Ein Artikel aus der Reihe:
Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Ein schillernder Paradiesvogel war Carl Pitschaft,
der in den frühen 1820er Jahren als Wanderphilosoph (manche schrieben es
lieber Viehlosoph), in Fässern schlafender Deutscher Diogenes,
Schiller-Rezitator, Frauenretter, vor allem aber als Entertainer durch
Deutschland reiste. Wegen seiner Beharrlichkeit und seines Ignorierens der
Einreiseverbote, die in vielen der damals 38 deutschen Staaten gegen ihn
ausgesprochen waren, war sein Name bis weit über die Mitte des 19.Jahrhundert
hinaus sprichwörtlich geworden für jemanden, der stoisch und stürmisch
sein Ziel verfolgt.
Carl Pitschaft wurde (wahrscheinlich)
1784 in Mainz als Sohn des dortigen Münzdirektors, des Hof- und
Kammerrates Pitschaft geboren. Während seine beiden Brüder Jura und Medizin
studierten und es im Laufe ihres Lebens zu hohen Orden und ebenfalls
Hofratsstellen brachten, ging Carl zum Militär, da Mainz damals zu Frankreich
gehörte , zum französischen Militär. Dies schreibt und verbreitet er zumindest
selbst, sein Bruder Jean Baptist, der Jurist, dessen Karriere durch seinen
wunderlichen Bruder ernstlich gestört worden war – so konnte er 1822 zum
Beispiel nicht Mainzer Bürgermeister werden – ordnet ihn aber dem
österreichischen Militär zu, viel besser für die Karriere. Nach Carls eigenen
Aussagen aber, zog er als Rittmeister mit Napoleon nach Moskau, wo
er für dessen Stab Ordonanzreiter war
und nahm dann 1813 auch an der Völkerschlacht bei Leipzig teil. Nach Napoleons
Ende kehrte er nach Mainz zurück, wo er sich „mit einem Frauenzimmer von gutem Stand“
verheiratete (eine Tochter war ihm aber schon am 22.August 1811 geboren
worden). Diese Frau aber, die er „innig geliebt hatte“, wurde ihm untreu und
das warf ihn aus der Bahn (man konnte auch lesen, wegen „unerlaubter
Liebeshändel“ habe er im Zuchthaus gesessen); das ganze nächste Jahr verbrachte
er in einem Wald in der Nähe von Mainz, wo er in einer Erdhütte hauste
und sich veränderte. Obwohl von einer Frau so tief verletzt, war er jetzt
milder geworden und erkannte die Frauen als die Krone von Gottes Schöpfung
und sich selbst als ausersehen, diese Weisheit zu verbreiten und die Frauen zu
schützen (später hatte er sich ein Siegel zugelegt, auf dem er eine nackte Frau
umklammert und in diese Richtung ging sein „Schutz“ oft wohl auch, wodurch er
sich eine ordentliche Menge an Prügel einhandelte). Nachdem er in Mainz geübt
hatte und dort mit seinen unterhaltsamen Vorträgen und Deklamationen, als auch
mit seinem Kostüm gut angekommen war (er trug ein schwarzes Samttalar,
das er mit einem Soldatengürtel umgab, er trug ein Barett und einen rauschenden
Vollbart, dazu war er wohl auch ganz hübsch und strohblond), versuchte er 1822
sein Glück auf der Frühjahrsmesse in Frankfurt. Er stieg im Pariser Hof
(hinter der Hauptwache) ab, wo er mit seinen Vorträgen hunderte von
Schaulustigen anlockte. Da er aber nicht zahlen konnte, das kündigte er den
Wirten immer schon vorher schriftlich an, schlief er nicht in einem der Zimmer
des Luxushotels, in dem auch schon Friedrich Schiller seine Star-Laufbahn
begonnen hatte, sondern in dessen Stall. Als er dieses Quartier mit einem Fass
vertauschen und von dort seine philosophischen Weisheiten verkünden wollte,
wurde es der Frankfurter Polizei zuviel und er flog raus aus der Freien Stadt
(wenn er später über Frankfurt schrieb, setzte er das „frei“ in
Anführungszeichen). Nicht aber mit Carl Pitschaft ! Kaum ausgewiesen, war er
auch schon wieder da, nächtigte jetzt aber nicht im Hotel sondern in der
Hauptwache, dem Gefängnis. Wieder ausgewiesen und per Schub nach Mainz gebracht
setzte er sich dort sofort ins Marktschiff nach Frankfurt, wo er direkt an der
Anlegestelle erkannt und erneut verhaftet wurde, jetzt ging es ins
Kastenhospital der Irrenanstalt. Dort erkannte man aber, dass hinter seinen
Narreteien System stecke und er wurde jetzt, in persönlicher Begleitung eines Polizeikommissars
mit der Postkutsche nach Mainz gebracht. Dort nahm der Polizist sein
Mittagessen ein und kehrte nach Frankfurt zurück, wo er Pitschaft schon wieder
im Pariser Hof, beim Weine sitzend antraf, kaum in Mainz angekommen hatte der
sich auf den Dienstbotenplatz einer nach Frankfurt fahrenden Kutsche
geschwungen und war so noch vor dem Kommissar wieder hier eingetroffen. Und
wieder flog er raus, nach einer weiteren Nacht im Kastenhospital.
