Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Jetzt, im Jubiläumsjahr 2023 -175 Jahre Paulskirche, biete ich auch regelmäßig Führungen zum Thema Frankfurt 1848 an. Gleich bei einer der ersten dieser Führungen dieses Jahr, sprach mich ein Herr an und erzählte mir, sein Ururgroßvater sei damals Abgeordneter der Nationalversammlung gewesen, von ihm hätte man auch noch ein Poesiealbum, das man aber leider nicht mehr lesen könnte, wegen seiner alten Schrift.
Ich bat ihn, ob er es mir schicken könnte und noch am selben Abend hatte er mir Fotos der Poesiealbum-Seiten geschickt. Aufgrund dieser Fotos habe ich nun die Eintragungen des Albums aus der alten deutschen Kurrentschrift in unsere Schreibweise übertragen. Eigentlich dachte ich, dass ich "Sütterlin" ganz gut lesen könnte, verbringe ich doch viel Zeit im Frankfurter Stadtarchiv und hatte ich auch jetzt in der Zeit des Corona-Lockdowns das alte Backbuch meiner Urgroßmutter, die ihre Rezepte zwischen 1910 und 1930 aufgeschrieben hatte, für meine Kinder transkribiert, einen Text zu übertragen, der alle paar Zeilen einen anderen Schreiber hatte, stellte sich als deutlich schwieriger heraus als gedacht. Ab und zu musste ich also mit (...) gekennzeichnete Lücken hinterlassen. Wer diese Worte entziffern kann oder auch eine der Unterschriften, die ich nicht lesen konnte, zuordnen kann, ist herzlich eingeladen, mir dies mitzuteilen.
Man kennt andere Poesiealben von Abgeordneten der Paulskirche, die allermeistens in einer akkuraten Schönschrift gehalten sind, das gilt für dieses, bislang unveröffentlichte Album nicht. Die meisten der Verse sind nicht zuhause, im stillen Kämmerlein verfasst worden, sondern auf den engen Bänken der Paulskirche - und so sieht das Schriftbild dann auch aus.
Das macht diese Album aber um so authentischer, drei Mal gehen die Parlamentarier, als sie ihre Verse schrieben, sogar auf die aktuellen Diskussionen ein, die gerade im Hintergrund zu hören waren.
Das Poesiealbum wurde von Emil Franz Rößler (1815-1863) geführt. Rößler war ein Deutschböhme (der Begriff "Sudetendeutscher" ist wesentlich später als politischer Kampfbegriff entstanden) und obwohl er eigentlich in Wien lebte, zog er für das deutschböhmische Saaz (heute Zatec) in die Paulskirche ein. Rößler war Mitglied der Fraktion Württemberger Hof und nach dessen Teilung, Mitglied des Augsburger Hofs. Auch viele der Abgeordneten, die eine Widmung in sein Album schrieben, entstammten dem Augsburger Hof, mehr noch dem Casino und ein paar wenige Linke und Rechte sind auch dabei.
Verewigt haben sich: Adolph Boeking, Ernst Merck, Theodor Paur, Hans von Raumer (2x), Titus Mareck, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Daniel Bassermann, August Hollandt, Gustav Rümelin, Adolf von Zerzog,Johann Gustav Heckscher, Gabriel Riesser, Gustav Langerfeldt, Gustav von Keller, Ferdinand Haubenschmid, Rudolf Haym, Andreas Ludwig Jakob Michelsen, Georg Waitz, Friedrich Ludwig Jahn, Friedrich Magnus Steindorff, Georg Beseler, Wilhelm Schrader, Christian Friedrich Wurm, Ignaz Döllinger, Johann Albert Dröge, Friedrich Siegmund Jucho und fünf Abgeordnete, deren Unterschriften ich nicht entziffern konnte.
Interessanter Weise taucht das Wort "Demokratie" nur in einem der Verse auf, die deutsche Einheit wird aber von fast allen beschworen.
Gemeinsam mit dem Augsburger Hof stimmte er, der Österreicher, für das preußische Erbkaisertum, was ihm sein berufliches Fortkommen nach der Rückkehr nach Wien unmöglich machte. Er siedelte nach Deutschland über, erlangte aber auch hier keine Professur und nahm sich 1863 das Leben.
