Alexander Ruhe: In Frankfurt zum Star geworden – Pitschaft der Unaufhaltsame. November 2012

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

 

 

Ein schillernder Paradiesvogel war Carl Pitschaft, der in den frühen 1820er Jahren als Wanderphilosoph (manche schrieben es lieber Viehlosoph), in Fässern schlafender Deutscher Diogenes, Schiller-Rezitator, Frauenretter, vor allem aber als Entertainer durch Deutschland reiste. Wegen seiner Beharrlichkeit und seines Ignorierens der Einreiseverbote, die in vielen der damals 38 deutschen Staaten gegen ihn ausgesprochen waren, war sein Name bis weit über die Mitte des 19.Jahrhundert hinaus sprichwörtlich geworden für jemanden, der stoisch und stürmisch sein Ziel verfolgt.

Carl Pitschaft wurde (wahrscheinlich) 1784 in Mainz als Sohn des dortigen Münzdirektors, des Hof- und Kammerrates Pitschaft geboren. Während seine beiden Brüder Jura und Medizin studierten und es im Laufe ihres Lebens zu hohen Orden und ebenfalls Hofratsstellen brachten, ging Carl zum Militär, da Mainz damals zu Frankreich gehörte , zum französischen Militär. Dies schreibt und verbreitet er zumindest selbst, sein Bruder Jean Baptist, der Jurist, dessen Karriere durch seinen wunderlichen Bruder ernstlich gestört worden war – so konnte er 1822 zum Beispiel nicht Mainzer Bürgermeister werden – ordnet ihn aber dem österreichischen Militär zu, viel besser für die Karriere. Nach Carls eigenen Aussagen aber, zog er als Rittmeister mit Napoleon nach Moskau, wo er  für dessen Stab Ordonanzreiter war und nahm dann 1813 auch an der Völkerschlacht bei Leipzig teil. Nach Napoleons Ende kehrte er nach Mainz zurück, wo er sich „mit einem Frauenzimmer von gutem Stand“ verheiratete (eine Tochter war ihm aber schon am 22.August 1811 geboren worden). Diese Frau aber, die er „innig geliebt hatte“, wurde ihm untreu und das warf ihn aus der Bahn (man konnte auch lesen, wegen „unerlaubter Liebeshändel“ habe er im Zuchthaus gesessen); das ganze nächste Jahr verbrachte er in einem Wald in der Nähe von Mainz, wo er in einer Erdhütte hauste und sich veränderte. Obwohl von einer Frau so tief verletzt, war er jetzt milder geworden und erkannte die Frauen als die Krone von Gottes Schöpfung und sich selbst als ausersehen, diese Weisheit zu verbreiten und die Frauen zu schützen (später hatte er sich ein Siegel zugelegt, auf dem er eine nackte Frau umklammert und in diese Richtung ging sein „Schutz“ oft wohl auch, wodurch er sich eine ordentliche Menge an Prügel einhandelte). Nachdem er in Mainz geübt hatte und dort mit seinen unterhaltsamen Vorträgen und Deklamationen, als auch mit seinem Kostüm gut angekommen war (er trug ein schwarzes Samttalar, das er mit einem Soldatengürtel umgab, er trug ein Barett und einen rauschenden Vollbart, dazu war er wohl auch ganz hübsch und strohblond), versuchte er 1822 sein Glück auf der Frühjahrsmesse in Frankfurt. Er stieg im Pariser Hof (hinter der Hauptwache) ab, wo er mit seinen Vorträgen hunderte von Schaulustigen anlockte. Da er aber nicht zahlen konnte, das kündigte er den Wirten immer schon vorher schriftlich an, schlief er nicht in einem der Zimmer des Luxushotels, in dem auch schon Friedrich Schiller seine Star-Laufbahn begonnen hatte, sondern in dessen Stall. Als er dieses Quartier mit einem Fass vertauschen und von dort seine philosophischen Weisheiten verkünden wollte, wurde es der Frankfurter Polizei zuviel und er flog raus aus der Freien Stadt (wenn er später über Frankfurt schrieb, setzte er das „frei“ in Anführungszeichen). Nicht aber mit Carl Pitschaft ! Kaum ausgewiesen, war er auch schon wieder da, nächtigte jetzt aber nicht im Hotel sondern in der Hauptwache, dem Gefängnis. Wieder ausgewiesen und per Schub nach Mainz gebracht setzte er sich dort sofort ins Marktschiff nach Frankfurt, wo er direkt an der Anlegestelle erkannt und erneut verhaftet wurde, jetzt ging es ins Kastenhospital der Irrenanstalt. Dort erkannte man aber, dass hinter seinen Narreteien System stecke und er wurde jetzt, in persönlicher Begleitung eines Polizeikommissars mit der Postkutsche nach Mainz gebracht. Dort nahm der Polizist sein Mittagessen ein und kehrte nach Frankfurt zurück, wo er Pitschaft schon wieder im Pariser Hof, beim Weine sitzend antraf, kaum in Mainz angekommen hatte der sich auf den Dienstbotenplatz einer nach Frankfurt fahrenden Kutsche geschwungen und war so noch vor dem Kommissar wieder hier eingetroffen. Und wieder flog er raus, nach einer weiteren Nacht im Kastenhospital.

