Alexander Ruhe: 1824 - Wie in Frankfurt der
Marathonlauf wiederentdeckt wurde. Dezember 2012
Ein Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Botenläufer, die auch lange Strecken liefen hatte es schon immer gegeben, das daraus aber eine publikumswirksames Sportereignis wurde, das verdankt die Welt dem Tagelöhner Peter Bajus, der dann unter seinem Spitz- (bzw. Künstler-) Namen Stolz Furore machte.
Stolz war 1795 im hessischen Ried geboren worden, hatte dort als Schnapsbrenner, als Hausierer und, nach seiner Heirat 1821, als Tagelöhner, gearbeitet. Er war der starke Mann der Gegend und man sagte von ihm, dass er er drei Zentner Getreide eine Viertelstunde lang tragen konnte, ohne abzusetzen. Er war aber nicht nur stark, sondern auch sehr ausdauernd und er hatte festgestellt, dass ein trainierter Mensch ausdauernder sein kann, als ein durchschnittliches Pferd, was ihm erstmal natürlich niemand glaubte, Stolz musste sich also beweisen und in Form von Wetten, fing er an mit dem Laufen Geld zu verdienen. Jetzt wollte es auch ein reicher Metzger wissen ("reich" war damals ein Synonym, mit dem die meisten Metzger versehen wurden) am 18. Januar 1824 trat Stolz einen Lauf von Kastel nach Frankfurt und zurück an, eine Strecke von etwas mehr als 60 Kilometern. Stolz lief in seiner normalen Arbeitskleidung, mit durchlöcherten Schuhen, die ihm unterwegs von den Füssen fielen. Er lief erst auf Socken, dann barfuss weiter (der Winter 1823/24 war zwar schneearm, dafür aber eisig). Mit einer Zeit von 5,5 Stunden verlor er zwar seine Wette, aber erstmals war ihm eine größere Publikumsaufmerksamkeit zuteil geworden, so das er, der Arme, sogar den Armen zwei Gulden spenden konnte (dafür musste ein Tagelöhner 3-5 Tage arbeiten). Am 01. Februar lief er dann von Mainz nach Bodenheim und zurück, begleitet von acht Reitern und er hängte an den Steigungsstrecken alle acht Pferde ab, so dass nur einer der Reiter es schaffte wieder mit ihm nach Mainz zu kommen - jetzt berichtete auch die Presse über ihn, sogar mit Bild, was im Jahr 1824 noch ganz und gar nicht üblich war.
Nachdem jetzt die
Presse ganz Europas über ihn als „Fusskünstler“ berichtet hatte, wurde
auch sein Landesherr, der Großherzog von Hessen, auf ihn aufmerksam und er
wurde Botenläufer am Darmstädter Hof, von wo aus es regelmäßig nach Frankfurt
zu laufen galt, nun aber im Verborgenen.
Bis 1844 blieb er
Botenläufer bei Hofe und arbeitete auch seinen ältesten Sohn in das Gewerbe
ein. Mit 49 Jahren wurde er, nachdem er 1844 nochmals ein – erfolgloses –
Comeback als Langstreckenläufer versucht hatte, Lakai am Darmstädter Hof. 1856
dann, durch Telegramme und die Eisenbahn war das Botenläufertum etwas aus der
Mode gekommen und außerdem herrschte eine Zeit des schlimmen Hungers, rings um
Darmstadt grassierte der sog. Hungertyphus, wanderten hunderttausende Deutsche
nach Amerika aus auch die Familie Bajus und Stolz nahmen sie mit. 1875 starb er
hochbetagt in Kanada.
Auch nach Stolz’ Abtritt von der Läufer-Bühne, war das Schaulaufen eine rhein-mainische Angelegenheit geblieben Samuel Hartwig aus Offenbach und Valentin Göhrich aus Langen dominierten das Geschäft. Bald reichte es aber nicht mehr, einfach nur zu laufen, die Läufer liefen rückwärts, in Kettel oder in Reiterharnischen, Stiefeln und Sporen um das Publikum noch anzulocken. Allerdings liefen sie jetzt auch in ganz Europa , auch in Petersburg vor dem Zaren und in Wien vor dem Kaiser, Überall lief man jetzt, aber wo hatte man damit angefangen ? Genau !
Valentin Göhrlich