Alexander Ruhe: 1914 - Touristen gestrandet in Frankfurt. Januar 2016 

Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie

 

Während des wunderbaren Sommers 1914 hatte es tausende von amerikanischen Touristen nach Europa verschlagen, auch nach Deutschland und Österreich. Etliche hundert Amerikaner befanden sich alleine in den böhmischen Bädern Karlsbad und Marienbad, als Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärte und mobil machte. Diese Mobilmachung war sehr unangenehm für Touristen aus - nun - feindlichen Nationen - in den letzten Julitagen hatten Massen von russischen und französischen Touristen Frankfurt fluchtartig verlassen und 130 männliche Briten waren nach Deutschlands Kriegseintritt alleine in Frankfurt verhaftet worden -  für "neutrale" Touristen, wie Amerikaner zum Beispiel, bedeutete es aber immerhin in Österreich fest zu sitzen, denn während der Mobilisation der Truppen, war die Eisenbahnbenutzung für Zivilisten gesperrt. Die Amerikaner schlugen sich nun über die nahe deutsche Grenze durch, Deutschland war in diesen Krieg, der ja nur Österreich und Serbien zu betreffen schien, noch nicht eingetreten. Als aber wenige Tage später auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien in den Krieg eintraten, wurde es für die amerikanischen Touristen  auch in Deutschland schwierig. Bis 1914 brauchte man anscheinend als Amerikaner keinen  Reisepass, um einmal um die halbe Welt zu reisen, Kreditbriefe, die belegten, dass man zahlungskräftig war, reichten voll und ganz - bis eben in den August 1914. Jetzt wollten deutsche Polizisten und Soldaten sehr wohl die Pässe von Ausländern sehen und Amerikaner hatten Mühe zu beweisen, dass sie keine "feindlichen" Briten waren. Schlimmer noch; auch die - oft auf britische Banken ausgestellten - Kreditbriefe waren nun in Deutschland nicht mehr viel wert und so kamen die Touristen - auf verschlungenen Wegen, Eisenbahn fahren durften sie ja nicht - in die Städte, in denen es amerikanische Konsulate gab, allein 900 Touristen kamen nach Frankfurt. Ein amerikanisches Ehepaar rückte erst einmal ins Frankfurter Gefängnis ein. Ohne Reisepass zu reisen, das ging vielleicht noch an, aber auch noch in einem französischen Auto? Das mussten ja Spione sein! Aber Frankfurts Bürgermeister persönlich holte sie aus dem Gefängnis heraus, sie erhielten in Frankfurt einen amerikanischen Pass und dürften nach Bad Nauheim weiterreisen, wo sie vier Wochen zur Kur blieben. Ein anderes amerikanisches Paar gelangte von Budapest kommend, in ettlichen Zügen umsteigen müssend nach Frankfurt. In Würzburg stieg ein deutscher Offizier in ihr Abteil, der unterwegs als russischer Spion erkannt wurde und von einer wütenden Volksmenge aus dem Zug gezerrt und schwer mißhandelt wurde. Die beiden Amerikaner hielt man gleich auch für Spione, aber Soldaten retteten sie und sie wurden wohlbehalten nach Frankfurt gebracht.

Alles in allem ging es den Amerikanern (anders als Franzosen, Briten oder gar den polnischen Landarbeitern) in Frankfurt gut, hatte doch schon Mitte August die Frankfurter Zeitung die Deutschen dazu aufgerufen, nett zu den Amerikanern zu sein. So reichte es zum Beispiel einen Mann zum Schweigen zu bringen, der im Frankfurter Hof einen Liftboy angeraunzt hatte, warum er denn Englisch spräche, indem der Junge sagte, er würde ja gar kein Englisch, sondern Amerikanisch sprechen. Unter dem Schutz eines Eisenbahnabteils voller Amerikaner, soll es sogar einem russischen General und seiner Frau gelungen sein, aus Frankfurt zu entkommen (stand so zumindest in einer amerikanischen Zeitung).

