Im alten Frankfurt war das mit der Zeit ganz einfach:
Wenn die Sonne im Zenit stand, dann war es 12 Uhr mittags, wenn es dunkel war,
dann war es Nacht. So ganz genau messen
konnte man das nicht, aber auf halbe oder gar viertel Stunden kam es den alten
Frankfurtern auch nicht an. Tagsüber arbeitete man einfach so lange, bis es
dunkel war und im Dunklen sagte einem schon der Nachtwächter des
Quartiers, wie spät es war (Stunden wurden ausgesungen, die Viertelstunden
ausgepfiffen). Dumm war es nur, wenn man an der Grenze von zwei oder drei
Nachtwächterbezirken wohnte, diese sangen die Zeit nämlich ganz und gar nicht
synchron aus.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden die Zeiten aber
schneller, alles wurde nun vermessen, berechnet, gewogen und klassifiziert.
Auch war das Postkutschennetz wesentlich enger geworden und es kam immer
mehr auf die Pünktlichkeit der Fahrpläne an. Deshalb war es dann in Frankfurt
auch zuerst die Direktion der Thurn- und Taxis-Post, die sich
beschwerte, dass die Turmuhren alle eine unterschiedliche Zeit anzeigten und
untereinander sogar um bis zu einer halben Stunde variieren würden, das wäre
nicht gut.
Der Rat der Stadt reagierte und im Herbst 1830
errichtete man auf dem Rossmarkt ein Gnomon, eine
Mittagslinien-Sonnenuhr. Das ganze war ein Obelisk mit einer Kugel auf der
Spitze, an deren Schatten man die mittlere Sonnenzeit ermitteln wollte. Für die
Wintermonate, in denen das Licht und die Schatten diffuser sind, hatte man noch
eine Metallstange am Obelisken angebracht, deren Schatten alle Zweideutigkeiten
ausschließen sollte.
So richtig gut scheint das aber nicht funktioniert zu
haben, denn immer wieder konnte man in den Zeitungen lesen, dass die
städtischen Uhren alle eine andere Zeit anzeigten. Das Problem war, dass das
mit dem Zenit der Sonne eigentlich nur am Äquator so richtig gut klappt. Bei
uns, auf dem 50. Breitengrad, stimmt das nur an ca. 20 Tagen im Jahr, im Sommer
aber „geht die Sonne langsamer“, im Winter schneller, was zu Abweichungen von
+/- 15 Minuten führt.
Zum Glück gibt es in Frankfurt aber den Physikalischen
Verein, der das ganze jetzt in die Hand nahm und dieser richtete im Sommer
1838 auf dem Turm der neuerbauten Paulskirche eine Messstation ein. Mit
einem Sextanten und einem exakten Chronometer wurde jetzt, für alle städtischen
Uhren verbindlich, die mittlere Zeit ermittelt. .
Auch dieses Verfahren war nicht ganz einfach. Jeden Tag stieg ein Mitglied des physikalischen Vereins um 11.40 Uhr auf den Turm, las die Zeit vom Chronometer ab, maß mit einem Theodoliten den Sonnenstand und justierte die Uhr nach. Zwei Minuten vor Zwölf gab er dann dem städtischen Uhrmacher, der auf dem Turm der Katharinenkirche stand und seinem Gehilfen, auf dem Domturm (viel mehr Stufen !) ein Glockensignal, das er dann ab 22 Sekunden vor Zwölf im Zweisekundentakt wiederholte, so dass er zwölf Signaltöne gab, die von den zwölf Glockenschlägen der Turmuhren abgelöst wurden. Alle anderen Uhren in der Stadt wurden dann nach diesen beiden gestellt, und das bis etwa 1920.
Die Mitglieder des physikalischen Vereins waren so gewissenhaft, dass sie auch Nachts auf den Turm der Paulskirche stiegen, um die Zeit am Laufe der Planeten zu überprüfen. Anfang Mai 1848 sorgte das aber für Missverständnisse. Als um Mitternacht jemand die Tür zur Paulskirche aufschloss, in der ja gerade das Vorparlament tagte und dann auf dem Turm auch noch mit Streichhölzern hantiert wurde, löste ein aufmerksamer Soldat auf Wache Großalarm aus und die Paulskirche wurde umstellt.
Aber die Zeiten wurden noch schneller. 1839, kaum ein Jahr nach Einführung einer exakten Zeitmessung, lagen schon die ersten Bahnhöfe um Frankfurt und die Stadt entwickelte sich zum deutschen Eisenbahnkreuz, in dem das preußische auf das süddeutsche Eisenbahnnetz stieß.
Die Eisenbahnen waren viel schneller als die
Postkutschen und jetzt störte es plötzlich, dass es in Frankfurt erst eine
halbe Stunde später 12 war als in Dresden, dafür aber eine halbe Stunde
früher als in Paris.
Fuhr man 1872 z.B. von Frankfurt nach Lahnstein,
dann galt für den Fahrplan der Abfahrt die Frankfurter Zeit, ab Wiesbaden
aber die Lahnsteiner Zeit, die sich um drei Minuten unterschied. Die
Eisenbahnverwaltungen einigten sich dann auf Eisenbahn-Standard-Zeiten
, aber,
wie sich das in Deutschland gehört, nicht auf eine einzige, sondern jeder auf
seine eigene. In Preußen, zu dem Frankfurt jetzt auch gehörte, galt die
Berliner Zeit als Eisenbahnzeit, in Sachsen die Leipziger (4 min Unterschied),
in Bayern die Münchner, in Württemberg die Stuttgarter und in Baden die Karlsruher
Zeit. In Österreich galt die Prager Zeit, in den ungarischen Gebieten aber die
Budapester Zeit (14 min Differenz). Das ging so bis zum 01.April 1893,
da wurde in Deutschland die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) eingeführt, in
Frankfurt wurden die Uhren 25 Minuten und 16 Sekunden vorgestellt und
alles war gut.