußen alles Übel und von diesem Preußen wollte er nun weg. Im Juni 1919 unternahm er im von französischen Truppen besetzten Wiesbaden einen - schmählich gescheiterten - Putsch, eine separatistische Rheinland-Republik hatte geschaffen werden sollen.
Nachdem die neue Deutsche Regierung mit revolutionären Kämpfen im Ruhrgebiet, mit dem Kapp-Putsch und auch mit der französischen Besetzung Frankfurts fertig geworden war, ging es jetzt an die Separatisten.
Als die beiden Matrosenführer Stickelmann und Groenke durch die Besetzung Frankfurts durch das Freikorps de Neufville ihrer Macht im Polizeipräsidium beraubt worden waren, hatte Frankfurts Polizeipräsident Ehrler (SPD) Polizei-Sekretär Joseph Higler (1882-1931), anscheinend sein Mann fürs Grobe, ins Polizeipräsidium gesandt, um die verbliebenen Matrosen "in die Schranken zu weisen". Durch die sechswöchige Besetzung Frankfurts durch die französische Armee unterbrochen, stand Higler nach deren Abzug im Mai 1920 "für neue Aufgaben zur Verfügung".
Wegen Hochverrats hatte das Reichsgericht in Leipzig 1919 einen Haftbefehl gegen Dorten ausgestellt, den die Frankfurter Polizei in Wiesbaden jetzt vollstrecken sollte. Was damals aber jeder wusste; weder das Reichsgericht, noch die Frankfurter Polizei besaßen in der französischen Besatzungszone irgend eine Vollzugsgewalt. Die Franzosen hatten extra ein "Lex Dorten" (wie es eine Schweizer Zeitung nannte) in ihre Besatzungsstatuten aufgenommen, die von deutscher Seite auch unterzeichnet worden waren, so dass Dorten - trotz des Putschversuches - in Wiesbaden sicher zu sein schien.
Für einigen Wirbel hatte im Januar 1920 die Enthüllung einer Wiesbadener Zeitung gesorgt, die preußische Regierung habe ein Kopfgeld in Höhe einer Million Mark auf Dortens Ermordung ausgesetzt - dieser Weg kam nun wohl nicht mehr in Frage.
Ehrler schickte wieder Higler los. Mit falschen Papieren ausgestattet, mietete dieser sich ganz in der Nähe von Dortens Villa in der Hildastraße in Wiesbaden in ein möbiliertes Zimmer ein und beobachtete in den folgenden Tagen Dortens Tagesablauf. Am 24.Juli 1920 war es dann soweit. Unterstützt von zwei weiteren Polizeibeamten, die aus Frankfurt mit einem Auto gekommen waren, wartete Higler ab, bis Dorten - wie jeden Mittag - aus der nahe liegenden französischen Kommandantur heraus kam. Mit der Frage: "Sind Sie Dr.Dorten?" stürzten sich die drei mit Revolvern bewaffneten Polizisten auf den Separatistenführer, packten den verblüfften Mann an der Kehle, so dass er nicht schreien konnte und zogen ihn in ihr Auto.
Dorten wurde mit Handschellen gefesselt, eine Pistole war während der Fahrt aus der besetzten Zone auf ihn gerichtet und Higlers Hand blieb solange auch an seinem Hals. In Frankfurt angekommen, protestierte Dorten vor Ehrler, dem er vorgeführt worden war, was diesen aber nicht interessierte. Dorten wurde weiter gebracht bis Fulda, wo er die Nacht im Gefängnis verbrachte und am nächsten Tag ging es für ihn weiter nach Leipzig, zum Reichsgericht.
Die französische Besatzungsmacht war mittlerweile aber auch tätig geworden; man setzte den Regierungspräsidenten und auch den stellvertretenden Polizeipräsidenten Wiesbadens ab und forderte die Absetzung Ehrlers, als auch die Auslieferung Dortens. Erst wollte man in Leipzig nicht, aber das deutsche Außenministerium schaltete sich ein und ein paar Tage später war Dorten wieder in Wiesbaden. Der Wiesbadener Regierungspräsident wurde wieder eingesetzt, der Regierungspräsident in Kassel, der Ehrler die Verhaftung befohlen hatte, wurde abgesetzt und Frankfurts Polizeipräsident Ehrler erhielt einen scharfen Verweis. Nochmals ein paar Tage später standen maskierte Männer in Dortens Arbeitszimmer. Die mussten aber diesmal unverrichteter Dinge wieder gehen.
Vielleicht hatte man sich diese Vorgehensweisen bei amerikanischen Gangsterfilmen abgeschaut, eine Vermutung, die in französischen Zeitungen geäußert wurde. In Frankfurt hatte das Husarenstück Higlers aber gefallen und gleich wurde ein überlanges Gedicht auf Dortens Autofahrt verfasst, Dorten solle in Zukunft bloß auf sich aufpassen.
Im Mai 1923, mittlerweile im französischen Exil, verlautbarte Dr. Dorten in einem Interview, die Bevölkerung der deutschen Rheinlande sei sowieso romanischen Ursprungs und dem Deutschtum gegenüber feindlich eingestellt. Das Rheinland inklusive Frankfurt sei die reichste Region Deutschlands und durchaus in der Lage, die Reparationsforderungen Frankreichs alleine zu begleichen - und das war dann doch wohl ein bißchen viel des Guten!