Alexander Ruhe: 1813 - Das Fleckfieber und die Landkarten. Februar 2019
Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Anders als heute, war es zu Napoleons Zeiten in Frankfurt ein Fluch, Immobilienbesitzer zu sein; Kontributionen, Kriegs-Schatzungen und Einquartierungen durchmarschierender Soldaten, alles wurde auf die Besitzer der Häuser Frankfurts abgewälzt. Und 1813 marschierten sie wieder, die Soldaten. Tausende zogen auf ihrem Weg in den Krieg durch Frankfurt und mussten hier einquartiert und verpflegt werden. Zusätzlich zu den vielen Durchmärschen, stellte der französische Marschall Mortier auch noch die Junge Garde, eine aus Italienern bestehende Eliteeinheit von 10.000 Mann in Frankfurt neu auf und drillte sie zwei Monate hier, bevor er mit ihnen in Richtung Sachsen in den Krieg zog.
Aus diesem Krieg kamen Frankreichs Soldaten auch schon bald wieder nach Frankfurt zurück, meist zerschossen und krank auf der Ladefläche eines Ochsenfuhrwerks. Für viele dieser Ochsengespanne war Frankfurt das finale Ziel, denn die malerisch am Main gelegene Stadt im Kreuzungspunkt vieler Heerstraßen, hatte sich zur Lazarettstadt entwickelt.
Um Ansteckungen zu vermeiden, hatte man außerhalb der Stadt, auf der Pfingsweide (dort befindet sich heute der Zoo) Baracken für 2000 Kranke und Verwundete eingerichtet, wo sie von Frankfurter Ärzten versorgt wurden. Nach der Völkerschlacht von Leipzig wollte der Zug der Verwundeten aber kein Ende mehr nehmen und so mussten nun auch andere Lokalitäten mit Verwundeten belegt werden, mehr als 4000 lagen in der Stadt. In Frankfurt selbst aber war die Situation, abgesehen von der drückenden Abgabenlast, noch recht gut. Anders sah das auf dem Lande aus. Verfolgt von den Kosaken des russischen Zaren zogen die geschlagenen Truppen Napoleons plündernd durch Deutschland und die Kosaken hielten das nicht anders. Links und rechts der Hohen Straße, der einzigen Hauptstraße zwischen Leipzig und Frankfurt verödeten von ihren Bewohnern verlasse Dörfer, verödeten zum Teil auch entvölkerte Dörfer, denn sowohl Franzosen als auch die Russen verbreiten das Fleckfieber, eine durch Läusekot verbreitete Krankheit, die für viele der hungernd und ohne ein Dach über dem Kopf durch Deutschland Ziehenden ein Todesurteil bedeutete. Was für eine Erleichterung also nach solchen Strapazen endlich in eine Stadt wie Frankfurt zu kommen, wo es ein Bett oder doch zumindest einen Strohsack für einen gab, etwas zu essen und einen Arzt, der nach einem schaute.
Lange durften sich die kranken Franzosen hier aber nicht ausruhen, der Feind kam immer näher und wer noch irgendwie transportfähig war, wurde in Richtung Mainz auf den Weg gebracht - für das damals französische Mainz eine Katastrophe, erst im Herbst 2018 wieder wurde dort bei Bauarbeiten ein Massengrab aus dem Fleckfieberjahr 1813/14 gefunden. der damalige französische Name für das Fleckfieber lautete nicht von ungefähr Typhus de Mayence. Auch in Frankfurt ist man bei Bauarbeiten, speziell im Zoo und auf dem Areal der Unikliniken, 2015 auch in Rödelheim, immer wieder auf Lazarettgräber aus dieser Zeit gestoßen. Rödelheim war direkt im Anschluss an den Rückzug der Franzosen erst von Bayern, dann von russischen Kosaken und Husaren besetzt worden. Die Bewohner Rödelheims flohen am 03.November nach Frankfurt, was die Verbreitung des Typhus sicherlich zusätzlich beförderte.
Bedingt durch die fluchtartige Evakuierung der
französischen Lazarette, verbreitete dich das Fleckfieber jetzt erstmals auch in
der Stadt unter den Frankfurtern und den ersten Fleckfiebertoten hatte man am
26.Oktober 1813 zu beklagen. Am gleichen Tag hat auch der Generalinspekteur
des französischen Nachschubs, General Sahuc, der sich persönlich um das
Wohlergehen der Lazarettinsaßen gekümmert hatte, sein Frankfurter
Typhusgrab auf
dem Peterskirchhof gefunden. Zwar kein Heimtransport nach Paris für den
französischen General aber auch kein Platz im Massengrab.
Als letzter Franzose kam Kaiser Napoleon durch Frankfurt. Dieser hatte mit den Resten seiner Truppen vor Hanau noch einmal eine siegreiche Schlacht geschlagen und wollte jetzt durch Frankfurt marschieren. Mit vielen guten Worten und auch viel Geld und auch der Erwähnung, was man hier doch in den Lazaretten alles Gutes für Frankreich und seine Soldaten getan hätte, bewog man ihn, sich bei Frankfurt zu bedanken und statt durch Frankfurt, in strömendem Regen um Frankfurt herum zu ziehen, quer durch den gerade von Gärtnermeister Rinz angelegten Anlagenring. Schlecht für den Anlagenring aber gut für Frankfurt, dem damit wohl das Schicksal das Mainz zu erleiden hatte, erspart blieb.