Nun das Poesiealbum:
Adolf von Zerzog Album’s Worte
Herrn Boeking aus Traebach
Ach wie steckt die deutsche Karre
Wieder einmal tief im Dreck
Und fünfhundert
(…) Narren
Bringen all ihn nicht vom Fleck
Keiner wills beim Zipfel greifen
Der zieht er ist der Hott
Oh erbarm dich guter Gott.
Hau uns das die Lungen pfeif(f)en
Erst brauchen wir noch Schläge, nach geht’s schon Herr
College!
Frankfurt am 19.Dezember (1)848
Herr Merck aus Hamburg
Wer’s lassen sich verspüren,
dass er mit Gott es hält
der muss ausbombadieren
die arge böse Welt.
Herr Paur aus Neisse
Monas, Trias, Directoren
Kaiser erblich wie erkoren
Turnus Directorium
Rumpedeibum Rumbambum
Auf die neue Mode
Kugeln Schrapnell auch Granaten
Bruderstaat und Schweinebraten
Republik und Leberwurst
Sakrament ich habe Durst
Auf die alte Mode
Quergeschrieben
Politisch skandaliere was alter
Staatsmanns die Oberhauptsfrage betreffend
Frankfurt bei Sauerländer und Valentin Febr. (1)849
Herr Hans von Raumer
Schon sieben Monat oder acht
Der endes gesetzte hat nachgedacht
Wer von den Dreien am Dümmsten waer
Die Fürsten, die Völker oder er
Er hat gesonnen Tag und Nacht
Habs aber nicht herausgebracht
Paulskirche 15.Januar (1)849
Für den selben
Gebt nur für jeglich unnütz Wort
Einen blanken Louis’dor sofort
Und wär ein jeder schlechte Rat
Nur flugs ein Reichssoldat
Und hat für jeden falschen Schluss
Ich einen Kanon von rechtem Guss
Da könntet Ihr von Reichswegen
Euch ruhig zu Euren Weibern legen
Und machen was ihr wollt und könnt
Das Kaisermachen hät ein End
Der Kaiser säss hier fertig
Und Eures Rufs gewärtig
Von wegen früherer Erblichkeit
Erkläre ich mich gern bereit
Nach Vorgang meines türkischen Kollegen
Mir noch ein paar Kaiserinnen zuzulegen
Denn was tut nicht ein Patriot
Sieht er das Vaterland in Not
Am 19.Januar (1)849
Herr Mareck aus Steiermark
Ös Demo und Bureau und Aristokraten
Ös Pfaffen, Herrn von Gottesgnaden
Wär ich der lieb Herrgott nur anderthalb Tag
Kreuzmohrndunnerwetter und Teufel – die Schläg!
Die Freiheit ist der Seelen Stahl
Und ritterliche Wehr der Braven
Die Freien trägt der Sternensaal
Der Teufel herrschet über Sklaven
Zur Erinnerung an
Gemeinsame Wünsche ,Sorgen
Und Hoffnungen Für ein geliebtes Vaterland
Ernst Moritz Arndt
(…) (…)
Frankfurt den 22.Hornung (Februar) 1849
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*
Zur freundlichen Erinnerung an einen
näher-
stehenden und in vielfache Beziehungen getretenen
Genoßen beim großen, leider nur(…)
deutschen Verfassungswerke
Paulskirche 27.Feb. 49
Unterschrift( …)
Niemand muss müssen,
wer aber will der muss,
und wer Einsicht hat der will,
26.Feb.49 Bassermann
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Volkswirtschaft!
Keine Fürstenwirtschaft
Unsre Freiheit, nicht solche,
wie sie von Buß uns eben
vorpredigt!
Paulskirche 26.Febuar 1849
A.Hollandt
Aus Braunschweig
Kracht’s gleich, bricht’s doch nicht,
bricht’s gleich, bricht’s nicht mit dir
Paulskirche
26.Feb,1849
G.Rümelin aus Würtemberg
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Unleserlich
Frankfurt den 26.Feb.1849
Warnung an Herrn Proffessor Roeßler aus Wien
O Roeßler, o Roeßler
Willst Di net bekehrn,
so kann no aus Dir gar a‘
Lohnroeßler wer’n
Frankfurt 26.02.49
Adolf von Zerzog
unleserlich aus Regensburg
Obgleich aus Wien und aus
Hamburg, wir haben in allen
Fragen zusammengestimmt
Und werden stets in allem übereinstimmen
Darin (…) überzeugt Ihr freundschaftlich
Ergebener College
Gustav Heckscher
Aus Hamburg
Frankfurt a/M im Parlamente
26.2.49
Auf frohes Wiedersehen in
einigem Vaterlande !