In Frankfurt, der Stadt der Messen und des Deutschen Bundes gab es viele Zeitungen und noch mehr Korrespondenten für auswärtige Blätter, Pitschaft unterließ es nicht all diese über seine Uhlenspiegelstreiche zu informieren und innerhalb weniger Tage wusste ganz Deutschland darüber bescheid und lachte über ihn und die Frankfurter Polizei. Der Naturphilosoph, wie er sich nannte, legte sich jetzt ob seinen Frankfurter Eskapaden den Namen „Pitschaft der Unaufhaltsame“ zu.

 Er kehrte immer wieder nach Frankfurt zurück und wurde hier auch am städtischen Theater vorstellig, wo der Wilhelm Tell von Schiller gegeben werden sollte und bot an, er könne doch die Hauptrolle übernehmen. In Frankfurt waren die Zensoren übervorsichtig, man hatte für die Tell-Vorstellungen sogar die Worte „Österreich“ und „Österreicher“ durch „Fremdlinge“ ersetzt, da brauchte man natürlich keinen Querulanten wie Pitschaft. Gekränkt von seiner Zurückweisung, man ließ ihn noch nicht einmal kostenlos die Vorstellung besuchen,  brandmarkte er jetzt das Frankfurter als ein „unphilosophisches Theater“ und flog, nach einem weiteren Aufenthalt im Kastenhospital wieder aus Frankfurt raus. Nach einem weiteren Auftritt am 28.Mai 1822 auf dem Frankfurter Wäldchestag und einer weiteren Ausweisung nach Mainz  kündigte er an, er verlege seien Sitz jetzt in den Isenburger Hof im hessischen Offenbach und seine Fans strömten nun dorthin.

Nach seinen Deklamationen ließ er jedes Mal einen Teller herumgehen – „für einen guten Zweck“. Aber obwohl vielerorts gemutmaßt wurde der “Gute Zweck“ heiße Pitschaft, spendete er das Geld wirklich, alleine in Frankfurt spendete er 160 Gulden für die Opfer der Brandkatastrophe in Sulzbach – dafür musste ein Handwerksgeselle ein halbes Jahr arbeiten !

Im Sommer 1822 ging er jetzt auf große Deutschland-Tournee, die erst 1825 endete. Er reiste kreuz und quer durch Deutschland und hatte sich nach einem Auftritt in Zweibrücken vom dortigen Oberbürgermeisteramt ein Zeugnis geben lassen, dass es sich bei ihm wirklich um einen Philosophen handele, dessen künstlerische Qualität von Experten anerkannt sei, dieses Zeugnis legte er nun überall vor.

Er kam im Januar 1823 auch nach Weimar, wo sogar Goethe sich für ihn interessierte Er ging zwar nicht persönlich zu Pitschaft, ließ sich aber über dessen Späße informieren, was er sogar in seinem Tagebuch vermerkte.