Kaum war Napoleon aber weg, wurde Frankfurt befreit. Das hieß konkret: statt tausender Franzosen, lagen jetzt zehntausende von Preußen, Österreichern und Russen in der Stadt und auch ihren Lazaretten und das Fleckfieber wurde jetzt auch unter der Zivilbevölkerung ein ganz ernstes Problem. alleine im November, Dezember und Januar starben tausend Frankfurter am Fieber. Noch Tage nach dem Abzug der Franzosen, hatten tote Pferde, aber auch tote Soldaten unbeachtet in den Straßen gelegen. Wenigstens war aber ebenfalls 1813 "zur Bruderliebe", Frankfurts erste Krankenkasse gegründet worden.
Wenn die Kosaken, von den Frankfurtern damals "Musje" genannt, auch überall sonst als Plünderer aufgefallen waren - als die Bauern von Schwalbach im Taunus sich gegen die Kosaken wehrten, führte das zu vielen Toten - in Frankfurt haben sie sogar etwas von sich dagelassen. Ein Kosak, der im Römer auf Wache gestanden hatte, hat seine Reiterlanze vergessen. 1889, als die Einbauten des Höfchens entfernt wurden, wurde sie gefunden und zur Erinnerung in die Wand eingelassen.
Ein russischer Soldat, der sich in der Regel nicht mit Bier zufrieden gab, sondern - viel teureren - Branntwein forderte, kostete den Quartierherren doppelt soviel wie ein französischer oder auch ein preußischer Soldat, die sich hier auch benahmen, wie im Feindesland.
Aber trotz Kosaken, Typhus und der großen Not. Auch Kaiser, Könige und Herzöge und mit ihnen der halbe Hochadel Europas befanden sich damals in Frankfurt. Und wer den russischen Zaren mal auf der Straße sehen oder mit dem preußischen König mal zusammen im selben Theater gesessen haben wollte, der kam hierher. Auch an Militär-Paraden und an Konzerten der zahlreichen Militärkapellen mangelte es nicht. Selbst die dazugehörige Yellow-Press, die darüber berichtete gab es schon.
Statt französischer Kranker bevölkerten jetzt fast 2000 österreichische Kranke und Verwundete die Baracken auf der Pfingstweide. Diese Baracken hatte die Frankfurter extra mit 80 Wagenladungen Moos aus dem Taunus isoliert, trotzdem war es darin so kalt, dass im Januar die Medizin in den Flaschen und sogar das Brot gefror. Als diese Baracken dann im Februar 1814 abbrannten, getrocknetes Moos brennt gut, schleppten die Frankfurt selbstlos die Österreicher auf ihren Rücken in die Stadt und das Fleckfieber, das schon im Abklingen war flammte wieder auf. Desinfiziert wurde mit Moskowiter Räucherpulver.
Weniger gut als die Österreicher hatten es die in Frankfurt gestrandeten Franzosen. Noch Wochen nach Napoleons Abzug kamen versprengte Franzosen auf ihrem Weg von Leipzig und kamen Kriegsgefangene in die Stadt. Viele von ihne wurden in das Leinwandhaus am Dom eingesperrt, wo sie die Frankfurter durch die Gitter nach Brot anbettelten und wo sie auch starben. Jeden Morgen hielten Karren unter dem Haus und aus dem zweiten Stock wurden die Leichen der nachts Verstorbenen heruntergeworfen. Solch eine Arbeit wollte natürlich niemand machen, deshalb setzte man dafür Sträflinge ein.
Vom Fleckfieber aber einmal abgesehen, hatte das in diesem Winter in Frankfurt lagernde Hauptquartier der Allierten noch ein ganz anderes Problem: es mangelte an Allem und wo, wenn nicht in einer Kaufmannsstadt wie Frankfurt, hätte man die Depots wieder auffüllen können, jetzt wurde eingekauft.
Ein ganz besonderes Problem, es mangelte den Offizieren an Landkarten. Über die Hohe Straße von Leipzig nach Frankfurt zu ziehen und überall (zumindest in den Städten) als Befreier gefeiert zu werden, war das eine, wenn man aber ab dem Rhein durchs Feindesland zog, musste man schon etwas besser wissen, was hinter dem nächsten Hügel kam und wo man vielleicht Truppen Station machen lassen könnte, jetzt mussten Landkarten her und die gab es in der Verlagsstadt Frankfurt, allerdings nicht genug und so wurden sogar gebrauchte Karten angekauft, um sie ans Militär weiterverkaufen zu können
und dass die einfachen russischen Soldaten, die man im Quartier hatte kein Deutsch oder Französisch sprachen war auch ein Problem, aber eines, dem man in Frankfurt weiterhelfen konnte.
Dazu einige meiner Funde aus dem Frankfurter Anzeigenblättchen: