Ein
Artikel aus der Reihe: Frankfurter Zeitungs-Archäologie
Das der Apfelwein unglaublich gesund ist, ja geradezu
ein medizinisches Getränk, dass weiß man in Frankfurt schon lange, aber erst
der Apfelwein-Doktor Petsch begann ihn auch wirklich als Medizin zu nutzen. Am
17. Juli 1804 wurde Johann Christian Wilhelm Petsch in Frankfurt geboren, wo er
1819 bei einem Maurer in die Lehre gegeben wurde. Nachdem er seine Lehre
abgeschlossen hatte, wurde er krank, schwer krank, er war nicht mehr zu retten.
Dachte man zumindest. In Frankfurt hält man es so: solange man gesund ist,
trinkt man Apfelwein und wenn man krank wird, steigt man um auf Kamillentee.
Diesen grundlegenden Fehler beging Petsch aber nicht und – siehe da – er wurde
geheilt. Er wunderte sich, dass niemand außer ihm den Zusammenhang zwischen
seiner Apfelweinkur und seiner Heilung sah und er erkannte, dass ihm
eine Gabe gegeben worden war.
Er begann zu heilen. An einem Tuberkulose-Kranken
erkannte er, dass der Apfelwein alleine nicht reichte und er begann weitere
gesunde Zutaten beizumischen, welche da wären: Quellwasser und Milch. Das ganze
gab er abgekochte dem Kranken und auch dieser wurde geheilt, das einzige Mittel
gegen die Schwindsucht, das den Frankfurter davor zur Verfügung gestanden hatte,
war ein Sud aus Weinbergschnecken gekocht.(„ Als ein gesundes
Getränk hat man ihn steht betrachtet, die Heilkraft selbst jedoch blieb leider
unbeachtet“ Petsch 1854 in einem – viel zu langen – Gedicht zum hundertsten
Geburtstag des Frankfurter Apfelweins). Ende der 1820er ging Petsch als
Maurermeister ins brandenburgische Luckenwalde
und von dort 1849 nach Berlin, wo er eine Apfelweinwirtschaft
eröffnete. Er schenkte den Apfelwein aber nicht nur aus, er heilte auch damit
und bezeichnete sich selbst als „Naturdoktor“ Er und der Apfelwein
wurden in Berlin so populär, dass man schon fürchtete, der Apfelwein könnte das
Berliner Weißbier verdrängen (eine der Atraktionen seiner Wirtschaft war seine
hübsche junge Tochter, die dort jeden Abend saß und mit den Gästen Schach
spielte). „Durch die Kraft des Herrn und des heiligen Geistes“ war es ihm
möglich „viele Tränen zu trocknen und Segen zu verbreiten“ (Petsch 1856 vor
Gericht). Durch seine 25.000 fachen Heilerfolge war es ihm möglich, ein ganzes
Zimmer seiner Wohnung nur mit Krücken zu füllen.
Eine von
hunderten Anzeigen, die Petsch und seine Anhänger schalten ließen.
Aber es gab auch Ungläubige und Zweifler. So spottete
zum Beispiel der Berliner Kladderadatsch:
(Im Zusammenhang des gerade modernen „Tischerückens“:
Die Weisen von Berlin
... „Ich weiß es wohl, sprach schlau Herr Petsch,
woher die Rucke stammen; Mein Apfelwein ist säuerlich, zieht Mensch und Holz
zusammen. Ein wenig edlen Mostes ward wohl auf den Tisch gegossen: hat selbst
mancher Mensch geknarrt, der Apfelwein genossen.“
Als dann 1860 auch der bayerische König Petsch
in Berlin konsultierte, mutmaßte der Kladderadatsch, jetzt sei wohl auch in
Bayern Hopfen und Malz verloren.
1856 behandelte er ein Cholera-krankes Mädchen, das
trotz der Apfelweinbehandlung starb, Petsch wurde vor Gericht gestellt. Man
warf ihm vor, er hätte als Arzt praktiziert, obwohl die Polizeibehörde ihm dies
verboten hätte. Erfolglos wand sein Anwalt ein, auch die Polizeibehörde habe ja
ihre Schutzmänner zu Petsch zur Behandlung geschickt und danach auch
anstandslos die Rechnung bezahlt. Der Angeklagte, „ eine gedrungene,
wohlgenährte Gestalt“, hatte auch 50 geheilte Patienten als Zeugen
mitgebracht, nutzte aber alles nichts und Petsch wurde zu einer (lächerlich
geringen ) Geldstrafe verurteilt. Aber
Petsch hatte Kontakte, nachdem auch der preußische König und sogar
dessen Hofarzt zu Petschs Patienten gehörten, wurde das polizeiliche
Praktizierverbot aufgehoben. Aus Frankfurt, wo Petsch es 1862 immerhin zu einem
den „Apfelweindoktor“ verulkenden Motivwagen auf dem Fastnachtszug gebracht
hatte, mahnte noch Friedrich Stoltze,
dass der Apfelwein gesund sei, wisse man ja, aber den Apfelwein „raacht“ man
nicht mit Milch, den Apfelwein „raacht“ man mit Geselchtem. Womit eigentlich
schon alles gesagt gewesen wäre, aber Petsch machte unbeirrt weiterweiter (und trieb mit seinen enormen Apfelwein- und
auch Handkäse-Bestellungen die Preise dieser Produkte in Frankfurt in die Höhe),
ja er versuchte sogar 1858 eine Filiale seiner Apfelwein-Kuranstalt in Frankfurt
zu eröffnen, wozu er seinen Sohn hierher schickte. Aber in Frankfurt tönte
man, man glaube nicht an die Heilkraft Petschs, sondern an die des vierten
Schoppens und dabei blieb es dann auch.
1861 starb sein königlicher Patient und dessen
Nachfolger Wilhelm war kein Freund schöngeistiger Dinge und dessen
Ministerpräsident Bismarck ein richtiger Frankfurthasser – Petsch musste also
weg aus Berlin und er nahm den Weg vieler damaliger „Natürärzte“ und
Wunderheiler, er ging – auf Einladung des dortigen Herzogs - nach Gotha,
wo er in einem schönen Haus, dass er gekauft hatte, seine Praxis bezog. Aber in
Gotha hielt es ihn nicht, die preußische Juistiz erreichte ihn auch dort, er
ging nach Dresden, wo er eine Apfelwein-Kelterei gründete. Seine
Kelterei wurde eine der großen Deutschlands und erzielte Preise auf den großen
Industrieausstellungen seiner Zeit. Am 12.November 1882 starb C.J.W. Petsch in
Dresden. Sein Sohn Karl-Otto führte die Kelterei noch eine Zeitlang erfolgreich
weiter, im Jahr 1900 aber wurde er in eine Geisteskrankenanstalt eingewiesen
(war ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen oder war es eine Intrige ?), wo sich
Karl-Otto mit einem Revolver das Leben nahm.
C.J.W. Petsch