In Frankfurt, der Stadt der Messen und
des Deutschen Bundes gab es viele Zeitungen und noch mehr
Korrespondenten für auswärtige Blätter, Pitschaft unterließ es nicht all diese
über seine Uhlenspiegelstreiche zu informieren und innerhalb weniger Tage
wusste ganz Deutschland darüber bescheid und lachte über ihn und die
Frankfurter Polizei. Der Naturphilosoph, wie er sich nannte, legte sich jetzt
ob seinen Frankfurter Eskapaden den Namen „Pitschaft der Unaufhaltsame“ zu.
Er kehrte immer wieder nach Frankfurt zurück und wurde hier auch
am städtischen Theater vorstellig, wo der Wilhelm Tell von Schiller
gegeben werden sollte und bot an, er könne doch die Hauptrolle übernehmen. In
Frankfurt waren die Zensoren übervorsichtig, man hatte für die
Tell-Vorstellungen sogar die Worte „Österreich“ und „Österreicher“ durch „Fremdlinge“
ersetzt, da brauchte man natürlich keinen Querulanten wie Pitschaft. Gekränkt
von seiner Zurückweisung, man ließ ihn noch nicht einmal kostenlos die
Vorstellung besuchen, brandmarkte er
jetzt das Frankfurter als ein „unphilosophisches Theater“ und flog, nach einem
weiteren Aufenthalt im Kastenhospital wieder aus Frankfurt raus. Nach einem
weiteren Auftritt am 28.Mai 1822 auf dem Frankfurter Wäldchestag und
einer weiteren Ausweisung nach Mainz
kündigte er an, er verlege seien Sitz jetzt in den Isenburger Hof im
hessischen Offenbach und seine Fans strömten nun dorthin.
Nach seinen Deklamationen ließ er jedes
Mal einen Teller herumgehen – „für einen guten Zweck“. Aber obwohl vielerorts
gemutmaßt wurde der “Gute Zweck“ heiße Pitschaft, spendete er das Geld
wirklich, alleine in Frankfurt spendete er 160 Gulden für die Opfer der
Brandkatastrophe in Sulzbach – dafür musste ein Handwerksgeselle ein halbes
Jahr arbeiten !
Im Sommer 1822 ging er jetzt auf große Deutschland-Tournee, die erst 1825 endete. Er reiste kreuz und quer durch Deutschland und hatte sich nach einem Auftritt in Zweibrücken vom dortigen Oberbürgermeisteramt ein Zeugnis geben lassen, dass es sich bei ihm wirklich um einen Philosophen handele, dessen künstlerische Qualität von Experten anerkannt sei, dieses Zeugnis legte er nun überall vor.
Er kam im Januar 1823 auch nach Weimar,
wo sogar Goethe sich für ihn interessierte Er ging zwar nicht
persönlich zu Pitschaft, ließ sich aber über dessen Späße informieren, was er
sogar in seinem Tagebuch vermerkte.