Der amerikanische Konsul Harris versuchte alles, die Situation für die 900 in Frankfurt gestrandeten  US-Bürger erträglicher zu machen, aber hunderte von Pässen auf einen Schlag fertig zu machen, das überforderte das Konsulat in Frankfurt erst mal - neben Harris arbeitete dort nur noch ein älterer Herr, das "Faktotum" des Konsulats - zudem ja nicht nur reiche Leute mit Kreditbriefen da waren, sondern auch deren Dienstboten, und die Amerikaner mussten bleiben.

Die Amerikaner mussten bleiben, zumindest wenn sie keine VIPs waren. Diese nämlich, wie zum Beispiel der US-Senator Clarence W. Watson,  erhielten Militärpapiere, wurden mit Autos nach Biebrich gebracht und konnten von da mit dem Rheindampfer nach Holland fahren. Wer abenteuerlustig war, mietete sich ein Auto und versuchte sich auf eigene Faust nach Holland durchzuschlagen. Gar nicht einfach, wie man in der Reisebeschreibung eines Arztes aus Chicago nachlesen kann, der im August 1914 nach Paris kam, sich von dort nach München durchschlug um dort seine Nichte abzuholen und mit dieser nach Rotterdam zu fahren. Zwar war der Besitz von Benzin für Zivilisten jetzt verboten, aber in einem Deutschland, in dem Kaufleute sich ganz offen weigerten, deutsches Papiergeld anzunehmen, in dem Gold- und Silbermünzen von heute auf morgen aus dem Alltag verschwunden waren, hatte der amerikanische Dollar wohl immer noch einen guten Ruf. Ein deutsch-amerikanischer Industrieller, der ohne Pass und seines deutschen Namens wegen in England für drei Tage im Gefängnis gesessen hatte, reiste mit seinen Dollars und seinen, mit Bild versehenen, britischen Gefängnis-Entlassungspapieren ohne Probleme durch das Frontgebiet und bekam in Frankfurt vom deutschen Militär sogar ein paar französische Kriegsgefangene vorgeführt (was will man als Tourist denn mehr, da würde ich sagen: eine gelungene Reise).

Alle anderen jedoch mussten in Frankfurt bleiben und gründeten hier gleich ein Komitee, mit etlichen Unter-Komitees, die im Frankfurter Hof tagten. Diese Aktivitäten blieben auch der Frankfurter Polizei nicht verborgen und der Polizeirat Passavant fragte mal nach, was denn hier vor sich ginge. Als sich aber herausstellte, dass alle Amerikaner seien und man auch noch großzügig dem Deutschen Roten Kreuz gespendet hatte, durfte man weiter machen, ja sogar in Frankfurt geschriebene Postkarten nach Hause, kamen ein paar Wochen später dort auch tatsächlich an. 

Als die Mobilisierung dann abgeschlossen war und die deutsche Armee in Belgien und Frankreich erste Siege erzielt hatte, lud man die amerikanischen Touristen zu einer patriotischen Feier ein, auf der auch eine hessische Prinzessin und der antisemitische Paulskirchenpfarrer Werner Reden hielten, setzte sie in einen Sonderzug nach Rotterdam und Ende September 1914 waren all die gestrandeten Touristen wieder in den USA, wo dann reihenweise Zeitungsberichte über die Abenteuer der Touristen im kriegerischen Deutschland erschienen. Diese Artikel waren keineswegs feindselig und es schien so ein bisschen sogar eine pro-deutsche Stimmung zu herrschen, wie man vielleicht auch aus der im September 1914 in den USA erschienenen Karikatur ersehen kann.

Reisen nach Europa waren in den USA auch schon damals sehr populär. Für 970 $ ( damals der Preis von knapp 1,5 Kilo Gold) konnte man eine 66 Tage Tour durch ganz Europa buchen, eine Tour, die in amerikanischen Zeitungen beworben wurde.

 

das nächste Bild zeigte Insbruck, „eine der an malerischsten gelegenen Städte der deutschen Alpen“

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