Bis dahin gedenken Sie auch in
(…) (…) freundlich
Ihres herzlich ergebenen Collegens
G.Riesser
Paulskirche zu Frankfurt a.M.
26.Februar 1849
Der geht nach Norden, der nach
Süden,
das Ziel ist eins, der Weg ver-
schieden.
Frankfurt am 27.Februar 1849
Zur Erinnerung Ihres norddeutschen Collegen und
Freundes
G.Langerfeldt von Wolfenbüttel
Der Streit ob der Name Rößler seine Ab-
stammung von der Rose oder vom Rosse habe
blieb hier unentschieden
Gunst bei den Frauen, das andere bei den Männern,
so meine ich in Bezug auf den Inhaber dieses
Büchleins und dieses Namens nach reichlicher
Untersuchung
Rößler ist aus einer Combination
Von Ros und Ross entstanden.
Pauls-Kirche den 1.März 1849
G.Keller aus preußisch Thüringen
Hast von des deutschen Reiches Warten –
Du stolzer, mächt’ger Doppelaar ! –
Auf hohen wallenden Standarten
Herabgeblickt manch hundert Jahr.
Und als der alte Baum ersunken
Hielt‘st harrend Du im Osten Wacht
Nun ruft die Freiheit siegestrunken:
„O komm zurück! das Reich erwacht!“
Du kannst dich nicht der Fahn entwöhnen
Mit der du flogst zum Siegesglück
O bring das Banner samt den Söhne
Des Ostens treu dem Reich zurück
Frankfurt den 01.März 1849
Ferdinand Haubenschmid
Aus Passau
Ein anscheinend loser Zettel, ganz hinten im Album:
Der Abgeordnete Karl (…) von Kärsinger (kein Paulskirchenabgeordneter)
(…) Pfleger aus Tanerweg
Gezeichnet von Haubenschmid aus Passau
Des Büchleins Zuschnitt ist ein wenig
Knapp:
Geht doch der Freundschaft drum
Nicht ab!
Desgleichen kann in „Deutschland
klein“
Groß‘ Macht und groß Freiheit
Sein.
Erinnern Sie sich bei diesem
oder trotz dieses
Fiebelverses
Ihres Collegen Haym
Paulskirche 1.3.49
Auf kräftiges Wiedersehen nicht allein
Auf dem Gebiete germanistischer Wissen-
schaft, sondern auch auf realem
Boden germanischer Freiheit und Einigung!
Zum freundlichen Andenken
ALJ Michelsen
P
Die Professoren haben allezeit
Für Deutschlands Einheit gestrebt.
Sie sollten jetzo seine Theilung
Wollen? Ich
denke wir werden
Das Gegentheil beweisen
Und Sie werden helfen, ob Sie in Gross-
Oder in Klein-Deutschland wohnen.
Georg Waitz aus Flensburg
In der Paulskirche
1.März 1849
„Wo der Geyer auf dem Gatter sitzt,
Gedeihen die Küchlein selten
Welcher Vogel sich selber die Federn splitzt
Wird es im Winter entgelten“
So singt ein altes thüringisches
Volkslied, als dort innerliche Fehden
Und wie immer um
nichts
und wieder nichts brauten. Das Lied
hat noch seine Geltung und die
Pauluskirche sollte obige Zeilen
als Warntafel aufnehmen.
Frankfurt im Lenz 1849
Friedrich Ludwig Jahn
Geboren 11.August 1778 zu Lanz in der
Westprignitz/ Mark Brandenburg
Wohnhaft seit 1825 in Nordthüringen
(hier fehlt ein Stückchen, wahrscheinlich Freiburg
(heute Freyburg)) An der Unstrut
Andenken zu
Unterschrift unleserlich
Frankfurt a/M
Den 12.März 1849
Zur Erinnerung an Ihren
flüchtigen Collegen der gar
Zu gerne Ihr nährer Freund geworden wäre
Hamburg den 25.Mai 1849
O werde endlich weiser,
die Freude ohne (…
und wähl dir einen Kaiser
und zwing ihn dass er‘s wird
St.Paul d. 12.März
Als Welcker seinen
dringlichen Antrag gestellt
hatte …
Welcker stellte einen Antrag über den er aber erst abgestimmt haben wollte, wenn alle ihn gedruckt vorliegen haben würden A.d.A.
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Essetai hēmar !
(griechisch: Einst wird kommen der Tag)
Das sag ich jetzt, nachdem Welcker
gesprochen, in entgegengesetztem
Sinne. Ein Tag wird kommen, an
dem alle Deutschen einig sein
werden. In dieser frohen Hoffnung
schreibe ich Ihnen, dem wahrhaft deutschen
aus Österreich, diese Worte der
Erinnerung, an
Ihren
Wilh. Schrader
Abgeordneter für
Brandenburg a/H
Frankfurt,
d. 12.März 1849
Am 12. 3. 1849 beantragte Welcker die Übertragung der Kaiserkrone auf den preußischen König und die Annahme der Verfassung durch einen einzigen Gesamtbeschluss. A.d.A.
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„Wer schlägt da Lärm? Wer
Schlägt da Riesen?
Wer überwindet Jenen
und Diesen?
Der ist’s der sich selber
Bezwinget!“ * Walther von der Vogelweide
Schriebs zur Erinnerung
an die Paulskirche
15.März 49
C.F.Wurm
Dum spiro, spero (solange ich
atme hoffe ich)
Auch heute, den 13.März
Denn was der Menschen
Leidenschaft nur zu verwirren
Ihre Klugheit nicht zu
entwirren vermag, das
läst, trotz unserem
Widerstreben, eingreifen
in die Geschicke des Volkes
eine höhere Hand.
Zur freundlichen Erinnerung
Frankfurt 13.März 49
I.Döllinger
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Wenn oaner net mag u der ander net will
Wo’s oam ä weni zu wenig is, dem andern viel z’viel
Wenn’s oam nix recht nützt, dem oan nicht recht taug
Der oane so schmutzt, der oan grad so schaugt
Dem oan net recht guat is, dem oan net viel gefreut
Wenn oaner a Narr is, die andern net g’scheit
Schau a solcher Gregori
In Dein Directori
Zum Andenken , von Droege
Aus Bremen
20.März 1849
In den Aufzeichnungen des Sohnes Rößlers, Wilhelm Rößler, steht, sein Vater
(den er allerdings nie richtig kennengelernt hat) sei sehr gut im Nachmachen
von Dialekten gewesen. Hier macht der Bremer den österreichischen Dialekt
nach.
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Salus publica summa lex
(das öffentliche Wohl soll das höchste Gesetz sein)
Zur Erinnerung
An Ihren
Jucho aus Frankfurt a/M
Frankfurt a/M den
15.April 1849
Salvator Feliciter! (erfolgreicher Erlöser) so müßte man, mit
diesen Worten des Melanchthon den
preußischen deutschen Kaiser begrüßen.
Unleserliche Unterschrift
Unleserlich
18.April 1849
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Deutschlands Einheit zu begründen
Auf dem Wege der Reform ist
Das Ideal meines Lebens stets
Gewesen! Die Realisierung dieses
Höchsten Wunsches scheint ver-
eitelt zu sein seyn und wir sind
wohl auf dem Punkte angelangt
wo man sagen kann:
Und wenn der Knoten fertig ist
Kommt auch der Alexander!
Einem deutschen Alexander will
Ich gerne dienen und deshalb
Durchlaufe ich die Schule eines
verthierten Söldlings. Auf
Wiedersehen in einem freien einigen
Vaterland oder (… evtl.aber) einer anderen
Welt!
Dir
treuer Hans von Raumer
29.4.49
Soldat in Schleswig und Holst.
(...) wer Friede (...)
Nur die nazionale Kunst ist
Die wahre Kunst
R v Rittberg (kein
Abgeordneter der Paulskiche)
Erlangen 23.August 1858
Zur freundlichen Erinnerung
W.von Maltzahn (kein Abgeordneter der Paulskiche)
Erlangen
23.Aug.1858
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Zum Abschluss noch einen Poesiealbumsvers, mit dem sich Emil Rößler im Album des Abgeordneten Karl Schorn verewigte (Universitätsbibliothek Bonn), und das in Schönschrift.
A:E:I:O:U
Lassen Sie, verehrter Freund noch einen Versuch machen dieses altösterreichische
Buchstabenrätsel zu lösen. Am Ende ist Österreich unser. Dieses
Wort zur Erinnerung an einen Deutschen aus Österreich
Emil Franz Rößler Abgeordneter aus Böhmen Saaz S.Paul am 04.März 1849
Die Abgeordneten der Fraktion Augburger Hof, Emil Rößler mit gelbem Kreis