Nicht überall wurde er wohl aufgenommen
und so lernte er auch einige Gefängnisse und Irrenanstalten kennen, so auch im
März 1823, als er gleich dreimal aus Leipzig abgeschoben worden war. Als
man ihn dort in die Kutsche packen wollte, sperrte er sich wie ein Klotz und
setzte dann in der Kutsche zu einem derartigen Geschrei an, das eine
Menschenmenge zusammenlaufen ließ, so dass man es vorzog ihn erst einmal wieder
in das Georgenhaus, halb Anstalt, halb Gefängnis, zu bringen. Im April1824
wurde er aus dem preußischen Rheinland ausgewiesen. Im hessischen Bingen
bestieg er jetzt sofort ein Floß und gab, bis er wieder im preußischen Koblenz
angekommen war, in den Rheinuferorten vom Floß aus Vorstellungen. Auch das
Gefängnis in Koblenz lernte er jetzt von innen kennen. In St. Goar war
er bei seiner Floßfahrt wohl zu nett zu seinen weiblichen Zuhörerinnen
gewesen, was mit einem Bad im Rhein honoriert wurde. Als er im Sommer 1825 aus
Hannover abgeschoben werden sollte, entsprang er nur mit einem Hemd bekleidet
aus der Kutsche lief zum Schloss, um sich beim Herrscher zu beschweren, raufte
dann mit dessen Bediensteten im Schlossgarten und wurde , in einem Wäschekorb
verpackt, zur Kutsche zurückgebracht. Das war wohl zuviel. Jetzt wurde er, auf Antrag
seiner Familie, in das hessische Landeshospital
Hofheim (im Ried) eingewiesen. Das Landeshospital war eine mittelalterliche
Klosteranlage, mit Mauer und Wassergraben umgeben, trotzdem gelang es ihm im
Oktober 1825 aus seiner „Philosophenklause“ auszubrechen und zu fliehen. Er
versuchte am 03.November, in der Uniform eines österreichischen Rittmeisters
gekleidet, die Gräfin von Isenburg zu besuchen, wurde aber festgesetzt
und in das Kurhessische Saalmünster
gebracht. Um dorthin zu kommen, musste der Wagen bayerisches Gebiet
durchqueren. Kaum war die Kinzig, die Grenze, überquert, sprang er aus dem
Wagen, wurde aber überwältigt und jetzt, an Händen und Füssen gefesselt,
weitertransportiert. Zwei Tage später wurde er nach Hanau gebracht – nackt, nur
mit einer Pferdedecke bekleidet, da er seine Uniform jetzt als entehrt ansah
und er sie nicht mehr tragen könne.
Jetzt wurde es ruhiger um ihn, nur noch
ab und zu liest man von ihm. 1826 ist er, von der katholischen Kirche
enttäuscht, zum Protestantismus übergetreten und ab und zu veröffentlichte er
noch neue Broschüren.
1828 wird er, auf Bitten gleich mehrerer
Landesregierungen, wieder nach Hofheim gebracht und 1829, auf Antrag seiner
Familie, entmündigt. (Ein Entmündigungs-Entscheid ohne den Antrag seiner Familie
war zuvor vom zuständigen Gericht verworfen worden, ein sanfter Druck der
hessischen Regierung auf Carls Brüder ist also anzunehmen.).
1830 veröffentlicht er ein letztes Buch,
“Mein Anteil an der Philosophie unserer Zeit“, in dem er seine Philosophie darlegt
und behauptet, Hegel kopiere ihn in seinen Schriften, sein sei „die Monarchey“
!
Immer wieder wurde der Tod Pitschafts
gemeldet, 1823 fand man ihn erfroren in Mainz, 1824 soll er bei einem
Schiffsunglück auf der Fahrt von Amsterdam nach Hamburg uns Leben gekommen
sein, in Hamburg soll er sich, nach einem mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt
dort, im Januar 1825 im Gefängnis erhängt haben. Tatsächlich erhängte er sich
am 21.Oktober 1831 in seiner Zelle in Hofheim, wo es für ihn, den
Selbstdarsteller, wohl nichts mehr zu hoffen gab.
Noch zu Lebzeiten ist er Figur in gleich
mehreren volkstümlichen Theaterstücken geworden, unter anderem auch in
Holteis „die Berliner in Wien“ von 1826, wo der Wiener Friseur Flott seine
angebetete Therese von deren Vater nur zur Frau erhält, als Flott sich als
Pitschaft der unaufhaltsame ausgibt. Er erhält ihre Hand, wird jetzt aber als
Pitschaft von der Obrigkeit verfolgt und ihm droht Haft in einer ungarischen
Festung. Holtei war einer der erste deutschen Schriftsteller, der mundartliche Stücke
verfasste (nach dem Frankfurter Carl Malß selbstverständlich). Pitschaft, der sein ganzes Leben in breitestem Mainzer-
(„Meenzer“) Dialekt sprach, war dafür auch ein dankbares Objekt.