Nicht überall wurde er wohl aufgenommen und so lernte er auch einige Gefängnisse und Irrenanstalten kennen, so auch im März 1823, als er gleich dreimal aus Leipzig abgeschoben worden war. Als man ihn dort in die Kutsche packen wollte, sperrte er sich wie ein Klotz und setzte dann in der Kutsche zu einem derartigen Geschrei an, das eine Menschenmenge zusammenlaufen ließ, so dass man es vorzog ihn erst einmal wieder in das Georgenhaus, halb Anstalt, halb Gefängnis, zu bringen. Im April1824 wurde er aus dem preußischen Rheinland ausgewiesen. Im hessischen Bingen bestieg er jetzt sofort ein Floß und gab, bis er wieder im preußischen Koblenz angekommen war, in den Rheinuferorten vom Floß aus Vorstellungen. Auch das Gefängnis in Koblenz lernte er jetzt von innen kennen. In St. Goar war er bei seiner Floßfahrt wohl zu nett zu seinen weiblichen Zuhörerinnen gewesen, was mit einem Bad im Rhein honoriert wurde. Als er im Sommer 1825 aus Hannover abgeschoben werden sollte, entsprang er nur mit einem Hemd bekleidet aus der Kutsche lief zum Schloss, um sich beim Herrscher zu beschweren, raufte dann mit dessen Bediensteten im Schlossgarten und wurde , in einem Wäschekorb verpackt, zur Kutsche zurückgebracht. Das war wohl zuviel. Jetzt wurde er, auf Antrag seiner Familie,  in das hessische Landeshospital Hofheim (im Ried) eingewiesen. Das Landeshospital war eine mittelalterliche Klosteranlage, mit Mauer und Wassergraben umgeben, trotzdem gelang es ihm im Oktober 1825 aus seiner „Philosophenklause“ auszubrechen und zu fliehen. Er versuchte am 03.November, in der Uniform eines österreichischen Rittmeisters gekleidet, die Gräfin von Isenburg zu besuchen, wurde aber festgesetzt und  in das Kurhessische Saalmünster gebracht. Um dorthin zu kommen, musste der Wagen bayerisches Gebiet durchqueren. Kaum war die Kinzig, die Grenze, überquert, sprang er aus dem Wagen, wurde aber überwältigt und jetzt, an Händen und Füssen gefesselt, weitertransportiert. Zwei Tage später wurde er nach Hanau gebracht – nackt, nur mit einer Pferdedecke bekleidet, da er seine Uniform jetzt als entehrt ansah und er sie nicht mehr tragen könne.

Jetzt wurde es ruhiger um ihn, nur noch ab und zu liest man von ihm. 1826 ist er, von der katholischen Kirche enttäuscht, zum Protestantismus übergetreten und ab und zu veröffentlichte er noch neue Broschüren.

1828 wird er, auf Bitten gleich mehrerer Landesregierungen, wieder nach Hofheim gebracht und 1829, auf Antrag seiner Familie, entmündigt. (Ein Entmündigungs-Entscheid ohne den Antrag seiner Familie war zuvor vom zuständigen Gericht verworfen worden, ein sanfter Druck der hessischen Regierung auf Carls Brüder ist also anzunehmen.).

1830 veröffentlicht er ein letztes Buch, “Mein Anteil an der Philosophie unserer Zeit“, in dem er seine Philosophie darlegt und behauptet, Hegel kopiere ihn in seinen Schriften, sein sei „die Monarchey“ !

Immer wieder wurde der Tod Pitschafts gemeldet, 1823 fand man ihn erfroren in Mainz, 1824 soll er bei einem Schiffsunglück auf der Fahrt von Amsterdam nach Hamburg uns Leben gekommen sein, in Hamburg soll er sich, nach einem mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt dort, im Januar 1825 im Gefängnis erhängt haben. Tatsächlich erhängte er sich am 21.Oktober 1831 in seiner Zelle in Hofheim, wo es für ihn, den Selbstdarsteller, wohl nichts mehr zu hoffen gab.

Noch zu Lebzeiten ist er Figur in gleich mehreren volkstümlichen Theaterstücken geworden, unter anderem auch in Holteis „die Berliner in Wien“ von 1826, wo der Wiener Friseur Flott seine angebetete Therese von deren Vater nur zur Frau erhält, als Flott sich als Pitschaft der unaufhaltsame ausgibt. Er erhält ihre Hand, wird jetzt aber als Pitschaft von der Obrigkeit verfolgt und ihm droht Haft in einer ungarischen Festung. Holtei war einer der erste deutschen Schriftsteller, der mundartliche Stücke verfasste (nach dem Frankfurter Carl Malß selbstverständlich). Pitschaft, der sein ganzes Leben in breitestem Mainzer- („Meenzer“) Dialekt sprach, war dafür auch ein dankbares Objekt.

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